Genetik für Einsteiger - hier lernt es jeder

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plassco

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Wie wärs denn mal mit etwas Genetik??
Alles halb so wild, versprochen! Jeder der nur will kann es hier lernen.

Mir geht es dabei besonders darum, den wilden Mutanten-Mischern etwas mehr Sinn und Verstand zu vermitteln, damit keine Vögel auf den Markt
geworfen werden, deren Erbanlagen völlig unbekannt sind. Weiterhin geht es mir darum, nur Verpaarungen zu fördern, bei denen man vom Aussehen
der Jungvögel direkt und eindeutig auf deren Erbanlagen schließen kann.
Da es bei den Kopffarben noch keine "Mutanten" gibt, gehe ich auf deren Vererbung nicht ein, da alle Kopffarben quasi Naturfarben sind!


Zunächst ein paar kleine Begrifflichkeiten:

Phänotyp = Das Aussehen des Vogels (wildfarbig, blau, gelb, pastell, silber, weißbrüstig, lilabrüstig,...)

Genotyp = Die Gene/Erbanlagen die tatsächlich in dem Vogel stecken, die aber im Phänotyp ggf. nicht zu sehen sind (z. B. Spalterbigkeiten).


Gene = Erbanlagen, Baupläne für ein bestimmtes Aussehen (Farbe, etc.)

Chromosomen = beim Menschen überwiegend X-förmige "Gebilde" auf denen die Erbanlagen/Gene gespeichert sind. (reicht für unsere Zwecke als Info aus).

Autosomen = "Normale" Chromosomen

Gonosomen = Geschlechtschromosomen Beim Mann (X Y) bei der Frau (X X). Bei den Vögeln ist es umgekehrt: Hahn (X X) Henne (X Y), daher fahren die Hennen auch besser Auto, weil sie das Y Chromosom der Männer haben (Spaß am Rande). Diese Gonosomen bestimmen also das Geschlecht und sind besonders bei geschlechtsgebundenen Erbgängen von Bedeutung! Eigentlich spricht man bei Vögeln von W- und Z-Chromosomen, aber mit X und Y fällt es sicher dem ein oder anderen leichter.

Normale Körperzellen haben einen doppelten (diploiden) Chromosomensatz.

Keimzellen (Ei- und Samenzellen) haben nur einen einfachen (haploiden) Chromosomensatz (1 einfacher Satz vom Hahn + 1 einfacher Satz von der Henne ergibt
zusammen also wieder einen doppelten Satz für den Jungvogel)

Aufgrund dieser Tatsache geben wir die Erbanlagen der Vögel auch immer mit zwei Buchstaben an (einer kam vom "Vater", der andere von der "Mutter"): (b b) = Blauer Vogel, (W W) Wildfarbiger Vogel, (G G) Gelber Vogel, ...


Wichtige Begriffe:
reinerbig = das Gen taucht doppelt auf (b b), (G G), (W W), ...

spalterbig = das Gen taucht nicht doppelt auf (W b), (W G), ...

dominantes Gen = dieses Gen ist anderen überlegen und sorgt dafür, daß es im Phänotyp immer auftaucht. Dominante Gene stellen wir mit großen Buchstaben dar.
Beispiel: (W b) Der Vogel ist im Phänotyp wildfarbig, obwohl er spalterbig in blau ist. Die Wildfarbe ist blau gegenüber dominant!!

rezessives Gen = dieses Gen ist einem anderen unterlegen, man stellt dies mit kleinen Buchstaben dar.
Beispiel: (W b) Der Vogel ist im Phänotyp wildfarbig, weil blau der Wildfarbe gegenüber rezessiv/unterlegen ist.


intermediäre Gene = Diese Gene sind "gleichstark", sie tauchen beide im Phänotyp auf und vermischen sich ggf. Hier nehmen wir einfach auch große Buchstaben.
Beispiel: (W G) = Mischung aus Wildfarbe und Gelb = Pastellhahn mit aufgehelltem grün (durch den Einfluß des gelben Gens).


Jetzt müssen wir nur noch ein paar Farbbezeichnungen festlegen und mit Buchstaben abkürzen:

(W W) = reinerbig wildfarbig
(G G) = reinerbig gelber Hahn
(G Y) = reinerbig gelbe Henne (Y weil Geschlechtsgebunden, folgt später)
(b b) = reinerbig blau
(LB LB) = reinerbige Lilabrust
(wb wb) = reinerbige Weißbrust)


(W b) = wildfarbig spalterbig in blau
(W G) = wildfarbig + gelb = Pastellhahn
(LB wb) = Lilabrust im Phänotyp aber spalterbig in Weißbrust.



Dominant-Rezessiver Erbgang:

Um nun von der kompliziert wirkenden Genetik zur einfachsten Buchstabenkombiniererei zu kommen , nutzen wir einfach ein Kreuzungsschema:

Kreuzungschema.jpg

Es handelt sich hierbei um einen dominant-rezessiven Erbgang. Lilabrust ist dominant, weißbrust ist rezessiv. Wir erhalten daraus oben links im Schema (LB wb), oben rechts (LB wb).
Unten links (wb wb), unten rechts (wb wb). Die dominanten Gene/Buchstaben sollten wir nach Möglichkeit zuerst schreiben.

Wir bekommen also mit 50%iger Wahrscheinlichkeit (LB wb)
und mit 50%iger Wahrscheinlichkeit (wb wb).

(LB wb) Sieht im Phänotyp wie eine ganz normale Lilabrust aus, ist im Genotyp allerdings spalterbig in weißbrust. wb ist LB gegenüber jedoch rezessiv, daher kommt es im Phänotyp nur durch, wenn es reinerbig/"doppelt" vorkommt.

(wb wb) ist quasi reinerbige Weißbrust, hier kommt die rezessive wb auch im Phänotyp zum Vorschein.

Bei dieser Verpaarung kann man eindeutig sagen, daß alle phänotypisch lilabrüstigen Jungvögel spalterbig in wb sind. Dies ist also eine sinnvolle Verpaarung, da man die Genotypen aller Jungvögel eindeutig zuordnen kann!



Eine schlechte Verpaarung wäre
(LB wb) x (LB wb) => Beide Elterntiere haben phänotypisch eine normale Lilabrust, sind aber spalterbig in wb.

Daraus gehen laut Schema
25% (wb wb) (diese sind eindeutig über den Phänotyp als reinerbige wb zu erkennen),
50% (LB wb) und 25% (LB LB) hervor.
die letztgenannten 75% sehen im Phänotyp alle gleich aus, man hat keine Chance den Jungvögeln eindeutig einen Genotyp zuzuordnen. Dies ist keine gute Verpaarung!!

Wenn hier von Prozentangaben geschrieben wird, handelt es sich dabei immer um die WAHRSCHEINLICHKEIT mit der ein bestimmter Genotyp bei den Jungvögeln vorkommt. Es ist jedoch keinesfalls so, daß bei 50%iger Wahrscheinlichkeit für (wb wb) bei 2 Jungvögeln auch genau einer weißbrüstig ist. Selbst bei 100 Jungvögeln sind es tatsächlich nicht genau 50. Erst wenn die Anzahl der Jungvögel gegen UNENDLICH geht, kommen die 50% tatsächlich exakt hin. Dennoch ist es besser eine 50%ige Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Genotyp zu haben als eine 25%ige. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich auch lieber "1 aus 2" als 6 aus 49 spielen, leuchtet doch sicher ein oder? :D


Weitere dominant-rezessive Erbgänge:
blau, rezessiv-/australisch gelb (kommt bei uns so gut wie nicht vor), ...



Intermediärer und gleichzeitig Geschlechtsgebundener Erbgang:

Keine Angst klingt schlimmer als es ist!
Zunächst intermediär:Geschlechtsgebunden Gelb ist genauso "stark" wie die Wildfarbe, wenn also ein Vogel (W G) ist, hat er ein wildfarbenes Gen und ein geschlechtsgebunden gelbes Gen. Da beide "gleichstark" sind, kommen beide Farben im Phänotyp zur Geltung: Der Vogel hat ein aufgehelltes grün, das Schwarz wird grau, ...
Es ist ein Pastellhahn.


Jetzt geschlechtsgebunden:
Wieso Hahn? Gibt es denn keine Pastellhennen??

Nein, die gibt es nicht! Wir erinnern uns daran, daß es bei den gonosomale/geschlechtsgebundene Erbgängen auf die Gonosomen/Geschlechtschromosomen ankommt. Diese beinhalten hier die Erbinfos, die wir betrachten wollen:

Ein Hahn hat also (X X), eine Henne (X Y).
Das Y kann man sich als "kaputtes X vorstellen, es fehlt also 1 Arm des Chromosoms. Leider ist auf genau diesem Arm die Erbinformation/das gen für geschlechtsgebunden Gelb gespeichert. Die Henne hat also eigentlich nur ein brauchbares Gen für diese Mutation, das Y ist hierfür unbrauchbar/leer. Eine Henne kann also beim geschlechtsgebunden Gelben Erbgang entweder (W Y) = wildfarbig oder (G Y) = gelb sein, pastellfarben kann nur der hahn sein, da er zwei "brauchbare" Buchstaben/Chromosomen hat.

Nun verpaaren wir mit unserem Krezungsschema einen Pastellhahn mit einer gelben Henne (immer der Vogel mit dem Y):

(W G) x (G Y)

daraus ergeben sich gemäß "Buchstaben-Kombinations-Schema":
25% (W G) = pastellfarbene Hähne
25% (W Y) = wildfarbene Hennen
25% (G G) = gelbe Hähne
und 25% (G Y) = gelbe Hennen

Die Geschichte mit dem ein- (fast reingelber Vogel mit ganz leichtem Grau an der Kehle und vereinzelten grüngrauen Federn auf dem Rücken) und doppelfaktorig Pastell (Zitronengelb, perfektes weiß an der Kehle) lassen wir hier der Einfachheit halber weg!


Abschließend können wir uns mit den gewonnenen Erkenntnissen auf die Mutation "Silber" stürzen:

Manche Pfuscher erreichen zwar auch hin und wieder silberne Vögel, allerdings kreuzen diese dann einfach ohne Sinn und Verstand blaue und gelbe Vögel über mehrere Generationen ohne deren Genotypen genau zu kennen. Solche Leute erhalten zwar auch mal einen silbernen Vogel, aber dies ist dann keine Zucht mehr sondern Probiererei/Pfusch!!

Auf dieses Niveau werdet Ihr jedoch niemals absacken können, wenn Ihr einfach weiter meine Buchstabenkombis bastelt!

Kleiner Unterschied zu bisherigen Erbgängen:
Bei den Silbernen Vögeln brauchen wir sowohl blaue als auch gelbe Gene. Wir haben nun also pro Vogel nicht mehr ein Genpaar, sondern 2, nämlich ein blaues und ein gelbes Genpaar.


Demnach sehen unsere Vögel nun wie folgt aus:

ein normaler blauer: (b b) (W W) das blaue Genpaar ist reinerbig, das gelb fehlt (daher wildfarbig).
ein normaler gelber Hahn: (W W) (G G) das blaue Genpaar ist leer, das gelbe ist reinerbig)
eine normale gelbe Henne: (W W) (G Y) das blaue Genpaar ist leer, das gelbe ist reinerbig, das Y ist ja sowieso "leer"=> siehe geschlechtsgebunden gelb)
ein normaler Gelbpastell-/Pastellhahn: (W W) (W G) das blaue Genpaar ist leer, das gelbe ist mischerbig, das Gelb ist intermediär zur wildfarbe also Pastell im Phänotyp)


Nun zu denen, die sowohl blaue als auch gelbe Gene haben:

Blaupastellhahn: (b b) (W G) blau ist reinerbig (sieht man im Phänotyp), gelb ist spalterbig=Pastell, beides "mischt" sich im Phänotyp zu einem blauen Pastellvogel
gelbe Henne spalt in blau: (W b) (G Y), blau spalterbig (sieht man nicht), gelb reinerbig
gelber Hahn spalt in blau: (W b) (G G), blau spalterbig (sieht man nicht), gelb reinerbig
Gelbpastellhahn spalt in blau: (W b) (W G) blau spalterbig (sieht man nicht), gelb mischerbig (sieht man weil intermediär zur Wildfarbe).

silberner Hahn: (b b) (G G)
silberne henne: (b b) (G Y) sind einfacher zu erreichen als silberne Hähne, da das Y "leer" ist, ich muß also nur eigentlich 1,5 Genpaare (3 anstatt 4 Buchstaben/Gene) füllen.


Um nun 2 Vögel mit jeweils einem blauen und einem gelben Genpaar kombinieren zu können, kombinieren wir zuerst die blauen Genpaare miteinander, danach die gelben miteinander. Wenn einzelne Kombis doppelt auftauchen, müssen diese auch doppelt weitergeführt werden bis zum Ende, damit die prozentuale Wahrscheinlichkeit am Ende auch passt!! Anschließend schreiben wir die erhaltenen blauen Kombinations-Ergebnisse senkrecht in unser Kreuzungsschema und die gelben Kombinations-Ergebnisse waagrecht, daraus ergeben sich dann die endgültigen Genotypen der Jungvögel (jeder JV hat dann ein blaues und ein gelbes Genpaar).

Klingt unheimlich kompliziert, ist aber stinkeinfach, versprochen!!:zustimm:

Kleines Beispiel:

Blaupastellhahn x silberne Henne
(b b) (W G) x (b b) (G Y)

Mögliche blaue Kombis: (b b), da Hahn und Henne beide nur (b b) anbieten können.
Mögliche gelbe Kombis: (W G), (W Y), (G G), (G Y)

In unserem Kreuzungsschema stehen also waagerecht 4 gelbe Kombis und senkrecht 1 blaue Kombi.

Ergebnis:

25% (b b) (W G) = Blaupastellhähne
25% (b b) (W Y) = blaue Hennen
25% (b b) (G G) = silberne Hähne
25% (b b) (G Y) = silberne Hennen

Mit einem einfachen Schmierzettel und einem Stift könnt Ihr also mit diesen Infos jederzeit mal eben schnell einen Erbgang durchrechnen, um zu sehen, ob die Verpaarung die Ihr plant auch wirklich den gewünschten Erfolg mit welcher Wahrscheinlichkeit bringt.

Im Thema "Genetik-Grundkurs Jeder kann es lernen!!!" vom 30. September 2009 findet Ihr noch weitere Infos.

Zu einem fortgeschrittenen Kurs inkl. Molekulargenetik bin ich leider nur noch bedingt in der Lage, also lasst Euch bitte solche Dinge wie Trisomie, Chrossingover, zusätzliche Gliedmaßen, Antibiotikaresistenzen, Plasmidringe, Gelelektrophorese, PCR, DNA-Geschlechtsbestimmung und weiß der Geier was noch alles von einem anderen User erklären.


Vielen Dank für Euer Interesse und viel Spaß beim Kombinieren! :zwinker:
 
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