Vogelgrippebilanz 2006: Der Schwan ist vom Eis - vorerst
(Lietzow/dpa) - Ein Feuerwehrmann in Schutzanzug hebt einen Plastiksack mit einem toten Schwan im Jasmunder Bodden bei Lietzow auf der Insel Rügen in ein Schlauchboot (Archivfoto vom 20.02.2006). Die Sammelaktionen an den Küsten sollte die weitere Ausbreitung der Vogelgrippe verhindern. Auf der gesamten Ostseeinsel war am 19.02.2006 der Katastrophenfall ausgerufen worden, nachdem bei bisher 79 Wildvögeln der gefährliche H5N1-Virus gefunden wurde. Vorsorglich begann im Norden und Westen Rügens die Tötung von Hausgeflügel in besonders gefährdeten Betrieben.
Von Martina Rathke und Susan Schädlich, dpa
(Riems/dpa) - Es waren Bilder wie aus einem Katastrophenfilm:
Soldaten laufen mit Atemmasken und weißen Schutzanzügen über die
Insel Rügen. Vorsichtig ziehen sie tote Schwäne vom Eis und aus
entlegenen Büschen. Armeefahrzeuge bringen Desinfektionsmittel. Und
trotz der bundesweiten Stallpflicht bricht das aggressive Grippevirus
H5N1 auf einem Geflügelhof in Sachsen aus. Wie keine andere
Tierseuche hielt die auch für Menschen ansteckende Vogelgrippe
Deutschland in diesem Jahr in Atem. Die Gefahr einer Grippe-Pandemie,
vor der Experten seit Jahren warnen, fühlte sich plötzlich näher an.
Mit dem Sommer kehrte Ruhe ein. Doch Experten rechnen damit, dass das Virus wiederkommt.
344 infizierte Wildvögel, ein Ausbruch auf einem Geflügelhof, ein
toter Steinmarder, drei angesteckte streunende Katzen - das ist die
deutsche Bilanz der Vogelgrippe 2006. Damit war die Geflügelpest, wie
die Krankheit auch heißt, eine klassische Tierseuche. Menschen waren
in Deutschland zu keiner Zeit ernsthaft in Gefahr. Anders als bei
einem Ausbruch des Vogelgrippevirus H7N7 im Jahr 2003, als sich 80
Menschen infizierten und ein niederländischer Tierarzt starb, gab es
keinen einzigen Ansteckungsfall.
Auch weltweit gesehen hat der Ausbruch in Deutschland das Risiko
für die Anpassung des Virus an den Menschen - und damit für einen
umfassenden Grippe-Ausbruch (Grippe-Pandemie) - nicht erhöht. Weit
bedeutender dafür seien Vogelgrippe-Ausbrüche in Regionen mit engem
Kontakt zwischen Geflügel und Mensch, insbesondere in Südostasien,
betont das Berliner Robert Koch-Institut. Aber: «Das Pandemie-Risiko
ist derzeit so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.»
Auch der US-amerikanische Grippeforscher Robert G. Webster ist
angesichts der weltweiten Lage beunruhigt: «Schon Mitte August 2006
waren 97 Menschen infiziert - genauso viele wie im gesamten Jahr
2005», schrieb der Forscher vom St. Jude Children's Research Hospital
in Memphis (US-Staat Tennessee) kürzlich in einem Beitrag für das
«New England Journal of Medicine». Insgesamt verzeichnet die
Statistik der Weltgesundheitsorganisation seit 2003 etwa 260
erkrankte Menschen. Mehr als die Hälfte davon sind gestorben.
Das seit Monaten strapazierte Mantra gilt weiter: Die nächste
Grippe-Pandemie kommt. Allein, niemand weiß, wann. Außer der
Einlagerung von Anti-Virus-Mitteln läuft die Forschung für einen
Pandemie-Impfstoff auf Hochtouren. Derzeit prüft die Europäische
Arzneimittelbehörde (EMEA) zwei mögliche Kandidaten für einen
Prototyp-Impfstoff, aus dem sich im Ernstfall schnell ein passendes
Vakzin entwickeln lassen soll. Denn vor dem Auftauchen eines
potenziellen Pandemie-Virus lässt sich kein Impfstoff maßschneidern.
Eine H5N1-Impfung für Geflügel, die den Anforderungen aller
europäischen Länder gerecht würde, steht aus. Das Problem: Geimpfte
und infizierte Tiere lassen sich zurzeit nicht unterscheiden. Im
Sommer 2007 will das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit
(FLI) Feldstudien mit einem so genannten Markerimpfstoff starten, der
diese Unterscheidung ermöglichen soll. Reihen-Impfungen beim Geflügel sind damit weiter Zukunftsmusik. Und sie bleiben umstritten. In China hätten solche Impfungen eine gefährliche Linie des Virus
herangezüchtet, berichteten Wissenschaftler in den «Proceedings» der
US-Akademie der Wissenschaften. In Vietnam hingegen habe die Impfung Hühner geschützt, betont Webster. Nachteil: Bei Enten schien sie nicht erfolgreich. «Und Enten sind die trojanischen Pferde des H5N1-
Grippevirus.»
Ob die Seuche in Wasservögeln auch nach Deutschland kam, darüber
rätseln die Experten weiter. Zuletzt wurde das Virus Anfang August
bei einem Schwan im Dresdner Zoo entdeckt. Seither gab es keinen
weiteren Nachweis. Das jedoch heiße nicht, dass der Erreger nicht
weiter in Wildvögeln kreise, warnt FLI-Präsident Thomas Mettenleiter.
«Ein einziger Eintrag kann eine gesamte Epidemie auslösen.» Bei
Tieren, wohlgemerkt. Und mit dem Schmuddelwetter haben die für das
Virus idealen Bedingungen gerade erst begonnen.