Punkt 2 der Tagesordnung:
Begrenzte Freigabe der Bejagung von Rabenvögeln zum Schutze der heimischen Tierwelt und Durchführung einer begleitenden Untersuchung
Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 14/70
(überwiesen am 12. Juni 1996 an den Umweltausschuß und den Agrarausschuß)
In der Aussprache über den Antrag betont Abg. Franzen, daß sich die SPD-Fraktion der Problematik durchaus ernsthaft widmen wolle. Dazu müsse sich der Ausschuß über den aktuellen Sachstand informieren, insbesondere auch einen Überblick über die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse gewinnen. Notwendig seien darüber hinaus Angaben des Ministeriums, wie sich die Handhabung mit der begrenzten Freigabe der Bejagung durch die unteren Naturschutzbehörden ausgewirkt habe. Aus ihrer Sicht sei ein kausaler Zusammenhang zwischen der behaupteten größeren Verbreitung der Rabenvögel und der Ausrottung anderer Singvogelarten bisher nicht erwiesen.
Abg. Todsen spricht sich ebenfalls für eine sachgerechte und emotionsfreie Erörterung der Thematik, die immer wieder von der Bevölkerung an die Politiker herangetragen werde, aus. Es gebe eine Fülle von Material und Aussagen, die zum Teil einander widersprächen. Sowohl der Landesjagdverband als auch die staatliche Vogelschutzwarte hätten konkrete Daten erhoben; das Problem liege darin, daß die Untersuchungsmethoden unterschiedlich seien und zum Teil auch kritisch betrachtet würden. Eine sachgerechte Entscheidung setze nach ihrer Ansicht voraus, daß die Politiker auch der Jägerschaft das Vertrauen entgegenbrächten, daß sie ihren Auftrag, der auf gesetzlichen Grundlagen beruhe, verantwortlich wahrnehme. Wenn jedoch zunehmend Privatpersonen zur Selbsthilfe griffen und Elsterfallen illegal einsetzten, könne dies nicht hingenommen werden; vielmehr seien die Politiker gefordert, eine geeignete Lösung zu finden.
Sie, Abg. Todsen, habe sich regionale Daten aus dem Kreis Pinneberg beschafft; dort sei die Problematik möglicherweise gravierender als in anderen Landesteilen. Sie gibt zu überlegen, in einer der nächsten Sitzungen des Ausschusses zumindest je einen Vertreter des Wildtierkatasters und der staatlichen Vogelschutzwarte zu der Problematik anzuhören.
Denkbar wäre aus ihrer Sicht auch, unter Federführung des Ministeriums eine Arbeitsgruppe einzusetzen, der auch Vertreter der Naturschutzverbände und des Landesjagdverbandes angehörten. Diese Arbeitsgruppe könnte in einem gewissen Umfang weitere Untersuchungen durchführen, die nicht notwendigerweise ein umfangreiches wissenschaftliches Programm voraussetzten. Ihr schwebe vor, daß eine solche Arbeitsgruppe zwei oder drei Bereiche im Lande gezielt untersuche. Dazu eigneten sich besonders die Nordseeinseln, in denen die Tiere nicht so sehr Einflüssen von außen ausgesetzt seien. So könnten die Inseln Amrum und Pellworm ins Auge gefaßt werden, wobei in einer ersten Phase die Bejagung auf Amrum zugelassen werden könnte, während auf Pellworm keinerlei Maßnahmen ergriffen würden. Sie würde es begrüßen, wenn sich der Ausschuß in einer der nächsten Sitzungen auf ein solches Programm verständigen und die Auffassungen der Vertreter der genannten Institutionen anhören würde.
Abg. Dr. Happach-Kasan sieht keinen Ansatz für eine einvernehmliche Lösung, weil sich in dieser Frage zwei Grundsatzpositionen gegenüberstünden. Das Parlament könne sich nur bemühen, den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten. Im übrigen genieße nach ihrer Ansicht die Rabenvögelproblematik nicht höchste Priorität.
Der von Abg. Franzen erbetene Bericht des Ministeriums sollte auch den Verwaltungsaufwand umfassen, den die unteren Naturschutzbehörden betrieben. Bisher sei gefordert worden, Saatkrähen und Elstern zu bejagen. Sie bitte um Auskunft, inwieweit aus naturschutzfachlicher Sicht eine Bejagung unterbunden werden müsse.
Mit am gravierendsten sei für sie die Frage, wie die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse zustande gekommen seien. Es sei unbefriedigend, wenn verschiedene Untersuchungsgruppen unterschiedliche Zahlen ermittelten. Eine Aufgabe des Umweltausschusses könnte sehr wohl darin liegen, auf eine korrekte Zahlenermittlung und einen Abgleich der Daten der einzelnen Untersuchungsstellen hinzuwirken.
Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen teilt M Steenblock mit, daß bis zum 31.07.96 bei den unteren Naturschutzbehörden insgesamt 144 Anträge auf Bejagung von Elstern gestellt worden seien; davon seien 22 Anträge abgelehnt worden und 35 noch nicht beschieden. 382 Exemplare seien freigegeben worden. Zur Bejagung von Rabenkrähen seien 210 Anträge gestellt worden, davon 5 abgelehnt und 32 noch nicht entschieden worden. Zum Abschuß freigegeben worden seien 823 Exemplare.
Zur Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung verweist M Steenblock auf die Vielzahl bereits vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, die etwa in Band 13 des "Handbuchs für Vögel in Mitteleuropa" zusammengestellt worden seien. Die umfassendste Studie stamme aus England und mache deutlich, daß stadtnahe Bereiche sehr stark von Elstern besiedelt würden und die Population im freien Land zurückgehe. Insgesamt müsse von einer Zunahme der Population ausgegangen werden, wobei die Untersuchungen der staatlichen Vogelschutzwarte und die Zwischenergebnisse des Wildtierkatasters noch differierten.
Eine Lösung auf Landesebene scheitere nach seiner Ansicht daran, daß die rechtliche Entscheidung eine Bundesangelegenheit sei. Der Bundesgesetzgeber weigere sich zur Zeit, das Jagdgesetz entsprechend zu ändern. Damit bleibe den Ländern nur der Weg der Ausnahmeregelung, von der Schleswig-Holstein seit September 1995 Gebrauch gemacht habe.
Er, M Steenblock, sei skeptisch, ob eine neue wissenschaftliche Untersuchung aus dieser Entscheidungsproblematik heraushelfe. Notwendig sei auf jeden Fall eine korrekte Datenlage. Die Anregung, im Ministerium auf eine Lösung unter Beteiligung der verschiedenen Konfliktpartner hinzuwirken, begrüße er. Das Ministerium werde sich dieser Aufgabe auch stellen.
Die Frage nach naturschutzfachlichen Interessen, die einer Bejagung entgegenstünden, stelle sich wegen des geltenden Jagdrechts nach Auffassung von M Steenblock gar nicht erst; sie würde allenfalls bei einer Änderung des Bundesjagdgesetzes relevant.
Gleichwohl werde aber - wie Abg. Dr. Happach-Kasan einwirft - von seiten des Naturschutzes stets auf naturschutzfachliche Interessen verwiesen.
M Steenblock hebt darauf ab, daß das Umweltministerium beide Aspekte zu berücksichtigen habe. Die Naturschutzphilosophie gehe dahin, auf eine Bejagung zu verzichten, weil sich eine Bestandsregulierung auf natürliche Weise ergeben werde. Die typische Reaktion auf Bejagung sei, daß sich die Regeneration einer Population deutlich verstärke. Regional gebe es gerade aus Naturschutzgründen so viele unterschiedliche Einflußfaktoren, daß eine eindeutige Position - auch unter Naturschutzgesichtspunkten - kaum möglich sei.
MR Dr. Rüger schildert in großen Zügen die historische Entwicklung des Naturschutzes, der noch zu Beginn des Jahrhunderts sehr stark mit gefährdeten Arten argumentiert habe. Inzwischen habe sich die Zielsetzung des Naturschutzes stärker vom einzelnen Individuum der Population auf die Entwicklungsprozesse einer Population verlagert. Auch in Kulturlandschaften gehöre die Räuber-Beute-Beziehung zu den wesentlichen Elementen. Diese Prozesse schütze der Naturschutz. Das bedeute zugleich, daß nur dann eingegriffen werden sollte, wenn es unbedingt notwendig sei. Die jagdliche Philosophie und Ethik ziele demgegenüber darauf ab, Tiere nur dann zu töten, wenn sie auch verwertet würden.
In der weiteren Aussprache betont Abg. Todsen, daß es ihr darum gehe, mit dem "Rabenvogelbeirat" ein Gremium zu schaffen, das sachgerecht arbeiten könne und unterschiedliche Richtungen und Sichtweisen aufnehme. Statt etwa Elstern und Saatkrähen auszurotten, gehe es darum, die Fluchtdistanzen, die durch den vollständigen Schutz dieser Arten wesentlich verringert worden seien, auf ein normales Maß zurückzuführen. Ob die Untersuchungen aus England auf die Entwicklung in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren übertragbar seien, müsse noch geklärt werden. Dabei sei für sie auch von Interesse, ob sich diese Untersuchungen überhaupt zu einer Bejagung dieser Vogelarten äußerten.
Eine Bundesratsinitiative der Landesregierung hätte nach ihrer Ansicht derzeit größere Erfolgschancen, zumal auch andere Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen bereits aktiv geworden seien und entsprechende Beschlüsse zur Bejagung gefaßt hätten. Im übrigen gebe es auch Vertreter des Naturschutzbundes, die sich für eine Bejagung auf örtlicher Ebene einsetzten.
Sie begrüße die Anregung der Abg. Franzen, den Personaleinsatz der unteren Naturschutzbehörden für solche Genehmigungsverfahren zu erfragen, die durch wichtigere Aufgaben bereits erheblich belastet seien. Deshalb wäre es zweckmäßig, wenn die Rechtsgrundlagen mittelfristig so gestaltet würden, daß die Bejagung der Rabenvögel in die Verantwortung der Jägerschaft fiele, unter Rahmenvorgaben und Begleitung des Landes.
Abg. Dr. Happach-Kasan unterstützt ebenfalls den Aspekt des Arbeitsaufwandes, der um so schwerer wiege, als die Behörden der Kreise bereits erheblich belastet seien. Zum anderen bekräftigt sie die Anregung, Vertreter der staatlichen Vogelschutzwarte sowie des Wildtierkatasters einzuladen, um über die Methoden der Datenerfassung zu berichten, damit eine einheitliche Bewertung des Datenmaterials möglich sei.
Letztlich könne sich eine Entscheidung aber nur daran orientieren, welcher Philosophie der Vorrang eingeräumt werde. Eine Lösung, die beiden entgegengesetzten Standpunkten gerecht werde, sei aus ihrer Sicht nicht denkbar.
Im weiteren Verlauf kommt Abg. Franzen auf den Vorschlag zurück, eine Anhörung zu der Problematik durchzuführen. Sie halte es für erforderlich, dem Ausschuß dafür einen schriftlichen Vorschlag zu unterbreiten und auch die jeweiligen Einzelthemen konkret anzugeben. Im übrigen sollte sich der Ausschuß darauf beschränken, schriftliche Stellungnahmen zu erbitten, wobei sich die SPD-Fraktion vorbehalte, ihrerseits weitere anzuhörende Organisationen oder Verbände zu benennen. Notfalls könnten danach offene Einzelfragen auch noch durch eine mündliche Anhörung vertieft werden.
Sie sei durchaus bereit, die erwähnte Fachliteratur durchzuarbeiten und sehe ihren Wunsch nach Auflistung aller in Betracht kommenden wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema mit dem Hinweis der Vertreter des Ministeriums als erfüllt an. Es sollte im übrigen im Interesse des gesamten Ausschusses wie auch des beteiligten Agrarausschusses liegen, die Diskussion dieser Problematik bis zum Ende des Jahres zu beenden.
Der Ausschuß erklärt sich auf Anregung von M Steenblock damit einverstanden, daß das Ministerium auf eine Umfrage bei den unteren Naturschutzbehörden nach dem gesamten zusätzlichen Arbeitsaufwand für Einzelgenehmigungen verzichtet und statt dessen die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Antrags übermittelt wird.
Abg. Dr. Winking-Nikolay spricht sich unter Bezugnahme auf die Ausführungen von MR Dr. Rüger gegen die Freigabe der Bejagung von Rabenvögeln. Auch der Mensch sei Teil der Natur, der er zutrauen sollte, ihre eigenen Lösungen für vermeintliche Probleme zu finden. Zudem handele es sich dabei häufig nur um lokale, nicht aber flächendeckende Probleme.
Wenn im übrigen eine Abschußgenehmigung sogar telefonisch erteilt werden könne - wenn auch anschließend noch ein schriftlicher Antrag gestellt werden müssen -, so sei eine weniger komplizierte Regelung kaum noch denkbar.
Dem hält Abg. Todsen entgegen, daß der Arbeitsaufwand für den Jagdausübungsberechtigten, der die Populationsdichte darzulegen habe, doch sehr beträchtlich sei. So müsse er das ganze Revier mehrfach abgehen, um belegen zu können, wie viele Horste tatsächlich vorhanden seien.
Viele Diskussionen und Unzuträglichkeiten entfielen, wenn die Bundesregierung diese Tiere in das Jagdrecht übernähme. Auch in der Jägerschaft habe inzwischen ein entsprechender Denkprozeß stattgefunden. Ihr, Abg. Todsen, sei bekannt, daß der Landesjagdverband der Verwendung eines Teils der Jagdabgabe für weitere Untersuchungen, die keineswegs überdimensioniert sein müßten, zustimmen würde.
In einer der nächsten Sitzungen wird der Ausschuß darüber befinden, ob zu dem Antrag der CDU-Fraktion eine schriftliche oder mündliche Anhörung durchgeführt werden soll.
http://www.sh-landtag.de/infothek/wahl14/aussch/umwelt/niederschrift/1996/14-003_08-96.html