"Da es bisher nicht als Schande gilt, ohne naturwissenschaftliche Bildung zu sein, ist bei den allermeisten unserer Zeitgenossen die Gesamtauffassung vom Tier voller Vermenschlichungen und Voreingenommenheit." (Oskar Heinroth, 1941)
Um ein Tier zu verstehen und zu charakterisieren muss man kein Wissenschaftler und Verhaltensforscher sein, das kann jeder, der bereit ist, sein Tier genau zu beobachten und sich in es hineinzudenken.
Um komplexere Verhaltens-Zusammenhänge zu verstehen (bzw. überhaupt verstehen zu wollen) muß man sich zunächst mit dem Ethogramm der jeweiligen Art und mit (zumindest) einigen Grundlagen der Biologie/Verhaltensbiologie befassen. Die alleinige Bereitschaft "sein Tier genau zu beobachten und sich in es hineinzudenken" ist oftmals zur Beurteilung und (richtigen) Einordnung eines tierlichen Verhaltens nicht hinreichend (von den Schwierigkeiten des Begreifens der frühen Verhaltensentwicklung bei Psittaziden gar nicht erst zu reden). Nehmen wir als kleines Beispiel die "Signalsprache" der Amazonen im Bereich des agonistischen Verhaltens: Ist ein Halter nicht darüber informiert, welche Funktion dem Aufspreizen des Schwanzgefieders oder dem sog. "aggressive walking" zukommt, so wird er diese Verhaltenskomponenten auch nicht (oder nur unzulänglich) zu deuten wissen. Von rein intuitivem Umgang mit Tieren (insbesondere mit sog. "Exoten") kann ich – und dies gilt verstärkt für Anfänger in der Papageienhaltung – aus guten Gründen nur abraten. Das (Ver-)Halten von Papageien (über)fordert viel zu oft gerade unbedarfte Anfänger, denen ohne schlechte Absicht (siehe den zitierten Satz) vermittelt wird, daß "Beobachtung" und "Hineindenken" dazu ausreichen könnten, die papageiischen Pfleglinge zu "verstehen" und zu "charakterisieren". Sicher: Es gibt regelrechte "Naturtalente" im Umgang mit Tieren. Aber selbige sind in der "Papageienhalter-Szene" eher nicht so oft vertreten. Zahllose Beiträge (zuweilen regelrechte "Hilferufe") in diesem Forum und in anderen Foren zeigen sehr deutlich, daß das "Hineindenken" dort, wo das Fundament fehlt, sehr schnell an Grenzen stößt.
Von einem Vermenschlichen kann man m.E. erst dann reden, wenn man die menschliche Gefühlswelt und Denk- Handlungsweisen auf das Tier projiziert, gewissermaßen wie eine Schablone drüberlegt und dann aus zufälligen Übereinstimmungen schließt, dass das Tier genauso empfindet und handelt wie ein Mensch.
Exakt das geschieht doch (auch in diesem Forum) Tag für Tag.
Warum glauben wir, dass der Papagei nur "nachbrabbelt" und bestenfalls bestimmte Worte mit irgendwelchen Vorgängen verknüpft und deshalb das nachgebrabbelte Wort an der richtigen Stelle verwendet? Er könnte genauso gut den Sinn begriffen haben.
Weil mit Ausnahme einer Art (Graupapagei / vgl. die nicht ganz unumstrittenen Arbeiten von Pepperberg, Lynn, Kozak) bisher nichts darauf hindeutet, daß es anders sein könnte. Schmidt (1978 ) hat die akustische Nachahmung bei Papageien kategorisiert. Eine Kategorie (und darunter dürfte die von Walter geschilderte Nachahmung einzuordnen sein) sind die "Lautäußerungen mit Situationsbezug" (Vorwegnahme erwarteter Ereignisse). Eine ohnehin vorgenommene Handlung wird zur Situation passend "kommentiert". Eine beachtliche Leistung. Hoppe erwähnt das Beispiel einer Amazone, die jeden gereichten Leckerbissen mit "Mmh, ist das fein" quittierte und beim Besprühen mit Wasser die vom Halter dabei geäußerte Floskel "So, jetzt wird geduscht" zum Besten gab (Hoppe, 1981).
Mir gefällt es einfach nicht, wenn Tiere in ein wissenschaftliches Schema hineingepresst werden und wenn nicht sein kann was nicht sein darf, weil es nicht ins Schema passt.
Der umgekehrte Fall ist weit häufiger. Mir gefällt es einfach nicht, wenn Tiere in ein menschliches Schema hineingepreßt werden und wenn nicht sein kann was nicht sein darf, weil es nicht ins Schema paßt. Mir gefällt es ebenfalls nicht, wenn Tiere zu lebendigen Maschinen degradiert werden. Mir gefällt es, wenn der Mitkreatur Tier mit aller notwendigen Achtung, aber ohne unangemessene und überspitzte Angleichungen an eine (an unsere) Spezies begegnet wird. Abstand und Nähe – sie bedingen sich gegenseitig.
"Entwaffnend drastisch reagierte in einer Zeitungsredaktion einmal eine Sekretärin angesichts eines Fotos von Tierbabys: "Da schießt mir glatt die Milch in die Brust." (Baumann & Fink, 1979)
Quellen:
Baumann, P. & O. Fink (1979): Wie tierlieb sind die Deutschen?, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 22
Heinroth, O. (1941): Aufopferung und Eigennutz im Tierreich, Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Franck`sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart
Hoppe, D. (1981): Amazonen, Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart
Pepperberg, I. (1983): Cognition in the African Grey parrot: preliminary evidence for auditory/vocal comprehension of the class concept, Animal Learning and Behavior 11: 179 - 185
Pepperberg, I. (1987): Interspecies communication: a tool for assessing conceptual abilities in the African Grey Parrot, In cognition, language and conciousness: integrative levels (Greenberg and Tobach (eds), p. 31 - 56, Erlbaum, London)
Pepperberg, I. (1990): Cognition in an African Grey Parrot (Psittacus erithacus): further evidence for comprehension of categories and labels, J. Comp. Psychol. 104, 41 - 52
Pepperberg, I. (1994): Numerical competence in an African grey parrot (Psittacus erithacus), J. Comp. Psych., 108: 36 - 44
Pepperberg, I. & S. K. Lynn (2000): Possible levels of animal consciousness with reference to grey parrots (Psittacus erithacus), American Zoologist, Dec. 2000:
Pepperberg, I. M. & F. A. Kozak (1986): Object permanence in the African Grey Parrot, Anim. Learn. Behav. 14, 322 - 330
Schmidt, H. (1978 ): Sprechende und nachahmende Vögel, Minden
Gruß
MMchen