Hallo Thomas,
> Alle medizinischen Erkenntnisse und Erfahrungen vor dem 20. Jahrhundert sind Mist?
Natürlich nicht. Aber im Wandel der Zeit erzielt die Wissenschaft doch den einen oder anderen Fortschritt. Wäre das nicht so, würden wir auch heute noch Wunden zur 'Desinfektion' ausbrennen und damit hunderttausende von Menschen jährlich aus Unkenntnis umbringen.
> Im übrigen ist die Heringsche Regel von allen bedeutenden Homöopathen des 20. Jahrhunderts (Vithoulkas, Sankaran, Morrison, Ghegas, Gawlik, Phatak, Eichelberger, Vögeli, Ortega, Candegabe u.v.a.m.) immer wieder bestätigt worden.
Ich versuch's unten nochmal weniger polemisch. Aber vorab: eine homoeopathische Regel, die von der Behandlungserfahrung von Homoeopathen bestätigt wird, ist nach wissenschaftlichen Kriterien wertlos. Genau so wie empirische Erfolge der Psychotherapie, die durch Psychotherapeuten bestätigt werden, oder die Erfolge der Tranquilizer-Therapie, die durch Allgemeinmediziner bestätigt werden. Oder die Sicherheit der Atomkraft, die durch RWE-Physiker nachgewiesen ist...
> begibst Du Dich mit bewußt peiorativen Begriffen wie Hausfrauen-Empirie wieder weit unter ein diskutables Niveau. Subjektiv und anekdotisch gefärbte Einzelerfahrungen sind hier schon deshalb nicht von Belang, weil, wie dargelegt, Generationen von Homöopathen, die in der Regel eine naturwissenschaftliche, medizinische Ausbildung hatten, diese immer wieder, und zwar bis in neueste Zeit, bestätigt haben.
Sind wir uns wenigstens über den Begriff der Empirie einig? Empirie ist die methodische, wissenschaftliche, beweisbare Beobachtung von etwas, von dem man nicht weiss, warum es funktioniert - aber halt, dass es funktioniert. Natürlich ist Medizin überwiegend eine empirische Wissenschaft, das ist unbestritten - weil man über den Menschen wenig weiss, und in eine 'black box' oben etwas reintut, und unten etwas rauskommt.
Empirie ist aber _nicht_ Lebens- oder Berufserfahrung. Der Mensch an sich ist kein rationales Wesen. Das behauptet er gerne, es stimmt aber nicht. Dass z.B. die Berufserfahrung eines Psychoanalytikers auf dem Gebiet der Psychoanalyse nicht objektiv sein kann, ist doch klar:
- der Mensch verklärt seine Erfahrungen immer, weil er zum Glück Positives besser in Erinnerung behält als Negatives (früher war halt alles besser...) Wäre das nicht so, müßte er an seinem Leben verzweifeln...
- er ist von sich selbst überzeugt. Siehe Vogelforen: jeder Tierhalter glaubt, unabhängig von Fakten, natürlich, dass nur er das beste für seine Viecher tut
- Der Experte kennt bzw. akzeptiert keine anderen Heilmethoden
- zu ihm kommen fast nur Menschen, die an diese Methode glauben
- die wenigen, die zu ihm kommen, aber nicht daran glauben, gehen schnell wieder, weil sie mit ihm keine gemeinsame Basis finden
- diejenigen, bei denen seine Methode nicht wirkt, verschwinden einfach, so dass er die Misserfolge deine Methode nie vor Augen hat
- er muss aus Gründen seiner ökonomischen wie psychischen Existenz zwingend an den Erfolg seiner Methode glauben. Weil er sonst seine eigenen Überzeugungen in Frage stellen und seine wirtschaftliche Existenzgrundlage aufgeben müßte. Und das macht fast kein Mensch freiwillig, zumindest nicht aus objektiven Erkenntnissen heraus.
Das alles hat nichts mit Homoeopathie zu tun, sondern ist rein menschliches Verhalten. Der Mensch ist halt nicht rational. So leid mir das tut, weil ich trotz allem ein vehementer Verfechter der Aufklärung bin :-/
> Sowas nennt man im übrigen Axiom
Nein. Was du meinst, ist kein Axiom, sondern eine Vermutung.
> Hering hat diese Regel zwar als erster formuliert, aber er ist nicht der einzige, der sie in der Praxis bestätigt gefunden hat, im Gegenteil. Es handelt sich hier um eine gesicherte, weil immer wieder bestätigte Grundaussage der homöopathischen Wissenschaft.
Wiegesagt, das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Wer an Ufos glaubt, sieht "immer wieder bestätigt" Ufos. Und der Hausarzt, der 'aus Erfahrung' an die Wirkung von Tranquilizern glaubt (weil er das schon an der Uni gelernt hat, weil er seit 30 Jahren keinen Fachartikel mehr gelesen hat, weil das schon immer gut war, weil seine Patienten so gut drauf sind, weil er die Patienten, die sich wegen ihrer Sucht umgebracht haben oder im stationären Benzo-Entzug sind, nie mehr wieder sieht, ...), ist auch aufgrund seiner Erfahrung davon überzeugt.
> Was für Studien mit was für einem Studiendesign schweben Dir denn vor?
Was meinst Du mit "wissenschaftlich empirisch"? Das ist meines Wissens kein Terminus technicus für bestimmte Studiendesigns. Empirisch heißt erstmal nichts als über Erfahrungen gewonnen.
Nein. Empirie ist wissenschaftlich methodisch gewonnenes, _beweisbares_ Beobachtungswissen. Subjektive individuelle Erfahrungen, und seien sie noch so zahlreich, fallen nicht darunter. An empirische Untersuchungen werden heute nicht zufällig ein paar Basiskriterien angelegt: prospektive, randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudien.
> Gibt es wissenschaftliche Studien (und wenn es welche gibt, waren sie wirklich nötig) zu der Frage, daß Asbest und radioaktive Exposition cancerogen sind,
Selbstverständlich gibt es die. Asbest verursacht Lungenkrebs, Rauchen ist canzerogen, Alkohol macht besoffen... Ob das nun induktiv oder deduktiv nachgewiesen ist, spielt keine Rolle. So lange der Nachweis wissenschaftlich geführt wurde.
> Es ist ein Irrglauben zu meinen, daß nur das wahr ist, was durch Studien (randomisiert, doppel-blind etc.) "bewiesen" ist.
Natürlich. Die Behandlungserfolge der Homoeopathie sind - im Sinne der nichtwissenschaftlichen Erfahrungen - wahr. Damit habe ich gar kein Problem: wer heilt, hat recht. Auch, wenn die behaupteten, zugrunde liegenden Dogmen unbewiesen sind. Das ist die eine Seite, und mit der kann man auch gerne werben. Klappern gehört schließlich zum Handwerk.
Sauer werde ich allerdings, wenn aus den eigenen Dogmen heraus andere Methoden madig gemacht werden, weil man nicht an sie glauben mag. Und die Hypothese der 'aussen unterdrückten' Krankheiten, die 'nach innen' wandern, ist so ein Dogma.
> Abgesehen davon bekommt die Studiengläubigkeit einen erheblichen Knacks, wenn man, wie ich, jahrelang im Bundesgesundheitsamt, Institut für Arzneimittel, gearbeitet hat. Wenn man da etwas näheren Einblick genommen hat, sieht man, daß viele Studien (auch von Pharmamultis eingereichte) oft zwar auf den ersten Blick blenden, wissenschaftlich aber keinerlei Aussagekraft haben, weil das Studiendesign nicht stimmt, Ein- und Ausschlußkriterien für Vergleichsgruppen falsch gewählt sind und vieles mehr.
Klar. Um die Zulassung von Medikamenten zu erreichen, wird IMHO zweifellos getürkt, was das Zeug hält. Da fällt ein Proband raus, da gibt es einen 'Ausreisser', und zum Schluß wird das ganze 'statistisch' so verklausuliert, dass niemand mehr weiss, wo vorn und hinten ist. Geld stinkt nicht... Es ist ja kein Zufall, dass manche Chefärzte an Uni-Kliniken mit solchen Studien zehnmal mehr Geld verdienen als mit ihrem Professoren-Gehalt :-(
> Ich will gar nicht jeden überzeugen, auch Dich nicht, denn ich bin Therapeut und kein Missionar. Mir reicht es, wenn die Homöopathie funktioniert,
Da sind wir uns doch einig: wer heilt, hat recht. Nur gegen die Behauptung, dass andere Methoden nicht heilen, sondern 'unterdrücken', wehre ich mich. Weil es für diese Hypothese kein Grundlage gibt. Es geschehen viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die unerklärlich sind. IMHO ist ein Gutteil des Erfolges komplexer medizinischer Behandlungen (ob homoeopathisch oder 'schulmedizinisch') relativ unabhängig von Wirkstoffen, sondern vielmehr abhängig von Menschlichkeit, Verständnis und Zuwendung (nennen wir es mal 'Empathie'). Auch Religion ist medizinisch wirksam, wenn der 'Patient' denn die richtige Kirchengemeinde findet. Und das ist nicht abfällig gemeint, sondern ernst.
Viele Grüße,
Stefan