Quelle: http://www.adikom.ch/rabenkraehe/svs_raben_in_der_landwirtschaft.pdf
RABENVÖGEL IN LANDWIRTSCHAFTLICHEN KULTUREN
Rabenvögel sind intelligente und anpassungsfähige Vögel, die ihre Nahrung gerne im offenen Kulturland, auf Feldern, Wiesen und Weiden suchen. So wird in der Landwirtschaft immer wieder über Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen geklagt, die von Rabenvögeln verursacht werden. Ausserdem befürchten Jäger einen negativen Einfluss auf die Hasenbestände. Die Bejagung der Rabenvögel sei deshalb zur Bestandsregulierung und Schadensbegrenzung in den Kulturen nötig und als Hegemassnahme für das Niederwild anzusehen, argumentieren Landwirtschafts- und Jagdvertreter.
So werden in der Schweiz jährlich über 15000 Rabenkrähen, 10000 Eichelhäher, 4000 Elstern und 500 Kolkraben erlegt.
Ungeachtet der fraglichen Wirkung solcher Massnahmen müssen wir uns drei Fragen stellen:
- Erreichen die Schäden durch Vögel ein Ausmass, dass sich Abwehrmassnahmen überhaupt wirtschaftlich rechtfertigen lassen?
- Sind Abwehrmassnahmen gegen Vögel rechtlich zulässig?
- Kann mit den getätigten Massnahmen das Ziel überhaupt erreicht werden?
Rufen Rabenvögel messbare Schäden in der Landwirtschaft hervor?
Rabenvögel ernähren sich von pflanzlicher und tierischer Nahrung. Frisch gesätes Sommergetreide und Maiskörner, auflaufende Keimlinge und frische Salatsetzlinge stehen gerne auf dem Speiseplan von Raben- und Saatkrähe.
Eine Umfrage bei den landwirtschaftlichen Beratungsstellen und bei Bauern hat aber ergeben, dass wirtschaftliche Schäden, die durch Krähen hervorgerufen werden, lokal begrenzt und in ihrer Gesamtheit gering sind. So belaufen sich zum Beispiel Verluste im Ackerbau auf weniger als 1 Prozent des ausgebrachten Saatguts. Im Falle von Eichelhäher, Elster und Dohle ist der Einfluss gering und nur in den seltensten Fällen messbar.
Aus dem Reb- und Obstbau ist bekannt, dass Rabenvögel und andere schwarmbildende Singvögel wie Stare und Wacholderdrosseln im Herbst lokal für Einbussen sorgen können, die sich finanziell bemerkbar machen.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Rabenvögel auch oft als biologische Nützlinge agieren und von Landwirten sogar geschätzt werden. So übernehmen zum Beispiel Rabenkrähen undKolkraben eine wichtige ökologische Funktion als Aasfresser und Vertilger von Schnecken und Mäusen. Und der Eichelhäher ist im Volksmund auch als Eichelsäer bekannt. Er sorgt so für die natürliche Verbreitung der Eiche, indem er im Boden Eicheln als Nahrungsvorräte versteckt.
Rabenkrähe
Untersuchungen in der Schweiz haben gezeigt, dass die Nahrungszusammensetzung der Rabenkrähe mit der Art der Bewirtschaftung zusammenhängt: pflanzliche Nahrung dominiert in Gebieten mit intensiv betriebener Landwirtschaft, hohe Anteile tierischer Nahrung sind hingegen bei traditionell bewirtschafteten Gebieten zu finden.
Rückfragen bei Bauern haben ergeben, dass messbare Schäden selten sind und im Durchschnitt ein- bis zweimal jährlich vorkommen. Sie treten nur dann auf, wenn verschiedene nachteilige Faktoren wie späte Aussaat und schlechte Witterung oder die Nähe zu einer Deponie zusammenwirken. Betroffen sind vor allem Mais-, Gemüse- und Getreidefelder. Die Schadenhöhe hängt mit der Zeit zusammen, die das Saatgut und die Schösslinge benötigen, um zu keimen und über eine kritische Höhe von 10 bis 15 cm hinauszuwachsen. Generell bleiben die Verluste weit unter 5 Prozent des Gesamtertrags.
Die finanziellen Schäden können etwas höher ausfallen, falls sich Rabenvögel an reifendem Kernobst verköstigen.
Die Brutvögel richten zur Brutzeit kaum Schäden an, da sie sich dann hauptsächlich von tierischer Nahrung ernähren.
Die geringen Schäden sind dem Nutzen der Rabenkrähen in den landwirtschaftlichen Kulturen gegenüberzustellen. Dieser ist nicht ohne Bedeutung, da v.a. durch die Brutvögel beträchtliche Mengen von Mäusen und Insekten gefressen werden.
Saatkrähe
Mit einem landesweiten Bestand von rund 600 Brutpaaren gehört die Saatkrähe zu den gefährdeten Vogelarten unseres Landes. Sie steht unter Schutz. Unterscheiden kann man Saat- und Rabenkrähe vor allem am Kopf.
Bei der in Kolonien brütenden Saatkrähe muss zwischen Brutvögeln und Wintergästen unterschieden werden. Die Schweiz liegt am Südrand des Verbreitungsgebiets. Das Brutvorkommen der Saatkrähe beschränkt sich auf wenige Gebiete um die Städte Basel und Bern und die Region des Bieler- und Neuenburgersees sowie der Ajoie. Das wichtigste Überwinterungsgebiet in der Schweiz für Vögel aus Nordosteuropa ist die Umgebung von Basel mit einem Winterbestand von gegen 10000 Saatkrähen.
Aus Deutschland ist bekannt, dass solche Ansammlungen von Wintergästen in Wintergetreidefeldern Ertragseinbussen bewirken können. Bei der pflanzlichen Nahrung nimmt die Vorliebe von Mais und Soja, Weizen und Roggen zu Hafer/Gerste ab (regionale Verschiebungen möglich). Mais ist vor allem gefährdet, weil die Saatmenge mit 10 Körner/m2 klein ist.
Eichelhäher, Dohle und Elster
Der in den letzten Jahren intensivierte Maisanbau dient dem Eichelhäher als zusätzliche Nahrungsquelle. Vereinzelt wurden an Maiskulturen, die in Waldrandnähe liegen, Schäden festgestellt.
Der Eichelhäher ist in der Forstwirtschaftals Eichelsäer äusserst beliebt. Um Vorräte anzulegen, vergräbt er Eicheln. Aus vergessenen Eicheln keimen Jungpflanzen.
Massnahmen gegen den Eichelhäher sind aufgrund der sehr vereinzelt und nur örtlich auftretenden Schäden nicht zu rechtfertigen.
Die in der Schweiz geschützte Dohle steht auf der Roten Liste der stark gefährdeten Vogelarten. Von der Dohle wie auch der Elster sind in der Landwirtschaft keine Schäden bekannt.
Hier soll auch darauf hingewiesen werden, dass es Rabenkrähe und Elster sind, die durch ihren Nestbau den Mäusevertilgern Waldohreule und Turmfalke, die selber keine Nester anlegen, ein Brüten im Kulturland ermöglichen.
Rechtliche Situation und Bejagung
Zu der Gruppe der Rabenvögel zählt man in der Schweiz 9 Arten. Davon sind Tannenhäher, Alpendohle, Alpenkrähe, Dohle und Saatkrähe geschützt. Eichelhäher, Elster, Raben- und Nebelkrähe sowie Kolkrabe sind jagdbar.
Obwohl Abschüsse als bestandsregulierende Massnahme nicht greifen, wird heute immer noch oft zur Flinte gegriffen. Neuere Untersuchungen zeigen aber, dass damit das Ziel der Bestandsregulierung verfehlt wird. Die Ursache ist im Sozialsystem der Arten begründet. Bei Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher trägt die Revierbildung zur innerartlichen Selbstregulierung bei. Im Frühling besetzen brutfähige Paare Reviere, die sie gegen andere Artgenossen verteidigen. Da Reviere mit geeigneten Strukturen und genügend Nahrung limitiert sind, beschränkt sich der Nachwuchs auf Reviervögel. Der Rest der Population ist von der Fortpflanzung ausgeschlossen. Ausserdem sinkt bei vielen Vogelarten, u.a. bei der Rabenkrähe, bei hoher Siedlungsdichte der Bruterfolg. Werden nun Rabenvögel aus ihren Revieren weggeschossen, so wird das frei gewordene Brutrevier durch wartende Schwarmvögel ersetzt. Mit anderen Worten hält sich also die Population in einer Grösse, die dem umweltbedingten Angebot an Nahrung und Nistplätzen entspricht. In diesem Sinne sind Abschussprämien mit dem Ziel der Bestandsregulierung nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich verfehlt, da sie den erklärten Zweck nicht erfüllen und nur für einen finanziellen Zustupf bei der Jägerschaft sorgen, was sicher nicht die Absicht der zuständigen Ämter sein kann.
Ein umfangreicher Abschuss von Rabenkrähen kann zudem Auswirkungen auf die Bestände von Waldohreule, Turm- und Baumfalke haben. Diese drei Arten sind nämlich für die Fortpflanzung auf verlassene Nester der Rabenkrähe angewiesen. Auf das Ausschiessen von Nestlingen ist aus dem gleichen Grund unbedingt zu verzichten! Nach dem Jagdgesetz ist der Abschuss von Falken und Eulen ohnehin strafbar.
Vertreiben ist schwierig, vorbeugen ist besser
Allgemein gilt, dass das Ausmass von Schäden an einem Feld mit dem Angebot an alternativen Nahrungsplätzen in der Umgebung abnimmt. Lokale Schäden können durch verschiedene Vorbeugemassnahmen verringert werden:
- Strukturreichtum fördern: Rabenvögel bevorzugen ein übersichtliches Gelände, wo sie sich sicher fühlen. Feldgehölze und Hecken am Rande von Ackerflächen bieten den natürlichen Feinden der Vögel Deckungsmöglichkeiten. Dadurch kann sich die Aufenthaltszeit der Vögel auf den Feldern verringern.
- Aussaatzeitpunkt: Den besten Schutz erreicht man durch einen gut gewählten Aussaatzeitpunkt, bei dem die gefährdeten Kulturen möglichst kurze Zeit zum Keimen und Auflaufen brauchen. Bei ungünstiger Witterung dauert es lange, bis die Schösslinge eine kritische Grösse von 10-15 cm erreichen, bei der sie nicht mehr gefressen werden.
- Exakte Einsaat: Es sollten möglichst wenig Körner oder Samen an der Oberfläche liegen, da sie die Krähen auf die Nahrung aufmerksam machen. Beim Mais ist eine tiefe Saat anzustreben (ev. walzen), damit das Korn möglichst gut im Boden verankert ist.
- Pause zwischen Vorbereitungsarbeiten und Aussaat: Die menschliche Tätigkeit und das erhöhte Nahrungsangebot beim Pflügen und beim Eggen locken die Krähen an. Darum sollte zwischen Bodenbearbeitung und Aussaat ein Zeitraum von 1-2 Tagen liegen.
- Staunässe: Staunasse Felder sind besonders gefährdet. Dies liegt am erhöhten Nahrungsangebot, da unter diesen Bedingungen wesentlich mehr Bodentiere an die Oberfläche kommen. Daher sollte in überschwemmungsgefährdeten Feldern kein Mais angebaut werden.
- Saatgut vergällen: In der Maisproduktion wird praktisch das ganze Saatgut vor der Aussaat durch Vergällen mit Morkit oder Beizen mit Mesurol (beide Bayer) standardmässig geschützt. Aus Gründen des Vogel- und Umweltschutzes ist Morkit klar zu bevorzugen. Mesurol ist regenwurmtoxisch und kann zu Vergiftungen von Vögeln führen! Eine Behandlung des Saatgutes ist aber nur für stark gefährdete Felder notwendig. Da die frassvergällende Wirkung mit der Keimung stark abnimmt, sollten Aktivitäten vermieden werden, die die Krähen nach dem Auflaufen der Kultur auf die gefährdeten Felder locken könnten (Düngen der Äcker mit Mist, Mähen oder Umbrechen benachbarter Wiesen u.ä.).
In der Schweiz setzt sich das Saatgut aus drei Vierteln Importen und einem Viertel Eigenproduktion zusammen. Ersteres ist standardmässig mit einem Insektizid gebeizt und vergällt, letzteres nur gebeizt.
- Mülldeponien: Messbare Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen treten vorwiegend in der Nähe von Mülldeponien auf. Solche sind bei uns heute zum Glück selten geworden.
- Partielle Abwehrmethoden: Rabenvögel sind äusserst intelligente und anpassungsfähige Vögel. Deshalb sind für wirksame Vertreibungen Phantasie und Abwechslung gefragt. Ansonsten verlieren die Massnahmen innert Tagen ihre Wirkung, da die Vögel den Bluff durchschauen. Vertreibungsmassnahmen nach der Aussaat sind: Gasballone, Plastikbänder, parkierte Autos, Vogelscheuchen, Attrappen, Knallapparate, Imitationen und innerartliche Angstschreie. In Testversuchen waren an 30 m langen Leinen befestigte Gasballone (ø: 0,3-1,0 m) wirksam. Sie hielten die Vögel bis zu zwei Wochen von den Feldern fern. Auch mit von Band abgespielten Angstschreien wurden vereinzelt schon ähnliche Resultate erzielt. Plastikbänder wirken in der Regel 1-3 Tage, parkierte Autos und Knallpatronen rund einen Tag. Vogelscheuchen und tote, aufgehängte Krähen zeigen hingegen keine messbare Wirkung. Am besten ist die Kombination mehrerer Methoden (Abwechslung!).
- Knallpetarden und Netze bieten im Obst- und Rebbau einen effektiven Schutz. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass die Netze fachmännisch(d.h. satt, keine am Boden liegenden Netzteile) gespannt und regelmässig kontrolliert werden. Auf die Verwendung von Einwegnetzen ist zu verzichten, da diese oft tödliche Fallen für Vögel und Igel darstellen.
Weiterführende Literatur:
AICHMÜLLER, R. (1987): Eichelhäher Eichel-säer. Der Vogel, der Wälder pflanzt. Vogelschutz 2/1987: 8-10.
BAAS-FRANCKE, E. (1993): Rabenvögel: Ein krächzendes Ärgernis? NABU-Sonderdruck. Naturschutzbund Deutschland,Stuttgart.
EPPLE, W. (1996): Rabenvögel: Göttervögel Galgenvögel; ein Plädoyer im "Rabenvogelstreit". Karlsruhe.
GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N. & K.M. BAUER (1993): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 13. AULA-Verlag, Wiesbaden.
HÖLZINGER, J. (1987): Die Vögel Baden-Württembergs, Band 1. Ulmer, Stuttgart.
JUILLARD, M. (1990): Evolution des colonies de Corbeaux freux, Corvus frugilegus, en Suisse. Nos Oiseaux 40: 407-422.
KELLER, V. (199
: Hans Huckebein & Co. die Familie der Rabenvögel. Bericht zuhanden der Gemeinschaft der Freunde der Vogelwarte. Sempach.
NAEF-DAENZER, L. (1984): Versuch zum Verjagen von Rabenkrähen (Corvus coronecorone) von spriessenden Maisfeldern. Z.Jagdwiss. 30: 184-192.
RAHMANN, H. et al. (198
: Rabenvögel: Öko-logie und Schadwirkung von Eichelhäher, Elster und Rabenkrähe. Josef Margraf, Weikersheim.
STUDER-THIERSCH, A. (1984): Zur Ernährung der Rabenkrähe Corvus corone in der Schweiz. Orn. Beob. 81: 29-44.
TOMPA, F. S. (1976): Zum Rabenkrähen-Problem in der Schweiz. Teil II: Rabenkrähe und Landwirtschaft: Schäden und Abwehrmassnahmen. Orn. Beob. 73:195-208.
WITTENBERG, J. (198
: Langfristige Entwicklung einer Population der Rabenkrähe (Corvus c. corone) bei Braunschweig, ihre Zusammensetzung und ihr Einfluss auf andere Arten. Beih. Veröff. Natursch. Landschaftspfl. Baden-Württemberg 53:211-223.
Weitere Merkblätter zu verwandtemThema:
ElsternlSaatkrähen Merkblätter für die Vogelschutzpraxis.SVS / Vogelwarte, (gratis, bitte frankiertes Rückantwortcouvert beilegen).
Dank:
Wir danken Gabriel Popow, Landwirtschaftliche Beratungszentrale Lindau (LBL), für die kritische Durchsicht dieses Merkblattes und die wertvollen Kommentare.
Impressum:
Autor: Kurt Bollmann 1998
© SVS & Schweiz. Vogelwarte.
Das Kopieren mitQuellenangabe ist erwünscht.
SCHWEIZERISCHEVOGELWARTE
6204 Sempach
TEL 041 462 97 00FAX 041 462 97 10
(
Hervorhebungen von "Vogel-Mami")