@nanuk:
"Environmental enrichment" findet (entgegen Deiner Darstellung) durchaus im Vorlageentwurf Berücksichtigung
Zitat:
"6.
Einrichtung von Innenvolieren, Außenvolieren und Schutzräumen
Allgemeines
Dem ausgeprägten Explorations- und Spielverhalten sowie dem Bewegungsbedürfnis (Klettern, Fliegen) ist durch abwechslungsreiche Ausstattung zu entsprechen. Einrichtungsobjekte, die der Befriedigung des Nagebedürfnis dienen, sind regelmäßig zu ersetzen. Alle in kürzeren Zeitabständen und/oder bei Bedarf zu ersetzenden und/oder zu erwartenden Verunreinigungen ausgesetzten Einrichtungsobjekte sind so anzubringen, dass sie ohne Erfordernis übermäßiger Störungen gereinigt, entfernt oder ersetzt werden können.
a.
Geeignete Beschäftigungsobjekte
Als geeignete Beschäftigungs- und/oder Nageobjekte können zum Beispiel Äste und Zweige ungiftiger Gehölze von u.a. Obstbäumen, Ahorn, Weißdorn etc. dienen, die an verschiedenen Stellen der Innen- oder Außenhaltungssysteme angebracht werden. Gleiches gilt für unbehandelte Holzklötzchen. Es ist darauf zu achten, nur Beschäftigungs- und Nageobjekte anzubieten, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit mit hinreichender Sicherheit feststeht.
b.
Ungeeignete Beschäftigungsobjekte
Ungeeignet sind zum Beispiel Objekte aus Kunststoffen, bei denen je nach Art und Beschaffenheit die Möglichkeit des Abbeißens und der Inkorporation von Teilen besteht, die auf mechanische Weise und/oder auf Grund der chemischen Zusammensetzung gesundheitliche Schäden beim Vogel hervorrufen können. Gleiches gilt für metallische Gegenstände (zum Beispiel Glöckchen), deren Legierungen u.U. schädigende Stoffe (z.B. Zink-, Messing- oder Kupferverbindungen) enthalten können.
c.
Sitz-, Anflug- und Schlafäste
Sitz-, Anflug- und Schlafäste sind in unterschiedlichen Stärken (Dicken) anzubringen. Es sind Aststücke mit naturbelassener Oberflächenstruktur zu verwenden. Glatte industriell gefertigte Rundhölzer begünstigen übermäßiges Krallenwachstum sowie Beeinträchtigungen der Fußballen. Sie bieten wenig Halt beim Anflug und erschweren das Klettern. Sitz- und Anflugäste sind in unterschiedlichen Höhen innerhalb des Haltungssystems anzubringen. Schlafäste müssen in einer Mindesthöhe von 1,60 m (ab Bodenniveau Haltungssystem) angebracht werden. Sitz-, Anflug- und Schlafäste sind in Abständen von mindestens 2,5 m anzubringen, um den gehaltenen Exemplaren Flugmöglichkeiten zu bieten. Bei den großen Arten (vgl. IV. „Spezielle Anforderungen“) sind entsprechend größere Abstände zu wählen. Geringere Abstände bzw. die Schaffung verbindender Klettermöglichkeiten sind bei Haltung flugunfähiger oder in der Flugfähigkeit stark eingeschränkter Exemplare unabhängig von den dazu führenden Gründen geboten und zulässig."
Die Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten und die Unterschiedlichkeiten der je nach Arten zu wählenden Haltungssystem-Ausstattung läßt es allerdings wenig sinnvoll erscheinen, die betreffende Ziffer der "Mindestanforderungen" um einen umfassenden "Ausstattungskatalog" zu ergänzen.
Ich habe in einem meiner vorhergehenden Postings in Entgegnung der Einwendung eines Users, daß die angegebenen Mindestbreiten von
Volieren (im Verhältnis zu den Längen) zu großzügig bemessen seien, bereits darauf hingewiesen, daß Papageien sich im Freileben nicht in einem "schlauchförmigen" Lebensumfeld bewegen und keine aus Biologie, Ökologie und Ethologie der Arten ableitbare Sinnhaftigkeit für die Haltung in Systemen mit großen Längen bei geringen Breiten besteht. In diesem Zusammenhang habe ich gleichzeitig verdeutlicht, daß ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Länge und Breite schon deshalb erforderlich ist, um den Ausstattungsansprüchen im Sinne eines gehobenen "Environmental enrichment" gerecht(er) werden zu können.
Du wirst den vorstehenden Zeilen entnehmen können, daß ich mit Dir darin einer Meinung bin, daß einer Bereicherung der Haltungsumgebung eine große Bedeutung beizumessen ist. Ob wir die Bereicherung des Lebensumfeldes unserer gefiederten Freunde unter den mittlerweile modernen Bezeichnungen "environmental enrichment" oder "behavioural enrichment" führen oder aber bei der alten, jedoch keineswegs veralteten Bezeichnung "Tiergartenbiologische Gesichtspunkte" bleiben - der Wesentlichkeit einer den Artansprüchen entsprechenden Haltungsumgebung tut dies keinen Abbruch.
Wir werden darüber diskutieren, Pkt. 6 durch folgende Passage zu ergänzen:
"Es sind an tiergartenbiologischen Gesichtspunkten (1) orientierte Voraussetzungen zu schaffen, die hinsichtlich Raumbemessung, Strukturierung und Ausstattung den Ansprüchen an Bewegung, Erkundung, Rückzug, territoriales Verhalten sowie Separation zu Balz-, Brut- und Aufzuchtzeiten genügen."
(1)
Die sogenannte Tiergartenbiologie hat sich, wie der Name verrät, aus der Absicht heraus entwickelt, Tieren in zoologischen Einrichtungen bessere Bedingungen, als dies noch vor nicht allzu langer Zeit der Fall war, zu bieten. Es ist also nicht erstaunlich, daß erste Überlegungen dazu von Zoodirektoren unter der Federführung von Hediger (1944, 1961, 1965)* angestellt wurden. Für die jeweiligen Artansprüche zu enge Gehege und
Volieren, monotone Einrichtungen und Ähnliches hatten bei den gehaltenen Tieren vielfach psychische und physische Defekte bis hin zu hohen Sterblichkeitsraten zur Folge. In vielen gut geführten zoologischen Gärten ist diese Art der Haltung mittlerweile Vergangenheit. Geradezu mustergültig auf die Bedürfnisse einer "modernen" Papageienhaltung zugeschnitten ist die Großraumvoliere des Tierpark Hagenbeck in Hamburg. Die
Voliere umfaßt etwa 4000 Kubikmeter. In ihr lebt eine Gruppe von 17 Grünflügelaras (Ara chloroptera), die sich einer naturnahen und abwechslungsreichen Gestaltung erfreuen darf.
(2)
Aber wie ist es um die Haltung von Großpapageien in Wohnstuben bestellt? Oft müssen mehr oder minder beengende Käfige und Kleinstvolieren, die weder ausreichende Bewegungsmöglichkeiten noch Abwechslung bieten, als "Lebensraum" herhalten. Gelegentlich gestattete Ausflüge innerhalb des Wohnbereiches sind von Zeitplanung, Lust und Laune der Halter abhängig. Sind die Halter berufstätig, werden Aktivitäten der papageiischen Pfleglinge, oft ist es auch nur ein Einzelvogel, und die Beschäftigung mit ihnen in die Abendstunden verschoben. Dies kann und darf nicht genügen.
*Hediger, H. (1944): Biologische und psychologische Tiergartenprobleme, Vierteljahresschriften, Natf. Ges. Zürich (29), 92 – 108
Hediger, H. (1961): Beobachtungen zur Tierpsychlogie im Zoo und im Zirkus, Reinhardt Verlag, Basel
Hediger, H. (1965): Mensch und Tier im Zoo: Tiergartenbiologie, Müller, Zürich-Rüschlikon
(3)
Die Haltungsbedingungen bei Hagenbeck (bzw. die dazu laufenden Arbeiten / Ralf Wanker, Uni Hamburg / Biozentrum Grindel / u. a.) bieten eine der von Dir erfragten Referenzen in Bezug auf Auswirkung von
Volieren/Gehege-Größen auf Verhalten (Wohlbefinden) gehaltener Psittaziden-Arten. Die ursprünglich aus drei Einzelgruppen (mit wesentlich beengteren Haltungsbedingungen) stammenden Grünflügelaras bei Hagenbeck zeigen in der Großraumhaltung sehr deutlich, daß viele natürlich angelegte Verhaltenselemente erst bei Erweiterung des Haltungsraumes und entsprechender Ausstattung exekutiert werden und ein konfliktfreie(re)s "Gruppenleben" ermöglicht wird. Wesentliche Inhalte der noch laufenden (zum Teil abgeschlossenen / jedoch noch unveröffentlichten) Arbeiten kannst Du bei R. Wanker erfragen.
Eine (von mehreren) in den erfragten Bezügen veröffentlichte Arbeiten (mit Angaben zu den exakten
Volierengrößen und Ausstattungen) stellen die Langzeitbeobachtungen von Jana Weinhold dar:
Weinhold, J. (1998 ): Analyse des Sozialverhaltens einer Gemeinschaft von Blaustirnamazonen Amazona aestiva (LINNE 1758 ) in
Volierenhaltung, in Parrot Biology, Vol. 2, Jun. 1998, Arndt-Verlag, Bretten
Natürlich kann man die in je nach Art unterschiedlicher Ausprägung vorhandene "Anpassungsfähigkeit" von Psittaziden dazu nutzen (je nach Standpunkt könnte man auch sagen: mißbrauchen), die Tiere an relativ kleine Haltungssysteme zu adaptieren. (Zu) kleine Haltungssysteme be- bzw. verhindern jedoch in aller Regel die Exekution im natürlichen Verhaltensinventar angelegter Verhaltenselemente unterschiedlichster Verhaltensbereiche in unterschiedlichen Quantitäten und Qualitäten. Das Verhalten "verarmt" (zumindest), bzw. wird (viel zu oft) durch inadäquates Verhalten (respektive: "Fehlverhalten") ersetzt.
Wie sollen (um ein krasses Beispiel zu nennen) zwei Gelbbrustaras in einem Behältnis mit den Abmessungen 2 x 2 x 2 m ein halbwegs artangepaßtes Explorations-, Kletter-, Flug-, Rückzugsverhalten und weitere essentielle Verhaltenselemente exekutieren?
Es kann nicht darum gehen, Mindestanforderungen an die Haltung von Psittaziden an für Halter genehmen Rahmenbedingungen auszurichten, welche die arteigenen Bedürfnisse der Gefiederten den arteigenen Bedürfnissen der Halter unterordnen.
@Alle:
Weil mehrfach angesprochen: In dem Vorlageentwurf ist weder ein implizites noch ein explizites "Freiflug"-Verbot formuliert.
Diese Dinge sind anderweitig geregelt. Der wohl gemeinte Passus lautet:
"3.
Vorsorge gegen Freisetzungen
Alle Haltungseinrichtungen sind durch Maßnahmen abzusichern, die ein Entweichen gehaltener Exemplare zuverlässig verhindern. Absichtlich oder fahrlässig vorgenommene Freisetzungen unterliegen den Verbotsregelungen der einschlägigen Gesetze und Verordnungen (u.a. Bundesartenschutzverordnung, Bundesnaturschutzgesetz). Das Verbringen von Exemplaren in Bereiche außerhalb allseits umschlossener und ein Entweichen verhindernder Umgebungen ist unabhängig vom Zweck nicht zulässig."
Gruß
MMchen