Gutes Thema August!
Die Diskussion wird gerade im Zeitalter der Antibiotikaresistenzen immer wichtiger. Es mag sein, daß man damals immer gern herumexperimentiert hat, das lag aber oftmals daran, daß man kein Vertrauen in die Künste der Tierarzte legte.
Lies aber bitte mal in alten Zuchtberichten nach, bei der Eingewöhnung von Importen. Da steht in aller Regel nichts von Kotuntersuchung, obwohl der Vogel noch fit da steht. Da steht erstmal Baycox, ggf. im Wechsel mit ESB3, dann noch eine Wurmkur, usw. egal, was der Vogel nun wirklich hat. Dies gibt es heutzutage leider auch noch in Form vorbeugender Kuren, Baycox, Baytril, Tylan alles vor und nach der Zucht, gegen schwarzen Punkt usw.. Das sind dann aber noch nicht mal immer nur einige Carduelidenzüchter, sondern selbst die kleinen und großen Ausstellungszüchter von Kanarien, Wellensittichen, Zebrafinken, usw. machen z. T. solche vorbeugenden Kuren mit dem ganzen Bestand. Nicht nur das, die Antibiotika und Co. werden meistens auch noch unterdosiert und zu kurz oder in falschen Intervallen gegeben, da es ja nur zur Vorbeugung dient.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß ich auch mal daran glaubte, daß jeder Vogel Kokzidien hat. Wenn mal einer dumm da saß, gab ich erstmal Baycox. Als ich dann aber doch mal den Kot eines unfitten Neuzugangs mikroskopierte anstatt blind zu behandeln, fand ich Darmflagellaten. Ich besorgte mir Ronidazol beim TA und dem Vogel ging es nach 2 Tagen wieder bestens. Die Vögel, die mit diesem Tier Kontakt hatten wurden auf TA-Empfehlung natürlich ebenfalls behandelt. Hätte ich wie damals noch üblich erstmal "blind" gegen Kokzidien behandelt, hätte ich wertvolle Zeit verloren und den Vogelorganismus nur unnötig belastet. Ohne Mikroskop, wäre ich in die nächste Klinik gefahren, da der Kot für diesen Nachweis frisch sein muß, damit sich die Parasiten noch bewegen.
Es ist mit Sicherheit kein Züchter ein "Schwein", wenn er einen kranken Notfallpatienten nach bestem Wissen und gewissen behandelt, während die Kotuntersuchung noch im Gange ist und wertvolle Zeit verstreicht. Man muß -wie Jörg schon schrieb- in diesen öffentlichen Foren aber auch mal an die planlosen Leute denken, die ggf. mitlesen und auf der Suche nach neuen Wundermitteln sind, weil sie keinen Bock haben 30 € beim TA zu lassen.
Extra für Lothar und andere, die daran glauben, daß Kokzidien unweigerlich zum Ziervogel gehören:
Nicht jeder Vogel hat unweigerlich Kokzidien! Es gibt Vogelarten, die häufiger Kokzidien an Bord haben und solche die eben seltener damit behaftet sind. Da es hier um Waldvögel geht habe ich diesbezüglich in den Vogelkliniken Essen und Giessen angerufen, dort konnte man mir weitgehend bestätigen, daß Kokzidien bei weitem nicht so häufig gefunden werden, wie z. B. Megabakterien, die inzwischen in beinahe jeder Vogelstube vorhanden sein dürften.
In Hannover beantwortete man mir diese Frage -wie ich finde-deutlich differenzierter und detaillierter:
Es stimmt zwar, daß Kokzidien nicht unweigerlich in jedem Vogel stecken, unter Cardueliden sind Kokzidien jedoch ziemlich häufig! Weiterhin heißt eine negative Kotprobe ohne Oozysten noch lange nicht, daß ein Vogel kokzidienfrei ist. Ohne den Vogel gänzlich von seinem Kot zu trennen wäre dies beinahe unmöglich. Kokzidien verweilen salopp gesagt in einer Art "Ruhestadium" in den Organen bzw. in der Leber und brechen erst dann wieder so richtig aus, wenn der Vogel Streß bekommt (Ausstellungen, zu hohe Besatzdichte, ungeeignete Unterbringung, Transport,...) oder im Dreck lebt (ständige Reinfektion). Diese Ruhestadien seien weder mit Baycox noch mit ESB ausreichend zu erreichen, vorbeugende Kuren helfen also nicht wirklich. Das heißt, wenn ich einen mit Kokzidien behaftenen Vogel anständig halte und nicht großartig umsetze kann es sein, daß ich fast nie eine Oozyste im Vogelkot finde! Weiterhin seien Vögel mit leichtem Kokzidienbefall eine gewisse Zeit immun gegen weitere Kokzidien (ähnlich funktioniert die Kokzidien-Impfung beim Huhn). Ein Vogel mit Kokzidien hat obendrein noch längst keine Kokzidiose! Bei manchen Kokzidienarten reichen gemäß meiner schlauen Literatur 300-1000 Oozysten aus, um eine Kokzidiose auszulösen, während andere Kokzidienarten dazu die zehnfache Menge Oozysten brauchen.
Was lernt man daraus?
Ein Vogel mit geringem Kokzidienbefall ist zwar eine Weile resistent (auch ohne Kuren), aber es bleibt immer ein gewisser "Eiertanz", die exakt richtige Menge Oozysten im Vogel zu haben, um ihn zu immunisieren aber eben nicht krank zu machen. Jeder Streß kann hier zum Problem werden
Das eine Extrem besteht darin die Vögel steril auf Gittern zu halten (obwohl hier auch immer mal wieder Reinfektionen möglich sind, nicht jedes Häufchen fällt nach unten durch) und ein bis zweimal im Jahr gegen Kokzidien zu behandeln. Kommt solch ein kokzidienfreier Vogel in eine "normale" Haltung, erkrankt er beinahe sicher an Kokzidiose und fällt höchstwahrscheinlich um!
Das andere Extrem besteht darin die Vögel in einer Art Massentierhaltung im Dreck zu halten und sämtliche Probleme sehr häufig oder gar dauerhaft mit Medikamenten zu unterdrücken. Hier wird jeder cm² des Vogelraums zur Zucht genutzt, die Bude stinkt und frische Luft kommt auch nur selten rein.
Ich habe mich seit ein paar Jahren für einen Mittelweg entschieden. Ich wechsele/drehe den Bodenbelag (Wellpappe) einmal pro Woche und mache nur 1-2mal im Jahr grundlegend sauber (meist dann, wenn mir die Optik nicht mehr gefällt). Dadurch haben die Tiere genügend Zeit im Dreck zu "spielen" und können sich so auch problemlos mit gereiften Oozysten infizieren (Oozysten brauchen etwa 1-2 Tage an der Luft, bis sie infektiös werden, alles andere wird nur verdaut). Das ist kein Patentrezept für jedermann, aber ich fahre bisher ganz gut damit. Ich verliere natürlich trotzdem immer mal wieder den einen oder anderen Vogel in der Jugendmauser. Für veröffentlichte Fotos wird der zu fotografierende Bereich natürlich erstmal gründlich gereinigt wegen der Tierschutzspinner, die unser Hobby verbieten wollen.
Vorbeugende Baycox-Kuren bei gesunden Vögeln machen also wegen der versteckten "Ruhestadien" der Kokzidien keinen Sinn und belasten die Vögel nur. Man erwischt Kokzidien also nur richtig, wenn sie sich "aus der Deckung wagen" bzw. wenn der Vögel auffällig wird. Bei Unterdosierung provozieren vorbeugende Kuren ggf. auch noch Resistenzen. Mit Sulfonamiden (ESB3) sollte man überhaupt keine vorbeugenden Kuren machen, da sie zu den Antibiotika gehören und hier umso mehr resistente Bakterienstämme gefördert werden. Hierbei war man sich in allen 3 Vogelkliniken einig.
Man wisse um die vielen sinnlosen Kuren im Ziervogel- und Taubensektor und betrachte dies anhand drohender Resistenzen mit größter Sorge!!!
Ich hoffe nun inständigst, daß dieser Irrglauben an vorbeugende Kuren endlich mal aufhört!
Ich habe natürlich Verständnis dafür, daß man an Dingen festhält, die einmal funktioniert haben oder die einem andere Vogelzüchter empfehlen, aber das sind leider oftmals Zufallstreffer, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn man Vögel einschickt, die man zuvor selbst mit diversen Mitteln behandelt hat, ist in aller Regel keine zuverlässige Diagnose mehr stellbar, egal wie kompetent der TA ist. Wenn ein Vogel einen halben Tag tot herumliegt, lassen sich z.B. kaum noch Interpretationen der Darmschleimhaut im Hinblick auf Kokzidien machen.
Kokzidien sind also relativ häufig bei Cardueliden, aber eine negative Kotprobe besagt keineswegs, daß der Vogel kokzidienfrei ist/war. Allenfalls regelmäßig eingeschickte Sammelkotproben des gesamten Bestandes lassen langfristig eine Aussage zu. Wenn ich also mal wieder eine Kokzidie in meiner Anlage finden will, muß ich nur alles verdrecken lassen, die Boxen überbesetzen und irgendwann kippt das Verhältnis wieder und ich finde Kokzidien in meiner derzeit vermeintlich kokzidienfreien Anlage. Wenn man also hin und wieder mal Vogelkacke mikroskopiert und keine Kokzidien findet ist das zwar erstmal ok, aber dennoch muß man immer wieder mit Kokzidien rechnen, wenn ein Vogel erkrankt. Bei einer Atoxoplasmose sind übrigens auch quasi keine Oozystem im Kot auffindbar! Hier erkennt man nur eine vergrößerte Leber (Rotbäuchigkeit), Atoxoplasmose endet bei Cardueliden aber in aller Regel tödlich, da die entsprechenden Medikamente nicht ausreichend in den Organen ankommen. Man behandelt also gegen Kokzidien, es schlägt aber nicht an, der Vogel geht trotzdem ein und hinterher lassen sich keine Kokzidien mehr nachweisen, weil die Organe bis zur Obduktion schon zu stark zersetzt sind. Man müsste also einen sterbenden Vogel direkt in die Klinik bringen und dort frisch obduzieren lassen, das dürften bisher die wenigsten von uns so durchgezogen haben...