Reizthema : handaufgezogene Agaporniden

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Wen's interessiert, etwas Theorie: Prägung und Sozialisation

Moin moin!

Was die Folgen der Handaufzucht betrifft stimme ich (welch Überraschung*gg*) mit Wagtail überein.

Aber eine nicht so kleine Anmerkungen dennoch:

Bei der Prägung handelt es sich durchaus auch um einen Lernprozess.
Angeboren ist lediglich, dass dieser Lernprozess nur innerhalb eines ganz bestimmten Zeitraumes (der sogenannten sensiblen Phase) stattfinden kann. (Vereinfach kann man sagen, es stehen mögliche Verbindung im Gehirn zur Verfügung, die nur innerhalb einer bestimmten Phase hergestellt werden können, danach nicht mehr).
Wird es in dieser Zeit nicht gelernt, kann es praktisch niemals richtig erlernt werden.
Bzw. wird das "falsche" gerlernt, bleibt es ein Leben lang erhalten.
Die Prägung als Lernprozess zeichnet also nicht nur aus, dass sie nur in einem bestimmten Zeitraum möglich ist, sondern auch, dass der Lernprozess eigentlich nicht mehr rückgängig zu machen ist: es kann nicht wieder verlernt werden (die Verbindungen im Gehirn können sich nicht wieder lösen - das ist natürlich sehr vereinfacht).

Mit anderen Worten: wenn Graugänse innerhalb der sensiblen Phase statt den Grauganseltern den Menschen gesehen haben, sehen sie den Menschen ein Leben lang als Artgenossen an.

Nun spricht einiges dafür, das es sich bei Papageien nicht um eine Prägung handelt.
Zum einem handelt es sich nicht um Nestflüchter wie Graugänse.
Für diese ist es aiusgesprochen wichtig, möglichst gleich nach der Schlüpfen ihre Artgenossen zu erkennen, damit sie den auch folgen.
Papaggeien dagegen sind Nesthocker, zudem noch in einer vergleichsweise dunklen Höhle, wo fraglich ist, was sie wie überhaupt erkennen.
Eine schnelle Prägung auf Artgenossen ist daher nicht notwendig, der Lernprozess kann ruhig längere Zeit in Anspruch nehmen.

Zum anderen gibt es zahlreiche Beispiele, wo von auf den fehl"geprägten" Papageien berichtet wird, die dennoch nach weniger oder meist mehr langer Zeit andere Papageien als ihre Artgenossen ansahen und z.T. auch eine Brut begannen.
Der Erfolg scheint jedoch unterschiedlich zu sein: bei einigen Arten ist die Aufhebung der Fehl"prägung" einfacher, bei anderen sehr sehr schwierig (mein persönlicher Eindruck: bei Agas sind die Auswirkungen nicht so extrem wie bspw. bei Amazonen, bei Amazonen oft nicht so stark wie bei Graupapageien).

Nun kann man einwenden, das es sich in solchen Fällen nicht um wirklich um eine Fehl"prägung" gehandelt hat, sondern der Vogel eben gelernt hat, den Menschen als Ersatzpartner anzunehmen und später die eigenen Artgenossen wiedererkannt hat.
Das setzt aber voraus, das die Prägung doch in Einzelbereichen aufhebbar und somit im ursprünglichen Sinne keine Prägung mehr ist (wobei tatsächlich einige Fachleute die Irreversibilität der Prägung anzuzweifeln begannen).
Man kann also auch argumentieren, dass die Fähigkeit, einen Menschen als Ersatzpartner anzunehmen und ihm gegenüber Verhaltensweisen zu zeigen, die nur Artgenossen gezeigt werden (Füttern, soziale Gefiederpflege, allgemeine S e x ualverhalten) ausschließt, dass das Erkennen von Artgenossen auf dem irreversiblen Lernmachanismus Prägung basiert.
Ein geprägtes Tier kann zwar zahm werden, aber würde wahrscheinlich niemals diese Verhaltensweisen zeigen, da Menschen für ihn eben keine Artgenossen sind .

Unter anderem wegen dieser Bedenken habe ich bislang immer den neutraleren Terminus "Fehlfixierung" vorgezogen, da er über die Art und Weise des Lernens nichts aussagt.

Allgemein scheint sich aber zunehmend durchzusetzen, bei Papageien von einer anderen Form des Lernens, der Sozialisation, auszugehen.

Sozialisation als ist ein sozialwissenschaftlicher wird vorrangig auf Lernprozesse beim Menschen bezogen.
Er bezeichnet dann einfach gesagt einen Anpassungsprozess, in dem ein Individuum in tätiger Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt die sozialen Normen, Werte und Verhaltensweisen in einer Gesellschaft verinnerlicht bzw. die verschiedenen Rollen mit ihren Werten und Normen in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen (Familie, Schule, Beruf, Gleichaltrigengruppe etc.)
Im Gegensatz zur Prägung ist Sozialisation ein Prozess, der nie abgeschlossen wird, sondern lebenslang stattfindet und bei dem Erlerntes auch immer wieder verändert werden kann.

In der Biologie wird Sozialisation meist nur als ein im Kontakt und in der Auseinandersetzung mit Artgenossen erlerntes Sozialverhalten reduziert.
So wird bspw. das im Konatkt mit den Elternteiren erworbene Sozialverhalten zunächst auf andere Artgenossen übertragen und modifiziert.

Der Sozialisationsbegriff in diesem Sinne erklärt meiner Meinung nach einige Verhaltenweisen bei fehlfixierten Papageien besser, läßt einem zudem die Hoffung, das duirch eine möglichst artgerechte Paar- oder Gruppenhaltung Defizite ausgeglichen werden können, birgt zugleich aber auch die Gefahr, dass die Folgen der Handaufzucht ( da ja vorgeblich rückgängig zu machen) weniger dramatisch erscheinen als sie in der Praxis der Papageienhaltung oftmals wirklich sind.
 
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