Haustier oder Wildtier. Das Modere Urbane Artenspektrum

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HansWilhelm

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Haustiere, Wildtiere oder modernes urbanes Artenspektrum

Die zwischen Vogelklappe und mir aufgekommene Kontroverse bezieht sich nur vordergründig auf den Status (Wild- oder Haustier) und die daraus ableitbare Behandlung der Straßentaube. In Wirklichkeit geht es darum, einen Paradigmenwechsel einzuleiten, der die Naturauffassung als Ganzes betrifft und eine Reformulierung der Grundlagen natur- und artenschützerischer Aktivitäten beinhaltet. Während der Natur- und Artenschutz sich auf den unpersönlichen Gedanken des Ökosystems stützt und damit gewissermaßen menschenunabhängige, objektive Ziele verfolgt, versucht der Tierschutz die rein persönliche Abhängigkeit des Tiers von menschlicher Zuwendung oder Willkür zu beeinflussen. Diese beiden Pole zeigen nur zwei Seiten einer Entfremdung gegenüber der Natur an; ihr unaufgelöster Widerspruch hat seine materielle Ursache in der Zweiteilung des öffentlichen Raumes in Produktionsort und genetischen Ressourcenraum. Während der Artenschützer moralisch ungerührt gegenüber den erschütternden Leiden in der Labor- oder Massentierhaltung ist, bleibt der Tierschützer in sentimental-kitschigen Stereotypen befangen, aus denen weder das Tier noch Naturzusammenhänge verstanden werden können. Ihr gemeinsamer Fehler ist das statische, unhistorische Denken. Die Facetten ihrer begrifflichen Hilflosigkeit stellen sich in einer beeindruckenden Bandbreite dar. So plant z.B. der britische Ornithologe Leslie Brown in seinem Buch über Greifvögel die verelendeten Slum-Einwohner der Dritten-Welt-Metropolen schon mal als Futter für die Geier ein, denen er hohe Reproduktivität vorhersagt. Für ihn ist halt alles Ökosystem und der Mensch auch nur ein Tier (ein Gedanke der den britischen Wirtschaftsliberalismus begleitet). Auf der anderen Seite verpulvern ältere Damen ihre kärgliche Rente um 20 Katzen in einer anderthalb Zimmerwohnung durchzufüttern und alle naslang zum Tierarzt zu schleppen. Für sie ist alles Famile(nersatz) und jedes Tier mindestens, wenn nicht wertvoller als ein Mensch.

Die Urbanisierung der Landschaft, als Verstädterung beschreibbar, hat hingegen einen öffentlichen Raum geschaffen, der weder als Ökosystem begriffen werden kann, noch rein artifiziell ist. Als Ökosystem ist er nicht beschreibbar, weil er gegen keinen naturgeschichtlich stabilen Zustand konvergiert und die Stoffkreisläufe fragmentiert, d.h. aufgrund ständiger Störungen unter ihrem potentiellen Niveau vernetzt sind. Er ist nicht rein artifiziell, weil an Grundgegebenheiten der Landschaft, des Klimas gebunden und mit Versatzstücken von Natur, d.h. Ausleihen aus Ökosystemen arbeitet. In Parks und Friedhöfe, in und am Weiher, an Gebäudefassaden und in Gärten,) Dieser hochgradig dynamische Lebensraum entsteht überall als Begleitung des menschlichen Produktions- und Reproduktionssystems (Arbeit und Freizeit). Er wirkt als Magnet für eine gewisse Sorte von Tieren, von denen die Straßentaube eines ist. Ich nenne diese Tiere das moderne urbane Artenspektrum. Es ist deutlich unterschieden von der Tierwelt, die im Zuge der Landwirtschaft den europäischen Raum besiedelte (Rauchschwalbe, Schleiereule) Es markiert die „dritte Welle“ (1. Welle: Nacheiszeitliche Besiedlung, Zweite Welle: Landwirtschaft)

Welche Tiere gehören zum modernen urbanen Artenspektrum.? Ich gebe mal einige Beispiele: Türkentaube, Halsbandsittich, Hauskatze, Straßentaube

Türkentaube: Hinzugekommen ins moderne urbane Artenspektrum durch Übergang von der kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft auf dem Balkan zur Marktproduktion, was den Export und die großräumige Distribution einschließt. Nutzung der landwirtschaftlichen Vertriebs- und Lagerungsstätten als ökologische Korridore und Habitate. Heute immer noch am zuverlässigsten in der Nähe von Umschlagplätzen für Getreide und andere Futtermittel. Durch neue Lagerungs- und Transporttechnologie hochgradig bedroht.

Halsbandsittich. Park- und Gartenlandschaften mit einem hohen Anteil fremdländischer Gehölzarten (Platane), die alt werden dürfen. Winterfütterung.

Hauskatze: überall vorhanden wo nicht zu viel Autoverkehr ist; verhindert nach Steinbach den Verstädterungsprozeß der einheimischen Wildkatze, besetzt und verteidigt erfolgreich seine urbanen Habitate gegen diese. Massive Betreuungsleistung durch engagierte Tierschützer. Deshalb in irrwitziger Dichte vorkommen. (By the Way: Für bodenbrütende und bodenaufsuchende Vögel dürfte der Erdboden zur hochriskanten Todeszone geworden sein. Da die Katzen ständig gefüttert werden gibt es kein Populationsregulativ, teilweise bilden die Tiere auch keine Reviere mehr. In meinem Garten gehen vier verschiedene Katzen zu allen Tag- und Nachtzeiten auf Jagd. Auf einem Berliner Fabrikgelände habe ich mal 9 Katzen gezählt.

Stadttaube: Kommen wir jetzt endlich zu ihr. Stadttauben gehen nicht auf die modernen Haustauben oder Brieftauben zurück, sondern auf die in den Bauernhöfen des Mittelalters halb wild gehaltenen Feldflüchter. Diese ähnelten in Aussehen und Lebensweise noch stark den Felsentauben, der natürlichen Stammform. Stadttauben gibt es also schon seit dem Mittelalter. Sie haben nie unter menschlicher Obhut gestanden. Immer wieder haben sich in diese Stadttaubenbestände entflogene Haus- oder Brieftauben eingekreuzt, was an der differierenden Färbung über Generationen erkennbar bleibt. Als wild lebende Vögel sind sie daran angepasst, kurzfristig vorhandene Nahrungsquellen aufzuspüren. Ich habe diese Nahrungsversorgung „kumulativ“ genannt. Die Anpassung an kumulative Nahrungsversorgung ist ein Kennzeichen aller Tiere des modernen urbanen Artenspektrums, denn sie gehören keinem Ökosystem an, auf dessen Ausstattung sie sich einstellen könnten. Aus ihrer Feldflüchtervergangenheit haben sie die Fähigkeit geerbt, weite Nahrungsflüge zu unternehmen und sicher wieder zurück zu finden.
In Deutschland gibt es 4 Millionen Stadttauben. Diese individuell zu betreuen, ist eine aussichtlose Sache. In Berlin gab es drei Taubentürme. Am Halleschen Tor wurde der Turm abgefackelt. Er hätte 15 Paaren Platz geboten. In der unmittelbaren Umgebung gibt es aber 450 Paare. Wo sollen die unterkommen? In Schöneberg der Turm blieb unbesiedelt. Er wurde so dicht an einen Baum gebaut, dass es für den Steinmarder eine Einladung gewesen wäre, aber vielleicht wohnt der ja drin. Den dritten, den es geben soll habe ich nicht gesehen. Soll im Norden sein.

Um Stadttauben zu helfen sollte man Folgendes machen

1. Man erkennt sie als Wildtiere an.
2. Man erkennt sie als Tiere des modernen urbanen Artenspektrums an.
3. Man macht sich mit der Theorie des modernen urbanen Artenspektrums vertraut und entwickelt sie handelnd und denkend weiter.
4. Man darf Stadttauben füttern. (kumulative Nahrungsversorgung!)
5. Man erforscht sie vorurteilsfrei .(Gewicht, Gesundheitszustand, Reproduktionsrate und Abundanz ). Kann jeder machen, den es interessiert. Gesundheit mit Hilfe von Tierarzten).
6. Man tritt den Vorurteilen (Krankheitsüberträger, Gebäudezerstörung) mit Öffentlichkeitsarbeit entgegen und steckt da die Gelder rein, statt in Taubentürme u.ä.
7. Da die Theorie des modernen urbanen Artenspektrums erst gerade im Entstehen ist, veröffentlicht man in Foren seine Ergebnisse und Überlegungen. Es ist eine menschengemachte Theorie, die den Menschen auf allen Reflexionsstufen einbezieht.
8. Man erfreut sich an ihnen und öffnet anderen die Augen für ihre prachtvollen Flüge.
9. Man akzeptiert sie als Nahrungsgrundlage für Wanderfalke und Habicht.


Ich höre jetzt erst mal auf, da ich nicht weiß, ob jemand auf dieses Thema anspringt. In einigen Beiträgen zum Halsbandsittich habe ich mehr zum modernen urbanen Artenspektrum gesagt. Wer will, kann diese Forenbeiträge leicht recherchieren.
 
Grundsätzlich sehe ich, mit Ausnahme der Einschätzung der Stadttaube als Wildtier, keinen so großen Widerspruch, auch nicht zwischen Natur- und Tierschutz, von denen Du ja nur Extremformen der Ausprägung beschreibst, HansWilhelm, wobei Du 20 Katzen in einer kleinen Wohnung in Berlin getrost mit 20-150 Tauben ersetzen kannst.

Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, nur sollten sie transparent sein. Persönlich setze ich das so um, daß ich nur Tiere bei mir freilasse, die im unmittelbaren Biotop auch leben. Für Arten, die in der Nähe nicht vorkommen, suche ich eine Region, wo es diese Arten gibt, denn diese "wissen" besser, wo ihre Lebensgrundlagen optimaler sind. Der letzte Grünspecht ging nach verheiltem Beinbruch mangels genauer Kenntnis des Vorkommens dieser Art in Berlin nach Brandenburg in einen Park mit Futterplatz (Ameisenhaufen) und zahlreichen Grünspechten im angrenzenden Wald. Der zweite Aspekt ist, daß die Tierärzte, die sowieso das meiste bei der Wildvogelbehandlung nicht berechnen, wissen, daß sie mich nicht fragen brauchen, wieviel denn die Widerherstellung eines solchen Vogels kosten darf. Wie soll ich den Wert eines streng geschützten Grünspechts, einer Amsel, deren Brutverluste ohnehin 80 % sind, oder einer Stadttaube beziffern ? Bei € XY ist Schluß ? Oder macht es (noch) "billiger" ? Der Aufwand, der betrieben wird, wenn man ein Tier und damit die Verantwortung für dieses individuelle Lebewesen angenommen hat, kann sich nicht nach dem Preis richten, sondern ausschließlich danach, was für das Tier am besten ist. Und genau da ist auch die Schnittstelle zwischen Natur- und Tierschutz.

In einem "modernen urbanen Artenspektrum" wirst Du dennoch nur Arten finden, die sich an urbane Lebensräume anpassen können, für alle anderen gibt es keine Alternative zum Erhalt eines der Art zuträglichen Lebensraumes.

Zu den Katzen und dem Populationsregulativ: das gibt es, in Form von Kastrationen, und ein solches brauchen wir aus genau dem gleichen Grund auch bei Tauben, anstatt Fütterung ohne Bestandskontrolle.

Taubentürme sind unpraktisch hinsichtlich Begehbarkeit, Wartung und Reinigung. Eine falsche Standortwahl wie in Berlin (der 3. war am Stuttgarter Platz und war a) baufällig und b) auf dem Gelände einer Tochterfirma der DB, die derzeit das Wiederaufstellen untersagt) besagt aber noch nicht, daß dies grundsätzlich der falsche Weg ist. Und die Anpassungsfähigkeit der Stadttauben an ein Nahrungsangebot, das überwiegend aus Abfällen besteht, und an erschwerte Nistbedingungen, heißt auch noch nicht, daß diese Form der Verwahrlosung artgerecht wäre. Die betreuten Schläge in anderen Städten haben ja gerade deshalb Erfolg, weil sie den Bedürfnissen der Tauben entgegenkommen. Das geht auch in Berlin, wenn auch nur sehr aufwendig bei der parzellierten Bezirksstruktur, und es gibt auch wieder ein paar Ansätze. Du bist herzlich eingeladen, mitzumachen und Deine Ideen einzubringen.

Zu den Gründen möchte ich nicht alles wiederholen, was ich bereits geschrieben habe, und zitiere daher aus einem anderen Thread. Egal, welche "Entstehungstheorie" für die heutigen Schwärme Dir am plausibelsten erscheint, kommst Du darum nicht herum:
Hans Walch:"Diese Tauben sollte man aber als Wildtiere sehen und nicht mehr als Haustiere, dazu sind sie schon zu lange in Freiheit."
Vogelklappe: Leider nennst Du nicht einen stichhaltigen Grund für Deine These. Die Dauer der "Freiheit" ist kein Kriterium, sondern die genetische Veränderung und das daraus resultierende arttypische Verhalten.
Stadttauben weisen keine Merkmale eines Wildtieres auf, sondern die von Haustieren, die ich im folgenden wiederhole:
1. Früherer Eintritt der Geschlechtsreife als bei der Felsentaube
2. Ganzjährige Vermehrung
3. Variation des Erscheinungsbildes durch Zucht
4. Vermehrung unabhängig von Nahrungsangebot, Verfolgungsdruck und Verbrämung von Nistplätzen
5. Unterschreitung der Fluchtdistanz wie bei keinem Wildtier
6. Auftreten in Schwärmen, wie es bei keiner einzigen Wildtaubenart vorkommt.
7. Anpassungsfähigeit trotz der stark veränderten Lebensweise des Menschen. Andere Vogelarten, einschliesslich des Spatzen, erleiden massive Bestandseinbrüche bei zu starker Beeinträchtigung des Lebensraumes.
http://www.vogelforen.de/showthread.php?t=89943&page=15&pp=10
Zitat (njoerch ?): "...oder warum sonst brüten sie im Winter?"
Vogelklappe: Weil es ihnen gezielt angezüchtet wurde (werde jetzt nicht für Dich googlen; es sind wirklich zahlreiche Quellen dafür zu finden), während kein Wildvogel ganzjährig oder im Winter balzt und Brutverhalten zeigt. Das Nahrungsangebot wirkt sich auf die Lebensdauer des einzelnen Tieres, v.a. aber auf den Bruterfolg aus; bei artgerechtem Futter überlebt der Nachwuchs, bei schlechtem wird er krank und bei nicht ausreichendem Futter verhungert er. Ich verbessere aber auf Deine Anregung hin Punkt 3 in "Vermehrung unabhängig von artgerechtem Nahrungsangebot, ...". Ohne Nahrung verhungert jedes Tier, das ist eigentlich trivial.
Die Anpassung an fast jede Art von Schrott als Nahrung in dieser hohen Zahl wie bei Stadttauben ist wiederum kein wildtiertypisches Merkmal.
 
1. Man erkennt sie als Wildtiere an.
Nein, weil es keine sind (s.o.). Und die Naturschutzämter werden sich nicht um sie kümmern.
2. Man erkennt sie als Tiere des modernen urbanen Artenspektrums an.
Meinetwegen, solange das nicht heißt, daß man sie in Massen verkommen läßt.
3. Man macht sich mit der Theorie des modernen urbanen Artenspektrums vertraut und entwickelt sie handelnd und denkend weiter.
Nicht, wenn das 1. heißt. Und was bedeutet das genau ?
4. Man darf Stadttauben füttern. (kumulative Nahrungsversorgung!)
Ja, und in Verbindung mit Bestandskontrolle.
5. Man erforscht sie vorurteilsfrei .(Gewicht, Gesundheitszustand, Reproduktionsrate und Abundanz ). Kann jeder machen, den es interessiert. Gesundheit mit Hilfe von Tierarzten).
Wer ist "man" ?
6. Man tritt den Vorurteilen (Krankheitsüberträger, Gebäudezerstörung) mit Öffentlichkeitsarbeit entgegen und steckt da die Gelder rein, statt in Taubentürme u.ä.
Wessen Geld ? Berlin und der Bund sind pleite.
7. Da die Theorie des modernen urbanen Artenspektrums erst gerade im Entstehen ist, veröffentlicht man in Foren seine Ergebnisse und Überlegungen. Es ist eine menschengemachte Theorie, die den Menschen auf allen Reflexionsstufen einbezieht.
Welche Theorie ist denn nicht "menschengemacht" ? Und sorry, die alten Damen, die Tauben in ihren Wohnungen horten, wirst Du so nicht gewinnen. Die überzeugt man nur mit Taten, nicht mit Theorien.
8. Man erfreut sich an ihnen und öffnet anderen die Augen für ihre prachtvollen Flüge.
Kein Widerspruch. Mache ich jeden Tag.
9. Man akzeptiert sie als Nahrungsgrundlage für Wanderfalke und Habicht.
Derzeit notgedrungen. Ist aber nicht gut für diese Raubvögel (siehe anderer Thread), deshalb in menschliche Nähe zu kommen.

Du hast noch etwas vergessen, HansWilhelm, die Leute, die objektiv der Taubenschmutz in ihrer unmittelbaren Umgebung stört, wirst Du auch nicht mit "Theorien" davon abbringen. Es gibt in der Summe zu viele Tauben bzw. zu wenig artgerechtes Futter für diese Massen. Es fehlen sowohl Bestandskontrollen als auch Abzug von unerwünschten bzw. hochgradig ungünstigen Plätzen (z. B. Sitzplätzen über Signalanlagen und Nester über Bahngleisen).

Tauben leben gern in Schlägen, als Abkömmlinge der Felsentaube am liebsten in Gemäuern, sitzen gern in der Sonne und verbringen ungern den ganzen Tag mit Nahrungssuche oder mit Kampf um das begrenztes Futter. Welchen anderen Weg als betreute Dachböden und kontrollierte Futterplätzen siehst Du da auf Dauer ? Und daß es so viele sind, ist das ein Grund, erst gar nicht damit anzufangen ?

Darf ich 'mal noch 'was anderes fragen, HansWilhelm, hast Du je eine Ringeltaube oder eine Stadttaube aufgezogen oder gepflegt und damit einen Vergleich ? Wenn nein, warum nicht ?
 
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Hallo Vogelklappe,

nur eine kurze, erste Antwort. Später mehr!. Das Brüten von Strassentauben im Winter wird von Dir als Beleg für ihre irreversible, genetisch verankerte Domestikation genommen. Es betrifft aber nur einen kleinen Prozentsatz und eine vergleichbare Tendenz lässt sich bei allen Tierarten des modernen urbanen Artenspektrums ausmachen. Beispiel Stockente: Diese Art kommt sowohl in Naturräumen mit geschlossen integrierten Ökokreisläufen vor, als auch im von mir beschriebenen modernen urbanen System. Dort brütet sie auch schon fast das ganze Jahr und ihre Populationen zeigen die Tendenz, entflohene Hausenten zu integrieren. Dadurch entsteht eine bunte Mischung, ganz analog zu den Straßentauben.
Naturschötzer, dem Naturraum als genetische Ressource verpflichtet, würden diese Fehlgefärbten am liebsten abknallen. (Tierschützer würden sie wohl am liebsten füttern und kastrieren)
Grob vereinfacht können Tier- und Artenschutz nur die beiden Alternativen "Zurück in den Stall, damit man das Leid nicht öffentlich sehen muss" oder "Vernichten, damit die Gene sauber bleiben" anbieten. Der Tierschutz individualisiert das Tier, der Artenschutz objektiviert es. Beide sind gegenüber dem modernen urbanen Artenspektrum konzeptionslos. Diese neue Theorie ist jedoch historisierend und deshalb diskursiv. d.h. sie schafft neue Kriterien für Wahrheit und Irrtum.
Gestern Abend las ich: Von ihren 12 Lebensjahren erlebt eine Kohlmeise im Durchschnitt nur 2 (Das sind 17 %) 85 % der Jungvögel sterben bevor sie erwachsen werden. Schlussfolgerung: Es gibt zu viele Kohlmeisen. Die "Natur" kann sie nicht alle versorgen und gesundhalten. Oder ? Wie lang leben Strassentauben, wie viele ihrer Jungen kommen durch? Sind dort die Zahlen vielleicht sogar signifikant besser? meine Forderung ist es, das mal zu erforschen und die Straßentaube diesbezüglich als Wildtier des modernen urbanen Artenspektrums für voll zu nehmen. Man ist jeder Interessierte, wie überhaupt die ornithologische Forschung teilweise von Laien getragen wird.
 
Hallo HansWilhelm,

für die Stadttaube gilt in etwa das gleiche, Lebenserwartung im Freien ohne Fütterung ca. 2 Jahre. Die Jungvogelverluste sind aber bei sehr vielen Arten über 70 % (bei der Amsel ca. 80 %) aus verschiedenen Gründen. Amseln in der Stadt haben sich auch daran angepaßt, in dem sie bis zu 3 Bruten im Jahr aufziehen (Meisen nur 2). Keine Wildvogelart brütet aber bis zu oder mehr als 5 mal im Jahr und im Winter. Außerdem habe ich noch andere Gründe genannt wie das Schwarmverhalten und die geringe Fluchtdistanz, die auch ohne Aufzucht durch den Menschen während der Nahrungssuche zu beobachten ist.

Verständnisschwierigkeiten habe ich damit, was zwischen Individualisierung und Objektivierung liegen soll. Ein Tier, das ich aufnehme, wird individuell, ohne vermenschlicht zu werden. Sofern Aussicht besteht, geht es auch wieder in die Freiheit, egal mit welchem Aufwand, und zwar obwohl die Verlustrate der von mir aufgezogenen Jungvögel sicher auch nicht unter 70 % liegt. Deshalb ist ja "sitzen lassen", wenn irgend möglich, immer die bessere Variante. Diese Größenordnung an Verlusten gilt wiederum als einziges nicht für die Stadttauben, die ganzjährig einen zuverlässigen Futterplatz vorfinden. Alle anderen Vogelarten verdrängen sich im Frühjahr durch Revierbildung und kommen, mit Ausnahme der Spatzen und Finken, die auch schon lange weltweit "Kulturfolger" sind, auch nicht in Schwärmen zum Fressen.

Und ja, auch der NaBu (und nicht der der Tierschutzverein) siedelt irgendwann die Entenmama mit den Jungenten vom Dach oder Balkon durch Einfangen an einen Teich um, weil sich sonst schlicht die ganze Brut das Genick bricht.
 
Hallo Vogelklappe,

ein Vogel der mitten im Winter brütet ist unser einheimischer Fichtenkreuzschnabel. Er richtet sich mit seiner Brutzeit kompromisslos nach dem Nahrungsangebot an Koniferensamen und zieht demzufolge seine Jungen auch bei -20° im Januar auf.
Dass Vögel ihre Brutzeit ausdehnen sollten wir nicht als Zeichen der Domestikation sehen, sondern als Charakteristikum des modernen urbanen Systems.In ihm hat sich die Bedeutung der Jahreszeiten relativiert. Andere Vögel des modenen urbanen Artenspektrums zeigen ähnliche Tendenzen. Straßentauben sind nicht auf Insekten angewiesen und das, was wir als ungemütliche, lebensfeindliche Kälte empfinden, hat für Vögel keine vorrangige Bedeutung. Warum also nicht im Winter brüten. (Forschungsauftrag: Wie viel Prozent der Paare machen das; wie groß ist ihr Erfolg?) Übrigens: Wenn Tauben 5 mal hintereinander Brüten, dann haben sie "nur" 10 Eier gelegt und maximal 10 Jungen hochgezogen. Deshalb hinkt der Vergleich mit anderen Vögeln, die es locker bei 1-2 Bruten auf die gleiche Jahresleistung bringen.
Die von Dir genannten Zahlen deuten darauf hin, dass es den Tauben ganz bestimmt nicht schlechter geht, als anderen Vögeln. Sie werden nur schlechter behandelt (vergiftet, vergrämt, vertrieben) und schlechter beleumundet. Das hängt mit der Einordnung dieser Vögel zusammen, für die bisher kein fassbares gedankliches Normensystem zur Verfügung stand. Andere Vögel drohen punktuell ebenfalls in den Rang einer unhygienischen Plage zu geraten, aber bei den Straßentauben ist die mitleidslose Ausgrenzungswut am weitesten gediehen. Die Ächtung der Straßentauben ist so weit gekommen, dass sie sich auf die ihnen beistehenden Menschen mit erstreckt.
 
Hallo,

ein Vogel der mitten im Winter brütet ist unser einheimischer Fichtenkreuzschnabel. Er richtet sich mit seiner Brutzeit kompromisslos nach dem Nahrungsangebot an Koniferensamen und zieht demzufolge seine Jungen auch bei -20° im Januar auf.

Das ist genau der Unterschied! Die Kreuzschnäbel brüten wenn es zu fressen gibt auch im Winter (Hauptreifezeit der Samen!)!

Stadtauben brüten immer, egal welches Nahrungsangebot genutzt wird/werden kann.

Dass Vögel ihre Brutzeit ausdehnen sollten wir nicht als Zeichen der Domestikation sehen, sondern als Charakteristikum des modernen urbanen Systems.In ihm hat sich die Bedeutung der Jahreszeiten relativiert.
Die/der Brutzeit/Brutrieb dehnt sich nicht "einfach aus" bei den Stadttauben. Stadttauben sind wie Haustauben immer in Fortpflanzungsstimmung. Nicht umsonst trennen die Taubenzüchter ihre Tauben im Winter nach Geschlechtern.
Steuerungsfaktoren die üblich sind in der Natur: Tageslänge, Nahrungsangebot greifen bei ihnen nicht. Anders als bei der Stammform Felsentaube.
Andere Vögel werden durch diese Faktoren im Urbanen Umfeld zur Brutzeit verlängerung angehalten. Höhere Temperaturen ( dadurch früher verfügbare Aufzucht/Nahrung) z.B. ist der Laubaustrieb in Großstädten einige Wochen früher als auf dem Land, und die längere Tagesdauer ( Beleuchtung) sind die Hauptfaktoren.

das, was wir als ungemütliche, lebensfeindliche Kälte empfinden, hat für Vögel keine vorrangige Bedeutung. Warum also nicht im Winter brüten. (Forschungsauftrag: Wie viel Prozent der Paare machen das; wie groß ist ihr Erfolg?)
Min. 50% der Taubengelege erfrieren im Winter. Nämlich immer das erste Ei, da die Taube erst brütet, wenn zwei Eier liegen! Der Aufzuchterfolg der übrigen 50% der Winterbruten bei Tauben hängt im Wesentlichen von der Nahrungsversorgung ab. Da die Tauben keine Rücksicht auf die Nahrungssituation nehmen, anders als andere Vögel im Urbanen Umfeld obliegt der Erfolg der (Winter)Bruten dem Zufall und nicht irgendwelchen "Anpassungen" die ein Wildtier mitbringt.

Übrigens: Wenn Tauben 5 mal hintereinander Brüten, dann haben sie "nur" 10 Eier gelegt und maximal 10 Jungen hochgezogen. Deshalb hinkt der Vergleich mit anderen Vögeln, die es locker bei 1-2 Bruten auf die gleiche Jahresleistung bringen.
Jahresleistung und Bruterfolg sind unterschiedliche Sachen! Die Sterberate vor der Geschlechtsreife der Jungen wäre viel aussagekräftiger, wenn man verschiedene Arten vergleicht! Sicher kann man durch eine solche Quote nicht sagen ob Haus oder Wildtier. Man kann nur sagen ob die Fortpflanzung an das Biotop angepasst ist.
( dann kommt man schnell in das Gebiet der Populationsdynamik)

Die von Dir genannten Zahlen deuten darauf hin, dass es den Tauben ganz bestimmt nicht schlechter geht, als anderen Vögeln.
Welch Polemik. Was bedeutet denn bei dir "schlechter geht"??? :idee:

gruß tobi
 
Da geht mir doch ein Licht auf!
Hallo, nur kurz was zum brüten im Winter. Das Brutverhalten der Tauben in den Städten richtet sich absolut nach der Lichtlänge. Stadttauben brüten darum im Winter weil das Licht in den Städten künstlich verlängert wird. Auf meinem Schlag bekommen die Tauben zur Zeit absolutes Topfutter wegen der Mauser. Von fast 30 Paaren hat in den letzten 4 Wochen ein Weibchen gelegt. Weil ich das Licht nicht verlängere. Und getrennt werden meine Tauben erst 4 Wochen vor der Anpaarung im Januar, die ich ermögliche durch Lichtverlängerung, weil so leichter einzelne Umpaarungen stattfinden können und um einen gleichen Legetermin zu gewährleisten.
Gruß Uli
 
Hallo Vogelklappe, hallo Wagtail,

Im "Ornithologischen Bildatlas der Brutvögel Europas" von Manfred Pforr und Alfred Limbrunner, erschienen bei Neumann-Neudamm, Melsungen lese ich auf Seite 33 zur Felsentaube Columba livia:

Zitat

Die westliche Population brütet das ganze Jahr.

Zitat Ende.

womit Punkt 2 der Liste von Vogelklappe sich nicht als geeignet erweist, einen Gegensatz von Haus- und wildtier zu begründen.

Die Straßentaube mischt sich ihrerseits in die Bestände der Felsentaube ein, gründet aber auch autarke, vom Menschen unabhängige Kolonien z.B. an der englischen Atlantikküste und an den Küsten des Mittelmeeres. Sie lebt dort wie Felsentauben und sieht auch fast genau so aus. Dort streut garantiert niemand Brotkrümel hin. Es entstehen überall massive Abgrenzungsprobleme von Straßentauben und Felsentauben, was sich in völlig unterschiedlichen Verbreitungskarten niederschlägt.

Aus dem Taschenbuch für Vogelschutz, herausgegeben von Reinhard Bezzel u.a., Aula-Verlag, Seite 472 zitiere ich

Zitat (Ausrufezeichen von mir)

...ähneln von Generation zu Generation zunehmend dem Bauer- und Felsentaubentyp mit seinem unverkennbaren zum Aufsammeln kleinster Brotkrümel und Wildpflanzensamen (!) geeigneten Pinzettenschnabel, der ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der "Felsentauben" im städtischen Lebensraum ist.... Stadttauben schließen sich regelmäßig, wie ihre Vorfahren (!), zu Fraßschwärmen zusammen, die bis zu mehreren hundert Individuen zählen könnenund mehr Sicherheit vor Greifvögeln bieten, vor allem auf der Nahrungssuche weitab vom städtischen Brutplatz. Kurzzstrecken von 5 - 40 km bedeuten für die meisten Stadttauben keine Rückkehrprobleme. Die Navigationsleistungen reichen für nahezu alle bei uns bekannten Stadttaubenvorkommen aus, die freie Landschaft zur Mineralien- und Nahrungsaufnahme zu erreichen.

Zitat Ende

Punkt 6 von Vogelklappes Liste ist einfach falsch.

Gruß HansWilhelm
 
Hallo HansWilhelm,

nicht unsonst habe ich darauf hingewiesen, daß es auch "Freßschwärme" bei Spatzen und Finken gibt, aber auch bei Ringeltauben und Saatkrähen auf dem Feld oder Raben- und Nebelkrähen im Winter. Auch bestreite ich nicht, daß künstliches Licht (das selbst auf den Zyklus der Frau wirkt) bei verwilderten Haustauben eine Rolle spielt, Fakt ist aber auch, daß es bei keiner Wildvogelart den von UliB geschilderten Effekt hat. Das wäre ja demnach in Analogie und angesichts der Winterfütterung auch bei anderen Vögeln des "urbanen Artenspektrums" zu erwarten. Tritt aber nicht ein.

Meine einzelnen Punkte sind demnach nicht aus dem Zusammenhang zu entnehmen, sondern es ist die Gesamtheit der Merkmale zu sehen, die man so bei keinem Wildtier findet. Bei Stadttauben ist die Schwarmbildung nicht auf die Nahrungssuche begrenzt, sonst wäre es nicht möglich, sie erfolgreich zwecks Bestandskontrolle z. B. auf Dachböden anzusiedeln.
 
Hallo,

Die Straßentaube mischt sich ihrerseits in die Bestände der Felsentaube ein, gründet aber auch autarke, vom Menschen unabhängige Kolonien z.B. an der englischen Atlantikküste und an den Küsten des Mittelmeeres. Sie lebt dort wie Felsentauben und sieht auch fast genau so aus. Dort streut garantiert niemand Brotkrümel hin. Es entstehen überall massive Abgrenzungsprobleme von Straßentauben und Felsentauben, was sich in völlig unterschiedlichen Verbreitungskarten niederschlägt.

Abgrenzung von Stadttauben und Felsentauben sind zum einen rein logisch über die Definition möglich. Taube (Federal Pigeon) die in Städten lebt.

Andersfarbige Tiere in Felsentaubenkolonien die autarkt leben, sind entweder als Hybriden oder Mutanten der Felsentaube anzusehen. Sie sind Wildtiere (verwildert) da sie selbstständig und ohne Hilfe in freier Natur leben. Eine Abgrenzung zwischen diesen Hybriden und echten Felsentauben fernab von Städten ist m. E. nur über den Phänotypus möglich. Hat aber keine Relevanz bzgl. der Stadttauben, um die es hier geht.


Ob die Stadtauben nun durch kulturfolgende Felsentauben entstanden, die sich mit Haustauben vermischten, oder ob sie durch "Feldflüchter" entwickelten. Ist heutzutage auch egal allein der Zuflug durch Haustauben in jedem Jahr und die abhängige Lebensweise der Stadttauben lassen nur einen Schluss zu.

Es sind keine Wildtiere!

gruß tobi
 
Vogelklappe schrieb:
Vermehrung unabhängig von Nahrungsangebot

Da es hier so oft erwähnt wird: Wo kann man nachlesen, wie und von wem das herausgefunden wurde? (müsste dann ja erst recht für Haustauben gelten ...)
 
Hallo Gunnar,

In einer Studie stellte Dr. Daniel Haag-Wackernagel 1984 fest, daß hungernde Tauben im Gegensatz zu gefütterten Tauben die höchsten Werte an erfolgreich ausgebrüteten Eiern erzielten.
Quelle:Klick


Weiterhin zu Haustauben Klick Andrea schrieb schon mehrmals, hier im Forum das die "knappe" Fütterung ihre Tiere( Kelebek = türkische Kunstflugtaubenrasse) erst zur "erfolgreichen Brutfürsorge" bringt.

gruß tobi
 
Hi,



Haag, D. (1984) Ein Beitrag zur Ökologie der Stadttaube. Dissertation, Phil.Nat. Fakultät der Universität Basel, Verlag Medizinische Biologie, 260 S.



gruß tobi

PS: es heisst "feral pigeon" nicht "federal pigeon" :k
 
Hallo Tobi, hallo Gunnar,
leider ist es nicht richtig was Du sagst. Im Haag-Wackernagel wird von ihm an mehreren Stellen behauptet das durch ein sehr grosses Futterangebot es zu den Vermehrungsraten kommt. Leider habe ich das Buch auf der Arbeit, ich werde es am Montag mitbringen und zitieren. Die Behauptung ist von den "etwas dogmatischen Stadttaubenfreunden " aufgestellt. Ich habe noch keine Erklärung oder Untersuchung gelesen wo es bewiesen ist. Tauben die viel nach Futter suchen müssen treiben auch erst später auf ein neues Nest. Tauben die noch weniger Futter finden müssen ihre Jungen verhungern lassen. Ist doch eigentlich logisch, oder nicht?
Bei dem von Andrea beschriebenen Verhalten der meisten Flugtaubenrassen erklärt sie das ein Überangebot an Futter dazu führt das die Flugtauben nicht mehr füttern und auf ein neues Nest treiben. Das ist etwas ganz anderes. Wenn Du Dir die Zusammensetzung von gutem Zuchtfutter anschaust ist dort der Eiweissanteil sehr hoch. Die Flugtauben füttert man mehrmals täglich, immer etwas knapp (aber natürlich nicht hungern lassen). Dann füttern sie ihre Jungen am besten. Wenn die Flugtauben selber satt sind denken sie ihre Jungen wären auich satt.
gruß uli
 
Für alle Wildtiere dürfte ein maßvolles, vorherrschendes Hungergefühl physiologisch normal sein, denn es löst den Trieb zur Nahrungssuche aus. Tiere suchen nicht nach Nahrung, weil sie "Erlebnisesser" sind und sich ohne diese Beschäftigung langweilen würden, denn die Nahrungssuche ist nicht nur anstrengend und zeitaufwendig, sondern auch riskant. Sie verbringen viel Zeit damit, weil sie unter der Knute des Hungers stehen.
Hier wird mit der vermenschlichenden Bedeutung des Hungers operiert. Für uns Menschen ist Hungern ein Verelendungssymtom, welches einen gesellschaftlichen Skandal darstellt. Da Essen nur gegen Geld zu kriegen ist und Geld kein Naturding sondern ein soziales Ding ist, ist Hunger ein soziales Problem, kein Problem des Menschen als Naturwesen, sondern ein juristisches und ökonomisches.

In der Natur wird massenhaft verhungert. Im Unterschied zu uns Menschen gibt es aber keine Instanz, die angeklagt werden könnte, denn wenn das Tier nicht durch eigene Fähigkeiten vermag, sich zu ernähren, hat es die evolutionäre Anpassungsleistung nicht gebracht und sollte dieses Unvermögen nicht auch noch weiter vererben dürfen. Abgesehen davon ist Verhungern nicht nur einer von mehreren Selektionsmechanismen, sondern passiert wohl auch "einfach so". In einem harten Winter brechen z.B. die Bestände des Eisvogels in ganzen Regionen komplett zusammen. - Den Luxus der Jungenaufzucht verlegen deshalb viele Tiere in die Zeit eines jahreszeitlich bedingten Nahrungsüberflusses. Da Tauben nicht das frisch zubereitete (Insekten, Früchte) sondern aus der Vorratskammer der Natur leben (Samenkörner) haben sie eine sehr lange Fortpflanzungsperiode,

Die Züchtererfahrung, dass knapp gehaltene Eltern bessere Eltern sind, habe ich auch schon von Papageien- und Zierfischzüchtern gehört. Wahrscheinlich ist beim permanent saturierten Tier die Balance seiner Verhaltensprogramme gestört, gerade wegen der belebenden, antreibenden ("wachhaltenden", die Sinne "scharfhaltenden") Wirkung des Hungergefühls als Normzustand.

Es wird aber geradezu so hingestellt, als ob Tauben durch Domestikation so programmiert wären, dass ihr Vermehrungserfolg um so größer ist, je weniger sie zu fressen bekommen. Das Bilden der Eier und der Kropfmilch, später die Zusatzleistung der Versorgungsflüge kann nur aus aufgenommener Nahrungsenergie bestritten werden und aus nichts sonst. Energie kann nicht aus Hunger erzeugt werden, sondern nur aus anderer Energie. Das sagt der berühmte Energieerhaltungssatz der für alle Vorgänge der belebten und unbelebten Natur gilt. Hiergegen mittels eines züchterischen Einflusses gegenanzukommen ist so aussichtslos, wie ein Auto zu konstruieren, dass um so weiter fährt, je wenige Benzin man tankt. Viele Tiere leben zwar periodisch über ihre Kräfte, wie das Bild einer säugenden Füchsin eindrucksvoll zeigt. Aber im zeitlichen Durchschnitt muss die Bilanz aufgehen, sonst stirbt das Individuum oder die Art. Andersrum: Die Tatsache, dass die Tiere seit 1000 Jahren - so lange sind Stadttauben dokumentiert - leben und sich vermehren, zeigt und begründet, dass es für sie reicht. Sie können genug um in ihrem Lebensraum zu bestehen und die Natur hat genug, sie zu versorgen.

Man müsste Strassentauben einfangen und wiegen. Ist das Durchschnittsgewicht kleiner als das der Felsentaube? Das könnte dann als Anpassung an ein minderes Versorgungsniveau interpretiert werden.
 
Im Haag-Wackernagel wird von ihm an mehreren Stellen behauptet das durch ein sehr grosses Futterangebot es zu den Vermehrungsraten kommt.
Ich sehe da keinen Widerspruch, UliB. Bei entsprechend gutem Nahrungsangebot wird die Nachwuchsrate wohl steigen, da dieser nicht verhungert.
...ist Hunger ein soziales Problem, kein Problem des Menschen als Naturwesen...
Du vergißt soziale Prägungen, HansWilhelm. Ein Teil meiner Vorfahren hat im Mittleren Westen der USA gesiedelt, wo sie dem Boden abtrotzen mußten, was es zu essen gab, mit ihren landwirtschaftlichen Kenntnissen aus Irland und zunächst ohne die dort verfügbaren Hilfsmittel. Um 1850 gab es keinen Staat, der das Verhungern der vielen Kinder verhindert hätte. Bis heute kühlt die Schwelle des "Sodhouse" den Boden besser als jeder heutige Belag, so daß man bei brüllender Hitze barfuß darauf stehen kann. Heute empfehlen sich Schuhe schon deshalb, weil Klapperschlangen in einer Symbiose mit Präriehunden leben. Man kann das damalige Wissen "entsorgen" oder bewahren; es liegt an Dir. Die letzten 150 Jahre, auf die Du für einige Regionen dieser Erde anspielst, sind dennoch nicht mehr als ein Fliegenschiß in der Geschichte der Menschheit (von der Evolution wollen wir hier gar nicht anfangen).
Da Tauben nicht das frisch zubereitete (Insekten, Früchte) sondern aus der Vorratskammer der Natur leben (Samenkörner) haben sie eine sehr lange Fortpflanzungsperiode,...
Was meinst Du mit "lang" ? Im Winter gibt es dennoch keine zugänglichen Samenkörner, außer vom Menschen ausgebracht oder bevorratet.
Andersrum: Die Tatsache, dass die Tiere seit 1000 Jahren - so lange sind Stadttauben dokumentiert - leben und sich vermehren, zeigt und begründet, dass es für sie reicht. Sie können genug um in ihrem Lebensraum zu bestehen und die Natur hat genug, sie zu versorgen.
Das zeigt und begründet aber nicht gleichzeitig, daß sie einem Wildtier gleichzusetzen sind. Was heißt hier "Natur" ? Die heutigen Abfälle des Menschen ? Wie gesagt: die Dauer einer Verwilderung oder Domestikation besagt per se nichts, sondern die Veränderung des genetischen Potentials (die heute teilweise durch neue Techniken viel schneller zu erreichen wäre als jahrhundertelange Zucht oder Auslese). Und per genetischer Programmierung, sichtbar anhand der Summe der aufgezählten Eigenschaften, einschließlich der Verelendung in Städten anstatt des schnelleren Todes, ordne ich die Stadttaube den Haustieren zu.

Ungeachtet dessen kann ich ja mit dem Wiegen schon 'mal anfangen, schließlich laufen ca. 100 Tauben pro Jahr durch meine Hände. Was ist das Durchschnittsgewicht einer Felsentaube, HansWilhelm ? Ich gebe aber zu bedenken, daß bei mir natürlich gehäuft die "Mickerlinge" landen, die auch eher eingesammelt werden.
 
Hallo Vogelklappe,

Zum Gewicht (eigentlich Masse) der Felsentaube sagt der "Ornithologische Bildatlas", den ich oben schon mal zitiert habe: 260 Gramm.
Die Enzyklopädie der Brutvögel Europas (von Limbrunner, Bezzel u.a. bei Kosmos) schreibt 290 - 535 Gramm.
Grzimeks Tierleben nennt "rund 300 Gramm" und erwähnt, dass es 14 Unterarten gibt.

Beim Stöbern nach dem Felsentaubengewicht fand ich in Brehms Tierleben die folgenden Zitate von Heinroth.
"Auch heute noch sind die Felsentauben da, wo sie geschont werden, wie in der Nähe von Moscheen, z.B. bei sarajewo, zahm wie Haustauben."
Weiter
"Zieht man Felsentauben auf, so wird einem recht klar, dass gerade diese Form Haustier werden musste. Wer einmal ihre Bruthöhlen an der dalmatinischen Küste beklettert hat, der empfindet sie geradezu als Taubenschläge, denn es handelt sich häufig um zimmerartige Grotten, in denen rings an den Wänden Nischen liegen, genauso wie der Taubenzüchter im Schlag die Brutgelegenheiten anbringt. Die Felsentaube betrachtet eine solche Höhle offenbar nicht nur als Nist- sondern überhaupt als Wohnplatz, wozu ja noch kommt, dass sich ihre Brutzeit über einen großen Teil des Jahres erstreckt"

Gruß HansWilhelm
 
Heute (Montag) Abend kommt um 21.30 auf 3-sat eine Sendung über Strassen- und Felsentaube unter dem Tietel: "Tiere im Kreuzfeuer". Das Verhalten von Strassentauben wird dabei mit dem Verhalten der auf Sardinien wildlebenden Feldsentaube verglichen. Passt sehr gut in unsere Diskussion.
 
...und falls mal ein Moderator mitliest: Würdest Du bitte diskret den blöden Rechtschreibfehler im Thema korrigieren: In "Moderne" fehlt das "n". Danke.
 
Thema: Haustier oder Wildtier. Das Modere Urbane Artenspektrum

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