Bestandszahlen von Brutvögeln in Deutschland - Individuen, nicht Brutpaare

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TPMFFM

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Hallo,

dies ist mein erster Post hier im Forum, sorry, falls es dazu schon Diskussionen gab, ich konnte aber nichts entsprechendes finden.

Mir fällt auf, dass Bestandszahlen von Brutvögeln in Deutschland immer in Brutpaaren angegeben werden (z.B. beim Buchfink), bei Gastvögeln aber in Individuen (z.B. beim Bergfink).

Nun frage ich mich, wie sich diese Zahlen am besten vergleichen lassen, bzw. ob/wie sich aus der Zahl der Brutpaare auf die Zahl der Individuen in Deutschland schließen lässt.

Unter Berücksichtigung aller Jungvögel müsste die Zahl der Individuen ja um ein Vielfaches Größer sein als nur das Doppelte der Brutpaare.

Gibt es z.B. Faustregeln zur Hochrechnung von Brutvögeln auf Individuen (wobei das Verhältnis sicherlich von Art zu Art unterschiedlich ist)?

Oder sind ggf. sogar Zahlen zu den jeweiligen Individuen in Deutschland verfügbar … wenn ja, wo könnte ich diese finden?

Herzlichen Dank im Voraus!
 
Hallo TPMFFM,

sei willkommen hier im Forum. :)

Hast ja schwierige "Fragen über Fragen." ;)

Zunächst mal googeln: "Bestandszahlen Brutvögel Deutschland"

VG
Swift_w
 
Hallo swift_w,

vielen Dank für Deine Antwort.

Ich habe den Schritt in's Forum natürlich erst nach bereits erfolgter, durchaus intensiver Recherche im Internet getan. :)

Dabei habe ich u.a. die "Übersichten zur Bestandssituation" des DDA gefunden. Dort werden die Bestände der Brutvögel in Deutschland je nach Art in Brutpaaren, Paaren, Revieren, oder Individuen angegeben ... wobei Angaben in Individuen die große Ausnahme bilden.

Andere Seiten, wie avi-fauna.info oder auch die Artenporträts des NABU treffen aber keine Unterscheidung zwischen Paaren, Brutpaaren und Revieren, sondern geben die Bestände der Brutvögel grundsätzlich in Brutpaaren an und beziehen sich bei den Zahlen auf die soeben genannten "Übersichten zur Bestandssituation" ... was mir angesichts der Urheber der genannten Seiten eine legitime Verallgemeinerung zu sein scheint (oder nicht?).

Leider ist es mir bislang nicht gelungen, herauszufinden, weshalb die Bestände von Brutvögeln in Deutschland (abgesehen von Ausnahmen wie dem Nandu oder dem Birkhuhn) offenbar nicht als Anzahl der Individuen ermittelt, bzw. geschätzt werden.

Auf globabler Ebene hingegen, gibt es ja Schätzungen der Individuenzahlen der meisten Arten, wie sie z.B. in der Studie "Global abundance estimates for 9,700 bird species" von Callaghan et al. ermittelt wurden (ich kann hier leider noch keine externen Links posten).

Nun frage ich mich, wieso es solche Zahlen für Deutschland nicht gibt, oder ob ich sie einfach noch nicht gefunden habe.

Für weitere Hilfe wäre ich daher sehr dankbar.

Beste Grüße!
 
Hallo TPMFFM,

interessante Fragen stellst du da. Ich würde sie zusammenfassen in: Warum in wird Brutpaaren oder Individuen gezählt und wie unterscheidet sich die Aussage dieser Daten?
Nun frage ich mich, wie sich diese Zahlen am besten vergleichen lassen, bzw. ob/wie sich aus der Zahl der Brutpaare auf die Zahl der Individuen in Deutschland schließen lässt.
Ich bin nur semiprofessionell in dem Bereich unterwegs, würde aber sagen, dass es auch viel mit den Fragen zu tun hat: Wie geschieht die Datenerhebung? Und was will ich eigentlich genau wissen?

Wichtig ist erstmal, was ich mit meinen Daten erfahren will. Für die Populationsdynamik und Bestandsschwankungen ist die Zahl der Reviere (+/- identisch mit der Zahl der Brutpaare) relevant, denn die produzieren den Nachwuchs. Die Zahl der Reviere/Brutpaare ist außerdem in der Regel konstant und sagt mehr über Veränderungen aus als die Zahl der Individuen.

Unter Berücksichtigung aller Jungvögel müsste die Zahl der Individuen ja um ein Vielfaches Größer sein als nur das Doppelte der Brutpaare.

Beispiel: Ein Paar Kohlmeisen hat in einem guten Brutjahr 16-20 Jungvögel. Man kann also davon ausgehen, dass es im August 5-10x so viele (in D geschlüpfte) Kohlmeisen gibt wie im April. Von den 20 Jungvögeln werden nämlich 2/3 den Winter nicht erleben und die Altvögel wiederum werden auch nicht ewig alt. Dazu kommt dann noch, dass über den Winter skandinavische Kohlmeisen in die Gärten kommen - die sind zur Brutzeit aber wieder weg. Die Kohlmeise ist also eine Art, bei der die Individuenzahl extrem übers Jahr schwankt, und deshalb ist es einfach viel sinnvoller, in Brutpaaren zu zählen.

Nächster Punkt ist die Zählmethodik. Wie angesprochen kann man erstmal nur im Sommerhalbjahr zählen, um die Zugvögel auszuschließen. Sinnvoll zählen kann man außerdem nur, wenn die Vögel Reviere haben - man erfasst dann jedes singende Männchen mit +1. Je nach Art ist der Anteil der Nichtbrüter sehr unterschiedlich; bei Meisen eher klein, bei Möwen z.B. recht hoch, da sie spät geschlechtsreif werden; bei polygamen Arten auch komplizierter.

Leider ist es mir bislang nicht gelungen, herauszufinden, weshalb die Bestände von Brutvögeln in Deutschland (abgesehen von Ausnahmen wie dem Nandu oder dem Birkhuhn) offenbar nicht als Anzahl der Individuen ermittelt, bzw. geschätzt werden.

Ähnlich verbreitet wie Nandu/Birkhuhn: Steinadler. Eine Art, von der es zum einen nur sehr wenige Brutpaare gibt, und außerdem auch verhältnismäßig viele Nichtbrüter (nicht verpaart oder noch nicht geschlechtsreif). Dazu kommen Markierungsprogramme, individuelle Ansprache der Individuen - das ermöglicht überhaupt erst, dass man Individuen erfassen kann. Bei den Kohlmeisen ginge das in einem ganz kleinen Rahmen, wo man dann von einer Stichprobe aus hochrechnen könnte.

Zugvögel: Da kann man nur hochrechnen, da nicht reviertreu (wenige Ausnahmen, z.B. Raubwürger). Ein durchziehender Schreiadler ist ein durchziehender Schreiadler, aber bei zig Schwärmen Erlenzeisige wird natürlich geschätzt - in Individuen, denn das hat mit Revier oder Brut nix zu tun.

TL;DR: Jede Zählweise macht je nach Art mehr oder weniger Sinn bzw. ist überhaupt möglich. Hochrechnen geht immer, aber auch hier nach Art mit Vorsicht zu genießen. Brutpaare zu erfassen macht einfach methodisch und für einen Übebrlick viel mehr Sinn - bei Zugvögeln logischerweise nicht.
 
Hallo harpyja,

vielen herzlichen Dank für Deine ausführliche und sehr gut nachvollziehbare Antwort, das hilft mir wirklich weiter!
Für mich klingt das nach viel mehr als "semiprofessionell". :)

Hochrechnungen auf die Individuenzahlen aller in Deutschland vorkommenden Arten sind Dir aber auch keine bekannt, oder?
 
vielen herzlichen Dank für Deine ausführliche und sehr gut nachvollziehbare Antwort, das hilft mir wirklich weiter!
Für mich klingt das nach viel mehr als "semiprofessionell". :)
Ich bin nicht hauptberuflich in dem Feld tätig ;)

Hochrechnungen auf die Individuenzahlen aller in Deutschland vorkommenden Arten sind Dir aber auch keine bekannt, oder?
Aus den genannten Gründen kann es für die meisten Arten einfach keine geben. Bei Kohlmeisen (komplett geschätzt, habe keine Daten) lass es 5 Millionen Brutpaare geben, also: Incl. Nichtbrüter 11 M. Individuen im April, 80 M. im August, 50 M. im Dezember. Da könnte man natürlich einen Durchschnitt bilden, aber die Zahl, die man dann hätte, wäre völlig unnütz (außer "nice to know").
 
Aus den genannten Gründen kann es für die meisten Arten einfach keine geben. Bei Kohlmeisen (komplett geschätzt, habe keine Daten) lass es 5 Millionen Brutpaare geben, also: Incl. Nichtbrüter 11 M. Individuen im April, 80 M. im August, 50 M. im Dezember. Da könnte man natürlich einen Durchschnitt bilden, aber die Zahl, die man dann hätte, wäre völlig unnütz (außer "nice to know").
Ja, verstehe ... die Aussagekraft wäre sehr begrenzt.

Wenn ich die Methodik von Callaghan et. al richtig verstehe, haben sie bei ihren Schätzungen der globalen Individuenzahlen dennoch genau solche Durchschnittswerte ermittelt. Aber die Ergebnisse sind eben auch mit viel Vorsicht zu genießen, denn es wird zusammen mit dem jeweiligen Schätzwert der Indivduen für jede Art auch ein recht breites Konfidenzintervall angegeben. So liegt z.B. der Schätzwert für die Rauchschwalbe bei ca. 1,1 Mrd. Individuen weltweit, wobei das 95%-KI von etwa 370 Mio. bis 3,2 Mrd. reicht. Insofern liefern die Zahlen wohl höchstens eine grobe Orientierung zum Vergleich der globalen Bestände verschiedener Arten.
 
Wenn ich die Methodik von Callaghan et. al richtig verstehe, haben sie bei ihren Schätzungen der globalen Individuenzahlen dennoch genau solche Durchschnittswerte ermittelt. Aber die Ergebnisse sind eben auch mit viel Vorsicht zu genießen, denn es wird zusammen mit dem jeweiligen Schätzwert der Indivduen für jede Art auch ein recht breites Konfidenzintervall angegeben. So liegt z.B. der Schätzwert für die Rauchschwalbe bei ca. 1,1 Mrd. Individuen weltweit, wobei das 95%-KI von etwa 370 Mio. bis 3,2 Mrd. reicht. Insofern liefern die Zahlen wohl höchstens eine grobe Orientierung zum Vergleich der globalen Bestände verschiedener Arten.
Das klingt total sinnvoll gelöst und scheint ungefähr das zu berechnen, was ich beschrieben habe :)
 
Bei der Kohlmeise ist das 95%-Konfidenzintervall des weltweiten Bestands nach Callaghan sogar fast absurd groß: es reicht von etwa 700.000 bis über 5 Mrd. Das entspricht einem Faktor von fast 7.000 zwischen oberem und unterem Grenzwert des Intervalls. Der Schätzwert selbst liegt bei etwa 60 Mio. weltweit ... was mir angesichts der Bestandszahlen in Deutschland eigentlich viel zu niedrig erscheint.

Vielen Dank nochmal für das Feedback, bin ein Stückchen schlauer geworden!
 
Thema: Bestandszahlen von Brutvögeln in Deutschland - Individuen, nicht Brutpaare
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