Zum anderen haben bereits frühere Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe gezeigt, dass Jugendliche ganz generell den Nutzenaspekt aus ihrem Naturverständnis aussparen.
So tauchen in den freien Assoziationen Jugendlicher zum Thema Natur grundsätzlich keine Nutzpflanzen und -tiere auf. Natur ist aus ihrer Perspektive etwas jenseits des menschlichen Zugriffs, selbst Nationalparks und Naturschutzgebiete werden als von Menschen eingerichtete Zonen nur von der Hälfte der Jugendlichen als echte Natur anerkannt.
Der Hightech- Generation ist nicht mehr hinreichend bewusst, dass und in welch hohem, ja ausschließlichem Maße Existenz und Wohlergehen der Menschen (und damit auch ihrer eigenen Person) von der Nutzung der Natur abhängt. Ihre Erfahrung mit der Existenzsicherung konzentriert sich auf den Faktor Geld und endet beim Abgreifen von Konsumgütern im Supermarkt. Natur hat aus dieser Sicht mit alledem kaum etwas zu tun und kann daher vorrangig aus der Moral- und Genuss-Perspektive betrachtet werden.
Wenn aber die Bedeutung der Natur als Rohstofflieferant nicht mehr erfahren, der Bezug zum eigenen Konsum nicht mehr hergestellt wird, erscheint jede wirtschaftliche Nutzung derselben, besonders wenn sie in großem Maßstab erfolgt, als verwerflich, da sie natürlich Gewachsenes sinnlos zerstört. Von daher neigt die junge Generation dazu, jeden utilitaristischen Natureingriff im Grundsatz abzulehnen, insbesondere wenn er nur um des schnöden Mammons erfolgt.
Das Bambi-Syndrom:
Auch wenn man dies den jungen Menschen angesichts des Auseinanderfallens ihrer Lebenswelt in ein hochartifizielles Flickwerk aus Bildschirmeindrücken, Bildungsfragmenten und Inselerfahrungen kaum vorwerfen kann, resultiert daraus eine dramatische Fehlbeurteilung des Stellenwerts der Natur für unser Leben.
Sie repräsentiert offenbar nunmehr eine Art kindlichen Paradieses, das es mit allen Mitteln zu bewahren gilt. In der Gefühlsbesetzung dieses Paradieses generalisiert sich das infantile Verhältnis zu Haus- und Schmusetieren, die Natur als Ganze wird bambisiert. Um zum Beispiel des Waldes zurückzukommen. Der junge Baum (sozusagen die Babypflanze) muss gehätschelt werden, das umsägen des erwachsenen Baums wird emotional als Tötung oder gar Mord erlebt.
Jäger sind Tiermörder:
Noch eindeutiger fällt die Abwertung der Jäger aus. Schon von der Bezeichnung her auf das Töten von Tieren festgelegt, verstößt ihre Tätigkeit massiv gegen die Bambi-Fiktion.
Auf der Basis einer stärker affektiv geladenen Begrifflichkeit kippt die Bewertung jedoch ins Negative. Über die Hälfte bezeichnen die Jägerei als schädlich für den Wald, kaum mehr als ein Viertel als nützlich. Hier bricht das Bambi-Syndrom voll durch und schwemmt das angelernte Wissen von der notwendigen Bestandsbegrenzung hinweg: Tiere umbringen ist böse und kann daher auch nicht für den Wald gut sein.
Wie weit bei diesem Urteil elementare Emotionen im Spiel sind, zeigt seine Radikalisierung. In der Klassifizierung des Jägers als Tiermörder wird das Bambi-Syndrom gleichsam auf den Punkt gebracht. Und es sind nicht weniger als 44% der Befragten - unter den Jüngeren sogar die Mehrheit - die dieser Klassifizierung zustimmen, etwas weniger verneinen sie. Mit nur 14% Stimmenthaltungen erweist sich das Mörder-Item als extrem polarisierend. Für die Hälfte der heutigen Jugend ist aus der unter unseren Vorfahren existenzsichernden Tat also ein heimtückischer Mord geworden.
Das heißt aber andererseits, dass die im Mörder-Etikett zum Ausdruck kommende Bambisierung der Natur nicht zuletzt auch eine Folge größerer Naturdistanz ist und somit ein weiteres Indiz jugendlicher Naturentfremdung darstellt. Wo die eigene Erfahrung fehlt - und das zeigt sich auch in der Altersreihe - ist mehr Raum für Fantasien, Klischees und Bauchurteile, die im Falle der Jagd zu Ungunsten ihrer Vertreter ausfallen.
Nimmt man noch die traditionelle Geschlechterdifferenz hinzu, dann erweist sich die Jägerei insgesamt als am stärksten polarisierendes Thema der gesamten Naturstudie. Dass die Mädchen gerade an dieser Stelle dem pflegerischen Bambi-Habitus mehr zuneigen als die forschen Jungen, lässt sich leicht auf die klassische Geschlechterrollenverteilung zurückführen