Hallo zusammen,
Da hier auf meinen Beitrag in den FAQ-Foren verlinkt wurde: Ich möchte nur darauf hinweisen, dass der Beitrag schon relativ alt ist und ich ihn inhaltlich gerne überarbeiten würde. Da das bis jetzt im FAQ-Forum noch nicht geschehen ist, hänge ich die überarbeitete Form hier an diesen Beitrag an. Ich bin mir sicher, dass die Wogen bei solch einem Thema häufig recht hoch schlagen, deshalb noch die Anmerkung, dass dies natürlich ausschließlich meine persönliche Meinung und Einschätzung der Dinge darstellt. Für Diskussionen bin ich immer offen (aber bitte nicht wundern, wenn ich mal länger zum Antworten brauche - bei uns wird gerade umgebaut
).
Außerdem möchte ich noch auf den Beitrag von Volker unter
http://www.vogelforen.de/showthread.php?s=&threadid=21945 hinweisen, wo auch einiges zum Thema zu finden ist.
Also, hier jetzt die überarbeitete, IMO wesentlich ausführlichere Form.
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Handaufzuchten
Handaufzuchten sind Vögel, die am ersten Lebenstag oder in den ersten Lebenswochen vom Menschen aus dem Nistkasten geholt wurden und isoliert von ihren Eltern aufwuchsen. Die Küken wurden mit Ersatzfutter per Spritze oder Löffel von Hand großgezogen, meist mit der Absicht, zahme Stubenvögel für die spätere "Wohnzimmerhaltung" zu erzielen. Es ist zwar richtig, dass es gelegentlich vorkommen kann, dass die
Handaufzucht die einzige Rettungsmöglichkeit für die Jungvögel darstellt (zum Beispiel beim Tod eines Elterntieres oder anderen Störungen im Brutablauf), bei den meisten handaufgezogenen Papageien, die heute ge- und verkauft werden, ist dies aber nicht der Fall. In der Regel liegt eine planmäßige Vorgehensweise bei der
Handaufzucht vor, die bereits vor dem Schlupf der Küken festgelegt wurde.
Grundsätzlich ist zwischen der isolierten
Handaufzucht eines Nestlings und der
Handaufzucht einer Geschwister- oder Jungvogelgruppe zu unterscheiden. Wichtig ist das insofern, als dass isolierte
Handaufzuchten oft schwerwiegende Beeinträchtigungen im Bezug auf ihr Sozialverhalten erleiden, die unter Umständen den ganzen Lebenslauf der Tiere beeinflussen können. Eine "Resozialisation" solcher Papageien, die während ihrer Jugendphase keinen einzigen anderen Vogel zu Gesicht bekommen haben und häufig allein den Menschen als Sozialpartner annehmen, ist meist schwierig und erfordert sehr viel Geduld. Diese Art der
Handaufzucht sollte daher ausschließlich dem Notfall vorbehalten bleiben. Die zweite Form der
Handaufzucht, also die Aufzucht einer kleinen Gruppe von Nestlingen, ist eine wesentlich bessere Möglichkeit, aber auch sie ist im Vergleich zur weiter unten aufgeführten Naturbrut mit Risiken und Nachteilen behaftet.
Ziel der
Handaufzucht ist es, von vornherein menschenfixierte Papageien zu "produzieren", die den Pfleger auch nach der Vergesellschaftung mit einem Artgenossen in ihr Sozialleben mit einbeziehen. Der Käufer wünscht sich in der Regel "streichelzahme Haustiere" für die "Wohnzimmerhaltung", die ohne eine Beeinflussung des Verhaltens der gepflegten Vögel in Richtung Zahmheit und "Umgänglichkeit" nicht möglich wäre. Um diesen Zustand von scheinbar vollkommen an die Wohnzimmerbedingungen angepassten Papageien zu erreichen, ist die
Handaufzucht eine für die entsprechenden Tierhalterkreise sehr "bequeme" und erwünschte Lösung, da handaufgezogene Vögel bereits "vorgezähmt" zum künftigen Besitzer kommen. (Groß-) Papageien sind dabei allerdings keinesfalls als Haustiere, sondern durchweg als nicht-domestizierte Wildtiere zu betrachten, deren Gefangenschaftshaltung sich in aller Regel an Maßstäben orientieren sollte, die ihnen das Ausleben ihres artgemäßen Sozialverhaltens ermöglichen. Die
Handaufzucht kommt dem in keinster Weise entgegen, da hier einerseits den Elterntieren die selbständige Aufzucht und Betreuung des eigenen Nachwuchses verwährt bleibt, und andererseits den Jungvögeln der Kontakt zu den Eltern und das Aufwachsen im Familienverband aus vergleichsweise trivialen Gründen (Zahmheit gegenüber dem Menschen) nicht gestattet wird. Darüber hinaus ist es sehr fragwürdig, ob die erwähnten Zielsetzungen der planmäßigen
Handaufzucht (sehr enge Tier-Mensch-Beziehung, Haltung von Großpapageien als "gefiederte Familienmitglieder" in direkter Umgebung des Menschens) generell kritiklos als erstrebenswert oder "tierfreundlich" eingestuft werden können, da solche Haltungsformen, die vorrangig auf die Zahmheit der Tiere aufgebaut sind und die
Handaufzucht somit überhaupt erst als "notwendig" erscheinen lassen, sehr häufig weitreichende Einschränkungen für die gehaltenen Papageien bedeuten.
Die jungen Papageien werden bereits von Klein an auf ihre spätere "Rolle" als gefiederte Hausgenossen und Ansprechpartner "vorbereitet", in die sie ohne solche Maßnahmen in der Regel kaum passen würden. Fest verpaarte Vögel aus Naturbrut, die nie zuvor einzeln gehalten oder intensiven Zähmungsversuchen unterzogen wurden, zeigen in der Regel keine Ambitionen, den Menschen als "Paar-" oder "Schwarmmitglied" anzuerkennen und mit ihm in näheren (Körper-) Kontakt zu treten. Sie kraulen sich normalerweise gegenseitig, anstatt den Menschen dazu aufzufordern und verbringen viel Zeit mit ihrem Partner (oder bei Gruppenhaltung mit dem Rest des Sozialverbandes), anstatt auf ihren menschlichen Betreuer zu warten. Die
Handaufzucht kann grob gesehen oft als der Gipfel dessen betrachtet werden, was der Mensch versucht, um die gehaltenen Papageien seinen Wünschen und Vorstellungen anzupassen. Anstatt zu akzeptieren, dass Großpapageien durch ihr komplexes Wesen und ihren nicht zu unterschätzenden Platzbedarf für "Wohnzimmerhaltungen" in der Regel gänzlich ungeeignet sind und eher in eigenen Räumlichkeiten in Paaren oder Kleingruppen gepflegt werden sollten, werden Küken aus den Nestern genommen und per Hand großgezogen, um sie dennoch als scheinbar "problemlose" und "drollige" Haustiere verkaufen zu können. Diese Situation kann etwas drastischer formuliert mit der früher weitläufigen Praxis des Flügelbeschneidens (Kürzen der Schwingen, um einen Papagei flugunfähig zu machen) verglichen werden, wo anstatt zu geeigneteren Unterbringungsmöglichkeiten eher zur Schere gegriffen wurde, die Papageien sich also den Haltungsbedingungen anzupassen hatten, anstatt umgekehrt.
Bei manchen Papageienarten (insbesondere Amazonen, Aras und andere Papageien, die während der Brutzeit ein stark ausgeprägtes Revierverteidigungsverhalten zeigen) ist das Erreichen dieser Zahmheit und engen Tier-Mensch-Beziehung allerdings häufig nicht auf Dauer möglich. Mit Eintritt der Geschlechtsreife (bei Amazonen und anderen mittelgroßen Papageienarten etwa im Alter von 3 Jahren, bei Großaras im Alter von ungefähr 5-7 Jahren) zeigen Papageien auch in der Wohnungshaltung oft auffällige Verhaltensänderungen, die sich in vermehrter Aggressivität gegenüber den Menschen und anderen "Eindringlingen" äußern. Nicht selten scheitert die Haltung im direkten Wohnbereich bei solchen Arten, für die dieses zeitweise aggressivere Verhalten grundsätzlich zum natürlichen Verhaltensinventar gehört (es sich dabei also keinesfalls um eine Verhaltensstörung handelt, die "therapiert" werden müsste), an dieser Tatsache. Der Glaube,
Handaufzuchten seien von solchen Problemen ausgenommen, erweist sich häufig als falsch, da gerade handaufgezogene Papageien keine Scheu oder Zurückhaltung vor dem Menschen kennen – in "guten" wie in "schlechten" Zeiten. Das bedeutet, dass es durchaus vorkommen kann, dass Naturbruten eher noch eine Art "Respektabstand" einhalten, während
Handaufzuchten oder andere vollständig gezähmte Vögel den direkten Kontakt nicht scheuen. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Problemen der
Handaufzucht (starke Beeinflussung des Sozialverhaltens und der Jugendentwicklung, meist anschließende "Wohnzimmerhaltung" unter unzureichenden Bedingungen) kommt also bei den betreffenden Papageienarten stets ein gewisses Risiko hinzu, dass das anfänglich unproblematische Zusammenleben von Mensch und Papagei nach einigen Jahren in dieser Ausprägung eventuell nicht mehr möglich ist, insofern man sich nicht spätestens dann in den eigenen Vorstellungen und Wünschen "umorientiert".
Die
Handaufzucht nimmt nichts desto trotz mittlerweile einen besorgniserregenden Umfang an, da es heute bei manchen, in Heimtierhaltungskreisen besonders "gefragten" Arten sehr schwierig sein kann, Naturbruten zu erwerben, weil sich die "Produzenten" (Züchter, Händler) weitgehendst an die Marktlage angepasst haben. Viele Papageienhalter erwerben aus diesem Grund
Handaufzuchten, ohne sich zuvor eingehend mit dieser Materie zu beschäftigen, da das Angebot bei Züchtern oder Händlern teilweise bereits sehr einseitig gestaltet ist. So können mittlerweile aufgrund der großen Nachfrage für handaufgezogene Tiere ungleich höhere Preise verlangt werden, als dies bei Naturbruten der Fall ist, sodass aus der
Handaufzucht in der Zwischenzeit in ein gewinnträchtiges Geschäft geworden ist, auf das viele – auch wenn sich selbst in Züchterverbänden immer mehr Menschen gegen die planmäßige
Handaufzucht aussprechen – nicht verzichten möchten.
Will man die Papageienhaltung so gut wie möglich auf die Bedürfnisse der Vögel ausrichten, sollte feststehen, dass dies natürlich vorrangig durch die Aufzucht durch die eigenen Eltern zu erreichen ist. Die
Handaufzucht kann lediglich dann verantwortbar und im Sinne der Papageien sein, wenn es sich um eine der oben genannten Notfallsituationen handelt und eine Ammenaufzucht durch ein anderes Papageienpaar nicht möglich ist. Informationen zur Praxis der
Handaufzucht finden Sie in den FAQ-Foren unter dem Beitrag "Die
Handaufzucht". Jungvögel, die unter diesen Umständen handaufgezogen werden mussten, sollten direkt nach der Entwöhnung in eine Gruppe artgleicher Vögel integriert werden, wo sie sich im positivsten Fall einen Partner suchen und vom Menschen mehr und mehr unabhängig werden.