Kritische Gedanken zur "Vogelrettung"

Diskutiere Kritische Gedanken zur "Vogelrettung" im Forum Pflege und Aufzucht im Bereich Wildvögel - Ach auf die Gefahr hin, dass ich mich hier mit meinem Beitrag in die Nesseln setzte, ein paar kritische Gedanken zur Vogelaufzucht von Hand. Seit...
Klara-Musik

Klara-Musik

Stammmitglied
Beiträge
382
Ach auf die Gefahr hin, dass ich mich hier mit meinem Beitrag in die Nesseln setzte, ein paar kritische Gedanken zur Vogelaufzucht von Hand.

Seit drei Wochen wohnt bei uns ein Meisenjunges, welches aus den Fängen einer Katze gerettet und zu mir gebracht wurde.
Mit einigem Einsatz und Umsetzung vieler guter Ratschläge hier (Danke Astrid!) geht es dem Federbällchen gesundheitlich prima und er hat sich zu einem kleinen Jungvogel gemausert.
Er bekommt Futter möglichst in halb lebend in einer Schale gereicht, sitzt im natürlich eingerichteten Käfig, bekommt täglich Freiflug und frische Luft auf der Terrasse und hat sowenig wie möglich Kontakt zu seinen Pflegeeltern.
Soweit so gut....

Aber.....

Im Freiflug sind der liebste Landeplatz Kopf, Haare, Brille der jeweiligen Aufsichtsperson. Von Scheu keine Spur. Da noch mehr Tiere im Haushalt wohnen und der Kontakt sich nicht 100%tig vermeiden lässt, besteht auch hier nicht die Scheu, die er aus meiner Sicht für ein Überleben in freier Natur braucht.
Ist das nicht eigentlich unser Ziel?

Sicher ist es auf der einen Seite schön und niedlich, wenn so ein Zwerg so viel Vertrauen hat, aber damit ist er nun mal nicht überlebensfähig.

Also war die ganze Arbeit umsonst?
Ein artgerechtes Leben kann ich ihm in unserem Haushalt nicht bieten. Geeignete Volieren im Umkreis sind nicht zu finden.

Ich bin überzeugt davon, dass es nicht nur mir so geht. Unser Findelkind war ja schon recht groß. Hat sicher noch Geschwister und Altvögel bewusst wahrgenommen.

Wie ist dann die Prägung, wenn die Vögel noch kleiner sind und nur die menschlichen "Eltern" kennen?
Haben sie überhaupt eine Chance auf ein Leben in freier Natur?
Ab wann macht eine Aufzucht Sinn?

Mitgenommen ist so ein Tierchen schnell. Schließlich muss man (Frau) es einfach retten.
Aber....
Ist man tatsächlich in der Lage alle Stunde zu füttern?
Wie sieht es mit der Beschaffung des passenden Futters aus?
Auch die Kosten sind nicht zu vernachlässigen.
Hat man die Möglichkeit einer halbwegs artgerechten Unterbringung.
Empfohlen ist die schrittweise Auswilderung mit Artgenossen in einer großen Voliere im Garten - wer kann das schon.
Auswilderung im eigenen Garten - und die Katzen? 4 Wochen gepflegt und dann liegt sie als Geschenk auf dem Fußabtreter.
Legen sie ihr Vertrauen in die Menschen dann nach Auswilderung ab oder werden sie aus Versehen vom nächsten Spaziergänger erschlagen, wenn sie ihm auf den Kopf oder ins Gesicht fliegen?
Reicht der natürliche Instinkt um genug Futter zu finden, wenn ich keinen habe, der mir zeigt, wie das geht?

Ist es dann nicht in manchen Fällen besser der Natur ihren Lauf zu lassen?

Bitte nicht falsch verstehen, ich habe größten Respekt vor allen, die sich dieser Mamutaufgabe stellen und würde selbst in diesem Fall wieder so handeln.

Nicht umsonst werden Eier aus dem Nest geworfen oder Jungvögel, die zu schwach sind.
Tun wir dann wirklich etwas Gutes?

Ich hoffe sehr, dass es unsere Meise schafft, bin aber sehr skeptisch.
 
Das sind sehr gute und zutreffende Gedanken. Solche Überlegungen hatte wohl jeder "Päppler" (blödes Wort, aber mir fällt kein Passenderes ein) schon mal.

Wir stellen unseren Wildvogelkindern - wenn denn mal eins da ist, was zum Glück nicht jedes Jahr vorkommt - eine größere Voliere zur Verfügung und ziehen uns zur Auswilderung mehr und mehr zurück. Einer Kohlmeise haben wir auch schon das komplette Badezimmer zur Verfügung gestellt. Darin konnte sie fliegen, sie hatte Äste, ihren Schlafplatz, ihren Futterplatz - und ab und zu uns. Duschen mit Meise, eine witzige Sache :zwinker: Später Fenster auf und so konnte sie raus und rein, wie sie wollte. Je länger ihr Aufenthalt draußen in der Freiheit war, desto scheuer wurde sie. Sie kam immer seltener und irgendwann gar nicht mehr, zum Schluss war sie fast wie die anderen Meisen, nur mit dem Vorteil, die besten Futterplätze zu kennen und auch frech zu nutzen.

Zwei andere aufgezogene Kohlmeisen zogen als Geschwisterpaar los und waren noch recht lange zutraulich. Sie besuchten nicht nur uns noch lange nach der Auswilderung, sondern auch die Nachbarin, die Mandelblättchen für sie herauslegte. Diese Nachbarin konnte sehen, dass zumindest eine der beiden Meisen im nächsten Jahr eine Brut in ihrem Garten aufzog. Es war ganz sicher unsere Meise, denn sie war als einzige beringt.

Also... trotz allem... ein Überlebenserfolg. Was vielleicht nicht für alle Vogelarten gilt, aber die äußerst klugen Meisen können nach einer Aufzucht in Menschenobhut draußen bestehen.

Aber ehrlich, auch wenn ich diesen Beweis nicht hätte, ich würde es immer wieder tun. Einen Versuch ist es immer wert, einem Tier aus einer Notsituation zu helfen, egal ob Insekt, Vogel oder Säugetier. Der Mensch greift überall schädigend in seinen Lebensraum ein, warum dann nicht mal aus Empathie :)

LG Evy
 
Haben sie überhaupt eine Chance auf ein Leben in freier Natur?
Ab wann macht eine Aufzucht Sinn?
Grundsätzlich mus man sich mal vor Augen halten das es nur sehr wenig Küken bis ins nächste Jahr schaffen. Um es genauer zu sagen wird ein Meisen Pärchen in ihrem ganzen Leben etwa 2 Junge wirklich groß bekommen. Ansonsten müsste die Population ja immer größer werden.
Gilt auch für alle anderen Arten.
Trotzdem glaube ich das gerade die gepäppelten Vögel eine gute Chance haben denn sie werden in der Regel länger in Obhut gehalten als bei ihren eigenen Eltern.
Am besten wäre den Vogel samt Käfig auf einen Balkon (Kazensicher) zu stellen und wenn er die Umgebung kennt den Käfig zu öffnen und trotzdem da noch weiter füttern.
Gruß
Terra.
 
Balkon gibt es leider nicht und in den Gärten in näherer Umgebung ca. 300 m Umkreis ca. 7 Katzen.....
 
Thüringen
Wald gibt es hier genug. Ich werde wohl eine Gegend wählen, in der möglichst wenig Menschen hinkommen. Auch wenn es auf der einen Seite schön wäre ihn hier in der Nähe zu haben, ist die Angst dass der Kater ihn dann auf die Fußmatte legt, doch zu groß.
 
Das bedeutet allerdings das die Meise von jetzt auf gleich alleine klar kommen muss.
Gruß
Terra
 
Klara-Musik, ein sehr schöner Beitrag, der gut ausdrückt, was ich auch immer (leider meist auf weniger empathische Art) zu schreiben versuche.
Häufig kommen die meisten "Amateur"-Päppler gar nicht so weit, dass der Jungvogel gesund flügge wird, aber selbst wenn - man muss sich irgendwann dem Problem der Fehlprägung stellen. Ich habe eine Zeit lang in einer Wildtier- und Aufzuchtstation gearbeitet und dort gibt es einfach ganz andere Möglichkeiten, Vögel zu sozialisieren und auszuwildern. Hätte man einen katzensicheren Garten mit großer Voliere, in dem man am besten gleich junge Meisen aus dem ganzen Umkreis aufnehmen kann, wären Auswilderung und Sozialisierung deutlich erfolgversprechender.

Was mich immer sehr verärgert, ist, dass häufig diese Möglichkeit gegeben wäre, aber die Leute sich nicht von ihrem nun zahmen Hausgenossen trennen wollen. Gerade dieses Wochenende hatte ich den Fall im engen Bekanntenkreis und es gehörte sehr, sehr viel gutes Zureden dazu, damit die betreffende Amsel endlich aus der Privatwohnung in eine Auswilderungsvoliere mit anderen Amseln umziehen durfte. Dieser Egoismus, oft schon in viel früheren Phasen, führt dann mitunter nicht nur zum nicht-erfolgreichen Auswildern, sondern schon zum Tod während der Aufzucht durch falsches Futter etc.

Du fragst:
Nicht umsonst werden Eier aus dem Nest geworfen oder Jungvögel, die zu schwach sind.
Tun wir dann wirklich etwas Gutes?
Bei meinem Turmfalken (ich bin Falknerin) dachte ich das letztes Jahr auch. Ein winziges Männchen (145g), das aus dem Nest geschubst wurde, noch bevor es flügge war. Vermutlich ist es einfach so ein "Verlierer" gewesen, schwächer als die Geschwister und eben zum Tode verurteilt. Ich habe ihn wieder fit gemacht und ausgewildert, aber währenddessen auch immer gedacht: Wie lange schafft er es wohl? Zögert man hier nur etwas künstlich hinaus? Sehr, sehr schwer zu sagen. Wenn mir wieder jemand einen Jungvogel in die Hand drückt, würde ich es wohl wieder machen. Zum Glück kann man ja meist die Eltern oder das Nest wieder ausfindig machen - das wird meiner Meinung nach auch viel zu selten versucht.
 
Zum auswildern hätte ich, vor ort 3 Möglichkeiten die ich anhauen könnte. Eventuell könnte ich auch einen Transport von Thüringen nach bawü organisieren muss dass aber erst abklären. Da melde ich mich aber nochmal.
Was die Frage generell angeht, für die Natur macht es vermutlich kein Unterschied ob man päpelt oder nicht aber für das Individuum. Es ist und bleibt eine Herz über Kopf entscheidung.
Hier noch ein dickes Lob für deinen Einsatz!
 
Thüringen
Wald gibt es hier genug. Ich werde wohl eine Gegend wählen, in der möglichst wenig Menschen hinkommen. Auch wenn es auf der einen Seite schön wäre ihn hier in der Nähe zu haben, ist die Angst dass der Kater ihn dann auf die Fußmatte legt, doch zu groß.

In Thüringen gibt es auch Wildvogelauffangstationen, wäre das denn keine Option für Dich den Vogel noch
dahin zu geben Klara-Musik statt den Vogel einfach irgendwo auszusetzen. Eine Meise die ohne Gruppe von jetzt auf gleich auf sich allein gestellt ist, hat keine besonders guten Überlebenschancen.


*
 
ich habe inzwischen einen Platz in einer Auswilderungsvoliere für unseren Pflegling gefunden, ca. 1 Autostunde von hier. Am Wochenende ist vermutlich Umzug.
 
:zustimm:

Qwert: Deine drei Auswilderungsmöglichkeiten in Ba-Wü könnten evtl. auch mir mal sehr nützlich sein :) Bei Meisen und Sperlingen kriegen wir die Auswilderung selber hin, aber Bodenvögel wie Hausrotschwanz und Amsel können wir nicht auswildern wegen den Nachbarskatzen.
Verrätst Du mir Deine Geheimtipps (lieb guck)?

LG Evy
 
@Evy Es sind keine offizielle Stellen sondern Bekannte von mir die entweder am Ortsrand oder auf einsiedlerhöfen (beides ohne Katzen)leben und die zumindest grundkentnisse über Vögel haben. Bei Bedarf kann ich mal nachfragen.
 
Danke Dir. Es beruhigt mich schon zu wissen, dass es in meinem Bundesland eine katzenfreie Gegend gibt, wo ich im Notfall einen aufgezogenen Vogel auswildern kann. Was hoffentlich dieses Jahr nicht passiert. Ich würde mich in diesem Fall einfach bei Dir melden :)
 
Thema: Kritische Gedanken zur "Vogelrettung"
Zurück
Oben