Eine Frage der Zeit
Bleibt die Frage, wie das Virus in kurzer Zeit vom Quinghai-See nach Deutschland gelangen konnte. Wie ein Forscherteam, das nun in der Zeitschrift „Science” erste Untersuchungsergebnisse veröffentlicht hat, hält auch Mettenleiter Wildvögel für die plausibelste Quelle. Gängigste Erklärung ist, daß Wildvögel Anfang 2006 wegen der lang anhaltenden Kälte aus Osteuropa Richtung Westen gezogen seien und H5N1 von dort mitgebracht hätten. Höckerschwäne gehörten zu den Arten, bei denen solche Winterfluchten bekannt seien. Als Hauptverdächtiger gilt aber der inzwischen bekannte beringte Singschwan aus Lettland. Singschwäne brüten in Nordrußland bis hin in den asiatischen Teil. „Hier könnte ein Kontakt zu infizierten Tieren aus China stattgefunden haben”, sagt Mettenleiter. Die weitere Verbreitung Richtung Westen könnte anschließend in Etappen erfolgt sein.
Möglich sei aber auch, daß das H5N1-Virus schon im Herbst nach Westeuropa gelangt sei, und zwar in Langstrecken-Zugvögeln wie der Tafelente. Wildenten könnten offenbar mit dem Virus infiziert sein, ohne zu erkranken. Vielleicht hätten solche Enten das Virus mitgebracht und die ständig auf Rügen lebenden Schwäne angesteckt. „Beide Möglichkeiten sind aber Hypothesen”, sagt Mettenleiter. Er gehe nicht davon aus, daß sich das Quinghai-Virus bereits deutlich länger in der Ostseeregion befunden habe: „Sonst wäre es bei dem intensiven Wildvogelmonitoring, das seit einigen Jahren in Deutschland durchgeführt wird, wohl aufgefallen.”
Fieberhaft arbeiten Wissenschaftler am FLI und anderswo in diesen Tagen daran, den Ursprung und die Ausbreitungswege des Vogelgrippevirus zu rekonstruieren, um Hinweise darauf zu erhalten, wo der Tierseuchenerreger als nächstes auftauchen könnte und wie er sich am besten bekämpfen läßt. „Genaue genetische Analysen der gefundenen Viren und entsprechende Vergleiche mit Funden in Europa und Asien ermöglichen Rückschlüsse auf den Ursprung des Virus”, sagt Mettenleiter. Dazu müsse man aber den kompletten genetischen Code der Viren von den verschiedensten Fundorten entschlüsseln und vergleichen, was eine Weile dauern werde. Auch wenn es ihm widerstrebt, kann der Virologe auf absehbare Zeit Verschwörungstheoretikern und Hobbyfachleuten nicht ganz den Boden entziehen: „Möglicherweise läßt sich der genaue Eintragsweg des Virus nach Deutschland nie vollständig nachvollziehen.”