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Fakultät UNIPRESS – Heft 106 – Impressum
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Haltung und Zucht von Heimtieren
Was trägt die Forschung bei?
In jedem zweiten Schweizer Haushalt lebt ein Heimtier. Heimtiere werden in der Praxis aber oft nicht tiergerecht gehalten, häufig aus Mangel an Kenntnissen der Tierhalter. Grundlegende wissenschaftliche Arbeiten darüber fehlen.
Es besteht auch ein grosser Handlungsbedarf bei der Erforschung gewisser Zuchtpraktiken, die bei den betroffenen Tieren zu Leiden, Schäden oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Die neue Abteilung für Tierhaltung und Tierschutz am Institut für Tierzucht will diese Lücken schliessen.
Heimtierhaltung im Aufschwung
Unter dem Begriff Heimtiere werden jene Tiere verstanden, welche aus Interesse am Tier oder als Gefährten im Haushalt gehalten werden. Hund und Katze werden als kleine Haustiere separat betrachtet. Heimtiere werden in über 50% der Schweizer Haushaltungen betreut; der Heimtiermarkt mit allen seinen Produkten wie Futtermitteln, Haltungseinrichtungen, Zubehör, Tier-verkauf usw. nimmt zu. Am häufigsten werden Katzen und Hunde gehalten. An zweiter Stelle folgen Wellensittiche, Kana-rien, Papageien, andere Sittiche und Zebrafinken, gefolgt von Meerschweinchen, Hamstern, Rennmäusen, Chinchillas, Ratten, Mäusen und Kaninchen, speziell die Zwergrassen. Am Schluss kommen Zierfische und Schildkröten.
Probleme in der Haltung von Heimtieren
Über die Haltung von Heimtieren gibt es zahllose Bücher und kleinere Broschüren. Vielfach werden in diesen Publikationen die Angaben über Anforderungen an die Haltung, namentlich über geeignete Gehe-gegrössen, seit Jahren von Quelle zu Quelle übernommen und relativ unkritisch weitergeführt. Grundlegende wissenschaftliche Arbeiten darüber sind indessen nie oder kaum je durchgeführt worden. Die nationale und internationale Forschung und Gesetzgebung im Tierschutz befasste sich bisher in erster Linie mit den besonders umstrittenen Bereichen der Nutztierhaltung, der Tierversuche und der Betäubung von Schlachttieren. Weniger beachtet wurde die Haltung von Pferden und Wildtieren, und praktisch nie wurde die Heimtierhaltung untersucht, von etlichen Arbeiten zur Haltung von Hunden und Katzen abgesehen. Sie müssen dringend angegangen werden, denn die Erfahrungen von Tierarztpraxen und Tierkliniken, Tierschutzorganisationen und kantonalen Tierschutzbehörden zeigen, dass Heimtiere in der Praxis oft nicht tiergerecht gehalten werden. Dies geschieht häufig auch aus Mangel an Kenntnissen der Tierhalter.
Abb. 1: Als Stubenvögel werden in der Regel die dem Wildtyp noch weitgehend ähnlichen, relativ kleinen Wellensittiche mit enganliegendem, kurzfiedrigem Federkleid gehalten.
Erste Forschungsarbeiten, an der Universität Münster in Deutschland, ergaben z.B., dass Meerschweinchen am liebsten mit anderen Meerschweinchen leben. Hatten sie die Wahl zwischen Artgenossen und Zwergkaninchen, zogen sie die Artgenossen als Gefährten vor. Die Untersuchungen ergaben auch, dass das Verständi-gungsrepertoire sowie die Aktivitätsrhyth-men der beiden Tierarten nicht übereinstimmen. Die Gemeinschaftshaltung von Meerschweinchen und Zwergkaninchen ist daher – entgegen häufigen Angaben – nicht zu empfehlen.
Mongolische Rennmäuse zeigen häufig Verhaltensstörungen wie wiederholtes und monotones Graben an den Boxenrändern und Nagen am Gitter. Ursache ist das Fehlen einer geeigneten Rückzugsmöglichkeit ins Dunkel von Haltungsboxen. Dank For-schungsprojekten der Universität Zürich konnten bessere Haltungsformen entwickelt werden. Wenn den Tieren ein Kunstbau mit abgedunkelten Nestkammern und eine Zugangsröhre angeboten wurde, traten diese Stereotypien nicht mehr auf.
Wellensittiche leben in der Natur in grossen Schwärmen in Australien. Wellensittiche in Käfigen flogen im Vergleich mit Artgenossen, die in
Volieren lebten, weit weniger oder gar nicht. Gab man ihnen Gelegenheit zum Fliegen, war ihre Flug- und Landefähigkeit vermindert. Statt Fliegen traten Verhaltensweisen wie „mit den Flügeln schlagen“ und vermehrt blosses Hüpfen und „Hüpffliegen“ auf, zudem waren die Tiere aus Käfighaltung meist schwerer und körperlich weniger fit.
Probleme in der Zucht von Heimtieren
Auch in der Heimtierzucht fehlt es an Wissen. In letzter Zeit wurden von Medien und weiteren Kreisen gewisse Zuchtpraktiken bei Heim- und anderen Tieren kritisch beurteilt. Bei etlichen Zuchtformen waren morphologische oder verhaltensmässige Veränderungen aufgetreten, von denen angenommen werden kann oder vermutet wird, dass sie zu Leiden, Schäden oder anderer Beeinträchtigung beim Tier führen können. Es wird nun behauptet, dass die Tiere unter solchen Zuchtpraktiken tatsächlich leiden oder Schaden nehmen – genauere Kenntnisse und eingehende Untersuchungen liegen indessen keine vor.
Abb. 2: Der Englische Schauwellensittich weist eine grössere Statur und ein ausgeprägtes Federkleid auf.
Solche Zuchtformen werden häufig pauschal unter wertenden Begriffen wie Qualzucht, Extremzucht oder Defektzucht zusammengefasst. Weniger wertend werden sie auch als Problemzucht oder neutraler als Zuchten oder Rassen mit besonderen Merkmalen bezeichnet. In der Heimtierzucht gibt es zahlreiche fragwürdige oder klar abzulehnende Zuchtformen. Sie betreffen Hunde, Katzen, Zwergkanin-chen, Chinchillas, Meerschweinchen, Hamster, Mäuse, Rassegeflügel, Ziervögel, Reptilien und Zierfische. Darüber gibt es viele Publikationen zu Einzelaspek-ten, auch liegen einige zusammenfassende Übersichten und Gutachen vor. Die Skala vom Normaltyp eines Zuchttiers ohne Mängel bis zum Extremtyp mit wesentlichen Beeinträchtigungen ist indessen, auch innerhalb von Rassen oder Zuchtlinien, oft breit und fliessend. Manche Fakten sind nicht ausreichend bekannt, und für die Forschung besteht auch hier erheblicher Handlungsbedarf. Vermutete Mängel müssen objektiviert, die Diskussion muss versachlicht werden und Entscheidungsgrundlagen für verschiedene Massnahmen, mit denen Mängel in der Zucht behoben werden sollen, geschaffen werden. Dies ist von Bedeutung u.a. im Hinblick auf Umschreibungen des Tiertyps in Zuchtstandards der Zuchtorganisa-tionen, aber auch im Hinblick auf künftige Regelungen in der Tierschutzgesetz-gebung.