Hallo Gabriele!
Raten kann ich dir gar nichts, aber vielleicht hilft es dir ein wenig.
Ich halte 6 Amazonen (4 Venezuelas, 2 Blaustirn). Die zwei "alten" Venezuela`s Wilma und Coco brauchten Jahre, bis sie sich richtig eingewöhnt haben. Jetzt nach fast 8 Jahren bin ich für sie sowas wie Futterspender und komischer Zweibeiner, ich "gehöre dazu", es gibt keine Scheu mehr. Das brauchte bei den beiden sehr lange. Da die zwei aber schon einiges mitgemacht haben würde ich das nicht als typisch bezeichnen.
Also weiter zur Blaustirnamazonenhenne Paulinchen - eine
Handaufzucht, teils noch von mir per Spritze gefüttert. Die Dame war die ersten Jahre sehr zahm und anhänglich, allerdings nicht lange. Jetzt ist sie knappe 5 Jahre alt, geschlechtsreif und ein Schwarmmitglied wie alle anderen auch, aber die einzige in der Gruppe, die gegenüber Menschen wirklich gefährlich werden kann. Sie geht zur Balzzeit äußerst aggressiv ran und kennt keine Zurückhaltung. Das heißt, wo die anderen sich noch mit Imponieren zufrieden geben, kommt sie dahergeprescht und verbeisst sich in meinen Arm... man muss sehr aufpassen und darf sie zur "heißen" Zeit nicht aus den Augen lassen. Außerhalb der Balzzeit geht es dagegen recht friedlich zu, sie "will" nichts von mir, nimmt aber Futter aus der Hand und ist umgänglich. Gegenüber den anderen Amazonen ist der kleine Hitzkopf
generell wie ein Lämmchen, die Aggression zur Brutzeit richtet sich fast ausschließlich gegen menschliche "Eindringlinge". Also soviel in dem Fall zur Zahmheit - der Unterschied von Jungvogel / geschlechtsreife Amazone ist manchmal wie Tag und Nacht. Eine "vorgezähmte" Amazone heißt nicht gleich, dass der Vogel auch in 5 Jahren noch auf die Hand kommt. Paulinchen beweist mir das jeden Sommer recht eindrucksvoll, aber es ist toll, den Blaustirn`s beim Balzspektakel zuzusehen. Ich sehe ihre "Wandlung" (wenn man das so nennen kann) also trotzdem durchweg positiv.
Der Blaustirnamazonenhahn ist eine Naturbrut aus einer Freivoliere, eigentlich genauso, wie du deinen "Kandidaten" beschreibst. Wunderschön im Gefieder, flugfreudig, aktiv, kleiner Draufänger, lange im Familienverband - aber vom Menschen kannte er bis zur Übernahme nur ein paar Minuten Fütterungszeit und
Volierenreinigung. Trotzdem, Pablo hat sich prima eingelebt, keinerlei Probleme mit ihm. Am zweiten Tag hat er mich schon ohne weiters so weit herangelassen, dass ich in kürzester Entfernung hantieren konnte ohne das er zurückgeschreckt wäre. Je mehr der Alltag kam, je mehr er mich in der Nähe gewohnt war, desto geringer wurde der "Respektabstand". Er nimmt ohne Probleme Futter aus der Hand und lässt sich damit locken. Pablo kommt von 10 m Distanz jederzeit zu mir angeflogen, wenn ich eine begehrte Nuss in der Hand habe. Handkontakt ist aber unerwünscht - kraulen lässt er sich ausschließlich von seiner Pauline, halte ich ihm den Arm hin wird höchstens verdutzt am Pulli herumgezupft. Ich habe allerdings auch nie einen engeren Kontakt gezielt angestrebt, dazu sind für ihn die anderen Amazonen da.
Als letztes wären dann noch die zwei Jungvenezuela`s Kiwi und Chico. Die beiden sind ebenfalls Naturbruten, aus einer Freivoliere, waren mit dem Züchter aber gut vertraut und bei ihm zutraulich. Er konnte fast alles mit den beiden machen, sie kamen auf den Arm, nahmen Futter aus der Hand - einfach so wie es meiner Meinung nach sein soll, nämlich mit Menschenkontakt aufgewachsene Natubruten. Eigentlich die Idealvoraussetzungen für eine schnelle Eingewöhnung. In dem Fall aber leider nicht. Die zwei entpuppten sich daheim mir gegenüber als äußerst ängstlich, schreckhaft und panisch. Das Geflattere ging los sobald ich mich näher als 2 m herangewagt habe. Sie wollten nicht richtig fressen, haben - da sie zwecks Quarantäne eigentlich noch vom Rest der Gruppe getrennt hätten bleiben sollen - aber stimmlich Kontakt mit den anderen 4 Amazonen (Amazonengesänge hört man immer durch jegliche Wände...) aufgenommen und zeigten großes Interesse an ihnen. Ich habe sie aus diesem Grund und auch deshalb, weil ich einfach nicht mehr weiter wusste und mit meinem Latein am Ende war, vorzeitig zusammen gelassen und alle sechs Amazonen im damals noch neuen Vogelraum zusammen gesetzt. Von da an war alles "in Ordnung". Die zwei Neuen haben sich sehr gut an meiner "alten" Vierertruppe orientiert und nach ein paar Wochen war der "Sicherheitsabstand" zu mir schon deutlich geschrumpft. In den ersten Wochen haben sie noch ans andere Vogelzimmerende Reißaus genommen (11 m Distanz), dann wurden 5 m daraus, dann 2 m... und dann sind sie einfach mit den anderen Amazonen sitzen geblieben, wenn ich mich angenähert habe. Sie wurden "fluchtfaul", sahen ein, dass ich kein Vogelfresser bin. Mit der Zeit kam die Neugier. Ich habe die beiden nun seit Herbst 2003. Als richtig eingewöhnt kann ich sie in den letzten Monaten ohne weiteres schon bezeichnen. Futter nehmen sie noch keines aus der Hand, aber wir arbeiten dran.
Mein Fazit aus der Geschichte: Vögel die nur eine Bezugsperson gewohnt waren können sich bei der Eingewöhnung unter Umständen auch schwer tun (anscheinend waren die zwei sowas wie "Männervögel" - ich konnte mich die ersten Tage nicht mal rühren, ohne ihnen Angst einzujagen), richtig vorhersehbar ist das nicht. Beim Züchter waren die zwei handzahm, bei mir erstmal absolut nicht - es hätte genauso gut aber auch anders sein können. Man hat dementsprechend auch keine Garantie, wenn die Vögel beim Züchter sonstwie zutraulich sind, das muss eben nicht automatisch auch auf fremde Menschen (und das ist man selber die erste Zeit ja) übertragbar sein. Aber letztendlich kommt es darauf an, wie viel Geduld man hat. Im Umgang mit den zweien habe ich keine Schwierigkeiten mehr, sie werden immer vorwitziger und ich glaube spätestens in ein paar Monaten wird auch das letzte Eis gebrochen sein.
Wenn ich dir ansatzweise so etwas wie einen Rat geben soll, dann der: Sieh dir den Vogel genau an, beobachte ihn, hör auf dein Bauchgefühl. Wie gut und wie schnell sich eine Amazone eingewöhnt, ist so stark vom Charakter des Vogels und von einem selber abhängig, dass es keine Patentrezepte gibt. Spätestens meine zwei Jungvenezuela`s haben mich das endgültig gelehrt.
Mfg,
Doris