(G) - Artiekl aus der ´Welt´- "Neue Pest, alte Angst "

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© WELT.de 1995 - 2006 - Artikel erschienen am Di, 7. März 2006

Neue Pest, alte Angst - Essay
Es gibt gute Gründe, an der Übertragung durch Zugvögel zu zweifeln.
Könnte das Vogelgrippe-Virus nicht im Futtermittel der Nutztiere lauern?

von Josef H. Reichholf

Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer verschärfte Anfang März
die Maßnahmen gegen die sich unaufhaltsam ausbreitende Geflügelpest.
Sperrzonen gelten nun drei Kilometer im Umkreis um Fundstellen
infizierter Wildvögel. Zehn Kilometer sind Beobachtungszonen. Katzen
dürfen darin nicht mehr frei laufen, Hunde müssen an die Leine.
Geflügelhaltungen können nur noch autorisierte Personen betreten, also
die Betreiber selbst und der Tierarzt. Die Bevölkerung beunruhigt das
alles noch mehr, auch wenn die Verbraucherschutzminister unablässig
betonen, es handle sich bei der Vogelgrippe nur um eine Tierseuche.
Eine erhöhte Gefährdung für die Menschen sei nicht gegeben. Die
Maßnahmen drücken sichtlich anderes aus: Spezialtrupps der Bundeswehr
zur Abwehr biologischer Waffen und das Einsammeln toter Vögel mit
Hochsicherheitsspezialanzügen tragen nicht gerade zur Entwarnung bei.
Lokale Behörden sehen sich zuerst nicht, dann aber doch völlig
überfordert. Und über allem schwebt weiterhin das Rätsel, wie denn die
Vogelgrippe wirklich verbreitet wird.

Von der bisherigen Annahme, die Zugvögel wären schuld, rückt man ab;
zögerlich zwar, aber unübersehbar. Ornithologen glaubten ohnehin nie
daran, weil sich die Vogelgrippe quer zum Vogelzug von Ost nach West
ausbreitet, nicht entlang der großen Flugrouten und zudem zu den
falschen Zeiten. Das bei Rügen gelegene renommierte
Friedrich-Loeffler-Institut geriet denn auch in Argumentationsnöte,
als es die Infektion der Höckerschwäne auf Rügen den über 1000
Kilometer weiten Flügen von Singschwänen aus der hohen Tundra in
Westrußland anlasten wollte. Denn wenn ein infizierter Schwan solche
Strecken im Kraftflug bewältigen kann, sollte es nicht sonderlich
ernst um die Virulenz des Erregers stehen. Schlimmer noch: Der auf
Rügen verendete Kater, der mit dem auch für Menschen gefährlichen
Subtyp von H5N1infiziert war, hätte das für Katzen so gut wie
Unmögliche vollbringen müssen, sich draußen am Eisrand der Ostsee
einen sterbenden oder frisch toten Schwan zu holen und anzufressen, um
danach zu sterben. Noch nie ist so ein Verhalten einer Hauskatze
bekanntgeworden.

Doch nach anderen Wegen für die Ausbreitung der Seuche wird nach wie
vor viel zu zögerlich oder gar nicht ernsthaft geforscht. Dabei könnte
der mit Abstand für die Massengeflügelhaltung gefährlichste
Infektionsweg über das Futter verlaufen. Wie schon die vielen Fälle in
Südostasien legt der Ausbruch der Vogelgrippe in einer geschlossenen
Großfarm für Puten bei Lyon in Frankreich, wo Ende Februar über 11 000
Truthühner getötet werden mußten, diese Annahme nahe. Über die als
Dünger weiterverwerteten Exkremente der Geflügelhaltung, die nach
Ansicht der Virologen als Hauptquellen für die aktiven Viren anzusehen
sind, können die Erreger auf die Fluren und in die Gewässer gelangen
und dort offenbar sogar von Fischen aufgenommen und weiterverbreitet
werden. Das geht aus den an Vogelgrippe gestorbenen, aber mit Fischen
gefütterten Zibetkatzen in Vietnam hervor. Gründlich müßte daher
kontrolliert werden, was über die Futtermittel in die
Geflügelhaltungen hineinkommt und was an Abfällen, die weiterverwertet
oder als Abwasser ausgeleitet werden, diese wieder verläßt, um einen
solchen Infektionsweg auszuschließen. Die Entwicklungen mit der
Vogelgrippe in Ostasien passen viel besser zum Konzept, daß sich
Wildvögel an infiziertem Hausgeflügel und dessen Hinterlassenschaften
ansteckten - und nicht umgekehrt!

In dieser Situation voller Unklarheiten und Annahmen taucht
unweigerlich die Frage auf, wozu die in Deutschland verfügten
Beschränkungen und Kontrollmaßnahmen gut sein sollen. Zweifellos
dienen sie zuallererst dem Schutz der Massenhaltungen von Geflügel.
Sie sollen Produktion und Export von deutschem Geflügelfleisch
sichern. Daß mit dem Stallzwang alle kleinbäuerlichen und privaten
Haltungen von Hühnern, Enten, Pfauen und Gänsen schwerstens getroffen
oder ruiniert werden, die Massengeflügelhaltung jedoch nicht, wird
billigend in Kauf genommen. Dabei ist es ähnlich abwegig und durch
nichts bewiesen, anzunehmen, daß ein mit Vogelgrippe infizierter
Schwan kurz vor seinem Ende noch das Bedürfnis verspüren könnte, auf
einem Hühnerhof zu landen, wie es höchst unwahrscheinlich ist, daß
sich Zugvögel ausgerechnet über dem Hof entleeren und dabei die
freilaufenden Hühner infizieren. Für solche Vorgänge fehlt jeder
konkrete Hinweis, auch wenn Virologen in Labortests die
Infektionsfähigkeit von Vogelkot zweifelsfrei nachweisen.

Der Bundeslandwirtschaftsminister und die mit der Bekämpfung der
Vogelgrippe befaßten Behörden und Institutionen haben diese
Möglichkeit selbst nicht wirklich ernst genommen. Andernfalls hätte
letzten Herbst kein Gemüse mehr von den Feldern und kein Obst aus den
Gärten auf den Markt gebracht werden dürfen, nachdem Zugvögel zu
vielen Tausenden über deutsche Fluren geflogen waren. Zum Schutz der
Bevölkerung müßte zukünftig die Nutzung von Freilandgemüse verboten
werden. Die Uferbereiche sämtlicher Gewässer, sogar die Badeseen,
wären zu Sperrzonen zu erklären, weil dort die vom
Friedrich-Loeffler-Institut für besonders gefährlich gehaltenen
Wasservögel andauernd ihre Exkremente hinterlassen. Noch mehr gilt das
für die Stadtparkgewässer, auf denen sich genau jene Vogelarten zu
Hunderten tummeln und von den Menschen füttern lassen, bei denen in
Deutschland H5N1-Infektionen nachgewiesen worden sind: Höckerschwäne,
Stockenten, andere Entenarten und Möwen. Doch diese Orte, an denen
sich Wasservögel und Menschen in großer Zahl am nächsten kommen,
bleiben offenbar vom Krisenmanagement gänzlich unberücksichtigt. Die
verschärften Bestimmungen betreffen zwar alle Landwirte, die nebenbei
Hühner und Enten halten, nicht aber die Jäger, obwohl sie mit Fasanen,
Wildenten und mit Füchsen hantieren. Dabei sollten sich Füchse weit
eher als freilaufende Katzen an verendeten Vogelkadavern anstecken.
Sie räumen diese nachts ab, bevor am Morgen der Suchtrupp kommt. Vom
eingesperrten Geflügel können Ratten und Mäuse ohnehin niemals
ferngehalten werden.

Deshalb müssen wir wohl in Zukunft mit dem Vogelgrippe-Virus leben.
Vielleicht tun wir das schon seit Jahren und wußten es bloß nicht.
Weil tote Vögel, die es nach jedem strengen Winter in großer Zahl
gibt, daraufhin nicht untersucht worden sind. Oder weil das Virus
gesunden, kräftigen Vögeln weit weniger anhaben kann als dem zu
Zigtausenden in der Massenhaltung zusammengepferchten Geflügel. Wer
die Zugvögel für die Hauptverbreiter der Seuche hält, muß von der
geringen Gefährlichkeit der Geflügelpest für freilebende Vögel und für
den Menschen ziemlich überzeugt sein. Wer dagegen die Vogelgrippe für
höchst gefährlich einstuft, sollte dringend nach anderen
Infektionsquellen suchen. Mit Labortests an toten Tieren allein werden
sich die Ausbreitungswege der Viren in der Natur sicherlich nicht
ausreichend erfassen lassen. Beim Ernstfall geht es aber um die ganze
Bevölkerung, um die gesamte Natur und was wir in Zukunft draußen noch
machen können werden. Zu fordern ist daher absolute Priorität für die
Menschen. Danach erst kommt das Geflügel. Der Autor ist Ornithologe
und Zoologe in München.
 
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