Flugkapaune

Diskutiere Flugkapaune im Forum Rassetauben im Bereich Tauben - Jetzt habe ich mal eine Frage an die Topexperten unter Euch: Um die Jahrhundertwende war es üblich 1,0 Flugtauben zu kapaunisieren (also zu...
Rollertaube

Rollertaube

Mitglied
Beiträge
107
Jetzt habe ich mal eine Frage an die Topexperten unter Euch:
Um die Jahrhundertwende war es üblich 1,0 Flugtauben zu kapaunisieren (also zu kastrieren, wie es heute bei Pferden, Katzen etc. Routine ist). Diese alte Tradition ist nach dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Dabei wurden den Täubern die innen liegenden Hoden entfernt. Dieser Eingriff, der nach heutiger Gesetzeslage nicht mehr statthaft ist, war nicht ganz unproblematisch und stellte höchste Anforderungen an den Operateur - denn endoskopische Eingriffe gab es damals nicht. Die Bauchhaut zwischen Brustbein und Schambein wurde dazu komplett aufgeschnitten und später vernäht. Masthähnchen werden kapaunisiert, damit sie schwerer und das Fleisch fettiger und damit schmackhafter wird. Kann mir jemand sagen, warum früher Flugtauben kastriert wurden? Flogen sie vielleicht ruhiger und verschwendeten keine Energie beim Treiben? Hat da jemand Ahnung von Euch? Ich habe gehört, dass heutzutage noch teilweise Tippler in England kapaunisiert werden. Das muß doch irgendeinen Sinn haben, so eine komplexe Operation durchzuführen, weil in der Nähe der Hoden die Nieren verlaufen und auch eine Hauptarterie nicht weit von den Hoden entfernt liegt. Ein Fehlschnitt und die Taube ist hin.
 
Zuletzt bearbeitet:
Soweit ich weiß, ist das Kapaunisieren damals nicht in Vergessenheit geraten, sondern wurde im dritten Reich verboten. Es gab damals unglaublich große Schwärme (vor allem in Mitteldeutschland), die natürlich auch eine Menge Futter benötigten. Das Getreide sollte aber inmitten von Kriegsplänen nicht für solches Hobby verschwendet werden (Tierschutzgründe sprachen sicher auch dagegen, denn das Ganze geschah üblicherweise ohne Tierarzt und Betäubung).

Die Kapaunen hatten den entscheidenen "Vorteil", dass sie niemals in Brutstimmung kamen, sondern immer gleich gut flogen. So konnte man sie das ganze Jahr über in guter Form fliegen lassen (von der Mauser mal abgesehen).
 
Ich will hier mal ein paar Sätze wiedergeben...

...die von einem Fachmann zu dem Thema stammen:

Flogen sie vielleicht ruhiger und verschwendeten keine Energie beim Treiben?

...wurden alle nicht mehr für Zuchtzwecke in Frage kommenden 7 bis 9 Monate alten Jungtäuber kapaunisiert und danach als Fadenkapaune dem Jagesport wieder zugeführt. Ein Kapaunentäuber klatscht nicht mehr mit den Flügeln und zieht dadurch den Flugstich nicht mehr so oft herunter. Sein Flugstil ist gleichmäßig ruhig, aber dennoch rasant. Das Ganze bezogen auf die früher oft kapaunisierten Deutschen langschnäbligen Tümmler. Andererseits wurden sie von den Gegnern auch als traurige, teilnahmslose Gestalten beschrieben.
 
Danke Islanddonek und Gunnar!

Danke Euch beiden für die ausführliche Auskunft. Ich war gestern Abend noch in der Tierärztlichen Hochschule Hannover und habe eine Operationsanleitung aus dem Jahre 1928 gelesen. Leider werden in dieser nur Masthähnchen abgehandelt. Die Auswirkung auf die Wesensänderung bei Tauben wird nicht beschrieben. Bei VOGEL ist übrigens auch eine Beschreibung zu finden, aber leider nicht bebildert. Also ich stelle mir einen solchen Eingriff bei einer Taube noch komplexer vor als bei Hähnchen. Die kleinen Testes irgendwo zwischen den Luftsäcken hinter den Darmschlingen zu finden und ohne Verletzung des umliegenden Gewebes abzutrennen ist eine Tätigkeit, für die ich unsere Vorfahren bewundere. Ich gehe einmal davon aus, dass auch nicht jeder Flugtaubenzüchter die Kapaunisierung beherrschte und die Durchführung nur einer kleinen Elite vorbehalten war. Da ich ein wißbegieriger Mensch bin, werde ich die Operation an einem toten Täuber im Herbst einmal nachstellen und schauen, ob ich es geschafft hätte.
 
Bezüglich Wesensänderung bei Tauben schau mal hier:
Anim. Behav. 69, 17, 401-405
Hormonal Control of Courtship behaviour in the pigeon
by Michael J. Erpino

Ich habe das Paper auch hier könnte es Dir per Mail schicken.
Andrea
 
Ja gerne ...

... Andrea finde ich super nett von Dir. Habe Dir eine PN gesandt.
 
Hallo,

habe noch ein paar Zitate aus dem Buch "Der Hochflugtaubensport" von Friedrich Althof, das wohl 1939 (Datum unter "Zum Geleit") erschienen ist und von dem ich hier Kopien habe (Dankeschön an G. Grunewald). Im hinteren Teil schreibt ein Herr Gallrein:

Zitat:

Flugtaubensport in Mitteldeutschland

In dem Gebiet, das etwa zwischen Magdeburg, Halberstadt, Wolfenbüttel und Braunschweig liegt, da hat der langschnäblige Tümmler seine Heim- und man kann wohl sagen seine Ruhestätte, und die vier genannten Städte waren und sind auch heute noch - bis auf Wolfenbüttel vielleicht - die Hochburgen seiner Zucht und seiner Verwendung für den Jagesport. Es ist wohl einzig dastehend im Reich, dass diese Liebhaberei mit Kapaunen betrieben wurde, und das schon vor hundert und mehr Jahren; [...]

So werden die Jungtäuber allmählich fit gemacht und ihrer Bestimmung zugeführt. Wenn sie in das mannhafte Alter kommen, also paarisch werden, kommt der große Umschwung ihres Lebens. Sie werden "geschnitten". Nach Entfernung der Federn am After wird vor diesem ein Querschnitt gemacht, die Steine - Hoden - werden entfernt, die Wunde wird vernäht - der Kapaun, jetzt genannt "Fadenkapaun", ist fertig. Aus dem feurigen Täuber ist ein stupider Geselle geworden. Weshalb wird das nun gemacht? Unser Tümmler "klatscht" in der Luft, ein Ausbruch der Lust, wie ihn viele ander Rassen auch haben. Beim Hoch- und Truppflug ziehen einige klatschende Tiere die ganze Flucht aber herunter. Der Kapaun klatscht nicht mehr, ist nur Flieger. Darum. In meiner Jugendzeit, vor 50, 60 Jahren, waren dem Kapaunensport viele "Große" der Stadt ergeben. [...]

Unsere Organisationsleitung hat nun den Kapaunenflugsport verboten. Das ist gut so. Wenn auch die gewiß zarte Taube "hart im Nehmen" ist, so ist es bestimmt keine Rührseligkeit, wenn ich sage: das Kapaunisieren ist Tierquälerei. Auch im Hinblick auf die heutige Wirtschaftslage hat der Taubenkapaun keine Daseinsberechtigung mehr. [...]

Ende des Zitats.
 
Ich gehe einmal davon aus, dass auch nicht jeder Flugtaubenzüchter die Kapaunisierung beherrschte und die Durchführung nur einer kleinen Elite vorbehalten war.

E. Zurth beschreibt in einem alten Buch, daß ein alter Züchter und Händler mit Schere, Nadel und Seidengarn zum Kapaunisieren anrückte und 18 Täuber, die am Vortag Fastentag hatten, innerhalb einer knappen Stunde in einer fast unblutigen Prozedur kapaunisiert haben soll. Die sollen danach schon wieder spielerisch gegurrt haben und im Schlag ihre Sitzplätze eingenommen haben. Nach vier bis acht Tagen konnten sie ihre Flüge wieder aufnehmen...

Wohlgemerkt handelt es sich dabei um Beobachtungen eines jungen Züchters im Jahre 1912......
 
Da sieht man mal wieder, wie wertvoll alte Literatur sein kann. Danke an Euch für die Mühe, die Textstellen ausgiebig zu zitieren. So liebe ich das Forum. Endlich mal eine niveauvolle Korrespondenz.:zwinker:
 
Thema: Flugkapaune
Zurück
Oben