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Die Geschichte vom Graupapageien, der traurig war, weil er keine bunten Federn hatte
Es war einmal ein Papagei, der lebte im afrikanischen Dschungel. Am liebsten saß er ganz weit oben in den riesigen, dunkelgrünen Bäumen, dicht unter dem Blätterdach ihrer Wipfel, und sah sich von oben das Gewirr der Lianen und das Treiben der anderen Tiere an. Eigentlich war der Papagei zufrieden, denn er liebte seinen Urwald, er fand immer genug zu fressen und zu trinken und musste nie frieren. Doch es gab eine Sache, die den Papagei traurig machte. Er war nämlich nicht bunt wie die anderen Papageien, die in großer Schar ebenfalls in den Wipfeln der Bäume lebten. Der Papagei, von dem ich dir erzähle, war grau. Mausgrau mit Schattierungen ins Dunkelgraue und Hellgraue. Die anderen Papageien hingegen hatten grüne, rote und gelbe Federn, manche sogar ein paar blaue oder violett schimmernde. Sie waren bunt und den ganzen Tag lustig. Und sie verspotteten den grauen Papagei. „Du hast ja gar keine Farben“, lachten sie, „wie siehst du denn aus, total langweilig, als ob du eingestaubt wärst!“ Und sie empfahlen ihm, sich beim nächsten Regenguss nicht unter ein großes Blatt zu setzen, sondern direkt in den Regen – vielleicht würde der sein Gefieder ja rein waschen.
Unser Papagei litt sehr unter dem Hohn und Spott der anderen. Irgendwann war er so verzweifelt, dass er zu allem bereit war, um seine Lage zu verbessern. Beim nächsten tropischen Schauer suchte er also nicht wie sonst Schutz unter einem großen Blatt, sondern setzte sich auf einen Ast ganz oben auf dem Blätterdach und ließ den heftigen Regen auf sein Gefieder prasseln. Der Regen ging vorüber und die Sonne kam wieder hinter den Wolken hervor. Der Papagei öffnete vorsichtig die Augen und schielte zu seinem Gefieder. Da fiel er fast vom Baum vor Schreck und Glück – er war bunt! Alle Farben des Regenbogens leuchteten auf seinen Federn! Er schüttelte sich, weil er es nicht glauben konnte. Da perlten die Regentropfen von ihm ab und mit ihnen auch die vielen kleinen Regenbögen, die ihm vorgegaukelt hatten, er habe ein buntes Gefieder. Nass und traurig hüpfte er zurück unters Blätterdach, wo ihn bereits das höhnische Gelächter der bunten Papageien erwartete.
Ein paar Tage später herrschte auf einmal Aufregung im Dschungel. Ein britischer Professor, munkelte das Papageienvolk, sei unterwegs, ein Ornithologe mit Fachgebiet Papageien. Er wolle einen Bildband über die schönsten und seltensten Papageien Afrikas herausgeben und habe eine digitale Spiegelreflexkamera mit Supertele dabei.
Und es stimmte. Tatsächlich erblickte die Papageienschar schon am nächsten Nachmittag den Professor aus London mitsamt seinem Assistenten und Fotografen. Das war eine Aufregung! Gackernd und schnatternd hüpften die bunten Papageien auf den Ästen der Bäume herum, zupften sich gegenseitig das Gefieder glatt und kämmten sich die Federn, um noch mehr zu leuchten und für das Papageienbuch fotografiert zu werden.
Doch der Professor war enttäuscht. „Lauter gemeine Buntpapageien“, hörte man ihn ernüchtert ausrufen, „die sind ja ganz hübsch, aber die gibt es zu Hunderttausenden hier im Dschungel, da lachen mich die anderen Ornithologen ja aus, wenn ich die in meinem Bildband zeige!“. Er wollte schon fast wieder abreisen, als er am letzten Tag seiner Expedition durch Zufall den grauen Papageien entdeckte, der still und traurig auf seinem Ast saß und sich schämte, weil er nicht bunt war.
„Ein seltener Graupapagei!“ rief der Professor entzückt, „ein Psittacus erithacus, wie wunderbar! James, hol die Kamera und das Teleobjektiv!“ Und bevor unser Graupapagei sich groß wundern konnte, hatte James ein paar gute Fotos von ihm geschossen, und der Professor zog zufrieden von dannen.
Die bunten Papageien hatten das Ganze beobachtet und feierten Psitti, wie sie ihren Graupapagei seit diesem Tag ehrfurchts- und liebevoll nennen, wie einen Helden. Dem war das fast schon unangenehm, denn er war ein von Grund auf bescheidener Papagei. Trotzdem freute er sich darüber, selten zu sein. Denn bunt sein, mein Kind, ist nicht alles. Manchmal ist es besser, einfach nur anders zu sein als die andere.
© Anette Göttlicher
Es war einmal ein Papagei, der lebte im afrikanischen Dschungel. Am liebsten saß er ganz weit oben in den riesigen, dunkelgrünen Bäumen, dicht unter dem Blätterdach ihrer Wipfel, und sah sich von oben das Gewirr der Lianen und das Treiben der anderen Tiere an. Eigentlich war der Papagei zufrieden, denn er liebte seinen Urwald, er fand immer genug zu fressen und zu trinken und musste nie frieren. Doch es gab eine Sache, die den Papagei traurig machte. Er war nämlich nicht bunt wie die anderen Papageien, die in großer Schar ebenfalls in den Wipfeln der Bäume lebten. Der Papagei, von dem ich dir erzähle, war grau. Mausgrau mit Schattierungen ins Dunkelgraue und Hellgraue. Die anderen Papageien hingegen hatten grüne, rote und gelbe Federn, manche sogar ein paar blaue oder violett schimmernde. Sie waren bunt und den ganzen Tag lustig. Und sie verspotteten den grauen Papagei. „Du hast ja gar keine Farben“, lachten sie, „wie siehst du denn aus, total langweilig, als ob du eingestaubt wärst!“ Und sie empfahlen ihm, sich beim nächsten Regenguss nicht unter ein großes Blatt zu setzen, sondern direkt in den Regen – vielleicht würde der sein Gefieder ja rein waschen.
Unser Papagei litt sehr unter dem Hohn und Spott der anderen. Irgendwann war er so verzweifelt, dass er zu allem bereit war, um seine Lage zu verbessern. Beim nächsten tropischen Schauer suchte er also nicht wie sonst Schutz unter einem großen Blatt, sondern setzte sich auf einen Ast ganz oben auf dem Blätterdach und ließ den heftigen Regen auf sein Gefieder prasseln. Der Regen ging vorüber und die Sonne kam wieder hinter den Wolken hervor. Der Papagei öffnete vorsichtig die Augen und schielte zu seinem Gefieder. Da fiel er fast vom Baum vor Schreck und Glück – er war bunt! Alle Farben des Regenbogens leuchteten auf seinen Federn! Er schüttelte sich, weil er es nicht glauben konnte. Da perlten die Regentropfen von ihm ab und mit ihnen auch die vielen kleinen Regenbögen, die ihm vorgegaukelt hatten, er habe ein buntes Gefieder. Nass und traurig hüpfte er zurück unters Blätterdach, wo ihn bereits das höhnische Gelächter der bunten Papageien erwartete.
Ein paar Tage später herrschte auf einmal Aufregung im Dschungel. Ein britischer Professor, munkelte das Papageienvolk, sei unterwegs, ein Ornithologe mit Fachgebiet Papageien. Er wolle einen Bildband über die schönsten und seltensten Papageien Afrikas herausgeben und habe eine digitale Spiegelreflexkamera mit Supertele dabei.
Und es stimmte. Tatsächlich erblickte die Papageienschar schon am nächsten Nachmittag den Professor aus London mitsamt seinem Assistenten und Fotografen. Das war eine Aufregung! Gackernd und schnatternd hüpften die bunten Papageien auf den Ästen der Bäume herum, zupften sich gegenseitig das Gefieder glatt und kämmten sich die Federn, um noch mehr zu leuchten und für das Papageienbuch fotografiert zu werden.
Doch der Professor war enttäuscht. „Lauter gemeine Buntpapageien“, hörte man ihn ernüchtert ausrufen, „die sind ja ganz hübsch, aber die gibt es zu Hunderttausenden hier im Dschungel, da lachen mich die anderen Ornithologen ja aus, wenn ich die in meinem Bildband zeige!“. Er wollte schon fast wieder abreisen, als er am letzten Tag seiner Expedition durch Zufall den grauen Papageien entdeckte, der still und traurig auf seinem Ast saß und sich schämte, weil er nicht bunt war.
„Ein seltener Graupapagei!“ rief der Professor entzückt, „ein Psittacus erithacus, wie wunderbar! James, hol die Kamera und das Teleobjektiv!“ Und bevor unser Graupapagei sich groß wundern konnte, hatte James ein paar gute Fotos von ihm geschossen, und der Professor zog zufrieden von dannen.
Die bunten Papageien hatten das Ganze beobachtet und feierten Psitti, wie sie ihren Graupapagei seit diesem Tag ehrfurchts- und liebevoll nennen, wie einen Helden. Dem war das fast schon unangenehm, denn er war ein von Grund auf bescheidener Papagei. Trotzdem freute er sich darüber, selten zu sein. Denn bunt sein, mein Kind, ist nicht alles. Manchmal ist es besser, einfach nur anders zu sein als die andere.
© Anette Göttlicher