Für Dagmar
von mir hier gepostet 2003
Addi
Gast
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Sich selbst vis-à-vis:
Was Elstern wahrnehmen
Beim Blick in den Spiegel sich selbst erkennen – sogar der Mensch kann das in den ersten Lebensmonaten noch nicht. Ein selbstbezogenes Verhalten von Elstern vor dem Spiegel beobachteten jetzt Biopsychologen der RUB: Erkennt sich die Elster im Spiegel und hat sie vielleicht sogar wie wir eine Vorstellung von sich selbst?
Abb. 1: Die Elster gehört zu den Gewinnern im Reich der Tiere: “Klug” und anpassungsfähig hat sie ihr Terrain nicht nur verteidigt - ihr Bestand ist mehr als gesichert. Die Abb. zeigt ein Elsternnest mit Eiern und frisch geschlüpften Jungen.
Wie kaum ein anderer einheimischer Vogel beschäftigt die Elster den Menschen seit Jahrhunderten. Ihre große Popularität zeigt sich schon darin, dass die Elster im Deutschen etwa 100 volkstümliche Namen hat. Die meisten davon beziehen sich auf ihre Stimme, wie Gackerhätzel oder Tratschkatel, die wenigsten auf ihren Aufenthalt, Gestalt oder Verhaltensweise, wie Gartenkrähe oder Diebsch. Dies beruht nicht zuletzt auf ihrem Ruf als kluger, lernfähiger, aber auch «diebischer» Vogel.
Die sprichwörtliche Klugheit hat eine biologische Grundlage; das Gehirn der Elster zählt zu den höchstentwickelten unter den Singvögeln. Im Hinblick auf unsere vergleichenden Studien zur Intelligenz bei Tieren machte das diese Vogelart besonders interessant. Da Elstern zudem sehr neugierig sind und gern «auf Entdeckungsreise gehen», erwarteten wir dankbare Forschungspartner hinsichtlich der Aufgaben, die wir den Vögeln im Labor stellen würden. Wir entschlossen uns, junge Elstern aufzuziehen, um ihre Fähigkeiten frühzeitig untersuchen zu können.
An der Ruhr-Universität gibt es viele Elsternnester, sodass wir unsere Versuchstiere quasi vor der Labortür finden konnten (s. Abb. 1). Zunächst beobachteten wir eine Reihe von Nestern, um dann aus einigen - mit behördlicher Genehmigung - Nestjunge zu entnehmen. Als wir endlich acht kleine Elstern aus zwei verschiedenen Nestern ausgewählt hatten, begann für uns ein “Vogelelterndasein” rund um die Uhr: Bis der Hunger von acht kleinen Elstern gestillt ist, vergeht einige Zeit; und wenn man mit der letzten fertig ist, kann man gleich mit der ersten wieder anfangen.
Noch während die Nestlinge von uns aufgezogen wurden, begann die Forschung. Das außergewöhnliche Raumgedächtnis, über das Elstern wie alle futterhortenden Vogelarten verfügen, inspirierte uns zu unserer ersten Studie zur «Objektpermanenz».
Der Begriff Objektpermanenz geht auf den Entwicklungspsychologen Piaget zurück. Er hatte bemerkt, dass für sehr junge Kinder Gegenstände, an denen sie zunächst Interesse zeigen, quasi nicht mehr existent sind, wenn man diese Gegenstände vor ihnen versteckt. Wenn die Kinder etwas älter sind, ändert sich ihr Verhalten, und sie beginnen gezielt zu suchen.
Gezielt suchen will gelernt sein nach oben
nach unten
Abb. 2: Schnell gefunden, hier ein Löffel unter dem Tuch. Als futterhortender Vogel ist das Erinnern von Verstecken für die Elster fast ein “Kinderspiel”.
Piaget unterschied sechs Stufen der zunehmenden Kompetenz in dieser scheinbar so selbstverständlichen Fähigkeit. Für unsere Untersuchungen waren die Stufen 4 bis 6 von besonderem Interesse: Auf Stufe 4 wird ein Objekt erinnert und wiedergesucht, wenn es vollständig versteckt ist. Auf Stufe 5 wird ein Gegenstand auch dann erfolgreich gesucht, wenn man ihn zunächst an einem Ort versteckt und anschließend das Verstecken an einem anderen Ort wiederholt, wobei der Gegenstand beim Ortswechsel vorübergehend sichtbar ist.
Auf Stufe 6 schließlich wird die Ortsverlagerung eines Objektes nachvollzogen, das zwischenzeitlich nicht zu sehen war. Ein solcher Test kann so ablaufen: Der Versuchsleiter zeigt seinem Gegenüber – einem älteren Kind – einen Gegenstand, etwa einen Silberring. Dann steckt er den Ring in eine Schachtel. Anschließend wird die Schachtel in eine von zwei größeren Kisten gesteckt. Nach einer Pause wird die Schachtel wieder hervorgeholt und dem Kind gezeigt, wobei sie nicht geöffnet wird. Schließlich wird die Schachtel in die andere große Kiste gesteckt. Wenn das Kind nun die Frage «Wo ist jetzt der Ring?» richtig beantworten kann, hat es Stufe sechs der Objektpermanenz erreicht.
Geistige Leistungen wachsen nicht nur mit der Entwicklung von Kindern, sondern auch in der Stammesgeschichte der Tiere. Deshalb haben Studien zur Objektpermanenz in den letzten Jahren großes Interesse für vergleichende Untersuchungen verschiedener Tierarten gefunden. Als wir die Studien mit den Elstern begannen, gab es in der Literatur zu diesem Thema nur zwei Arbeiten an Vögeln, beide mit Papageien – dem Graupapagei und dem Kakariki, einem neuseeländischen Laufsittich. Wir erwarteten, dass sich Elstern als futterhortende Vögel bei unseren Versuchen sehr versiert verhalten würden, da das Verstecken und Erinnern von Futter für diese Vögel zum täglichen Lebenserhalt gehört – es stellt gewissermaßen eine natürliche Objektpermanenz-Aufgabe dar (Abb. 2). Dies warf aber auch Fragen auf. Beim Graupapagei und beim Kakariki entwickelt sich die Objektpermanenz erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die jungen Elstern sie längst für ihr inzwischen selbstständiges Leben brauchen würden. Wir stellten daher die Hypothesen auf, dass Elstern erstens eine relativ hoch entwickelte Fähigkeit zur Objektpermanenz haben, dass sich zweitens die Objektpermanenz relativ schnell entwickelt, und dass drittens ein Zusammenhang mit der Entwicklung des Futterhortens besteht.
Geistige Leistungen wachsen in der Stammesgesschichte nach oben
nach unten
Abb. 3: Die Grafik zeigt, wie sich die Fähigkeit des Erinnerns (Objektpermanenz) bei der Elster (oben) im Vergleich zu anderen Vogelarten (unten) entwickelt. In Übereinstimmung mit der futterhortenden Lebensweise entwickelt sich die Objektpermanenz bei jungen Elstern relativ früh, so dass sie Meister im Erinnern versteckter Gegenstände sind, bevor sie unabhängig von den Eltern leben.
Unsere Hypothesen wurden bestätigt (Abb. 3). Die Elstern zeigten eine sehr hohe Kompetenz und erreichten Stufe sechs. Auch bei Versuchen mit Graupapageien wurde diese Fähigkeit mit sechs eingestuft. Bei den Säugern erreichten außer dem Menschen nur noch Menschenaffen und Hunde dieses Niveau. Für viele andere Arten, einschließlich der meisten Affen, gilt dies aber nicht. Die jungen Elstern beginnen genau dann selbstverstecktes Futter wiederzusuchen, wenn sich ihre Fähigkeit zur Objektpermanenz entwickelt. Nach etwa zehn Wochen – wenn sie ihr eigenständiges Leben beginnen – sind sie darin bereits Meister.
Dies ist ein erster Beleg, dass sich kognitive Fähigkeiten genau dann entwickeln, wenn sie von einem Lebewesen in seiner natürlichen Umwelt gebraucht werden. Unsere Untersuchungen zur Objektpermanenz hatten bereits gezeigt, dass Elstern über hohe Repräsentationsleistungen verfügen. Im Übrigen zeigen sie auch ein komplexes Sozialverhalten und erkennen ihre Artgenossen individuell. Könnte es unter diesen Umständen nicht sein, dass Elstern auch eine “Vorstellung” von sich selbst entwickeln? Solche Fragen sind bei Tieren nicht leicht zu beantworten, da wir nur sehr eingeschränkt mit ihnen kommunizieren können.
Es gibt aber experimentelle Wege, zumindest eine Teilantwort zu erhalten. Ein solcher Weg wurde vor 30 Jahren von dem amerikanischen Psychologen Gallup initiiert. Er untersuchte das Verhalten von Schimpansen gegenüber einem Spiegel. Er betäubte die Tiere, damit sie die Versuchsvorbereitungen nicht bemerkten und markierte ihre Körper an Stellen, die sie selbst nicht direkt sehen konnten. Nachdem sie wieder aufgewacht waren, wurde ihr Verhalten genau beobachtet, zunächst ohne Spiegel, anschließend vor dem Spiegel. Wenn sie in den Spiegel sahen, berührten sich die Schimpansen wesentlich häufiger an den markierten Stellen als zuvor ohne Spiegel. Aus diesem selbstbezogenen Verhalten, dass Gerti Dücker und Jürgen Lethmate von der Universität Münster auch beim Orang Utan beobachteten, zog Gallup den Schluss, dass Schimpansen sich selbst im Spiegel erkennen.
Der Markierungstest ist nur einer von mehreren Tests, die zum Verhalten vor dem Spiegel durchführt werden können. Zunächst ist es wichtig zu wissen, wie Tiere sich überhaupt ihrem Spiegelbild gegenüber benehmen. Ignorieren sie das Spiegelbild?
Addi
20-01-2003, 21:06 #2
Addi
Gast
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Vor dem Spiegel: Ignorieren oder attackieren?
Attackieren sie es? Behandeln sie es wie einen Artgenossen? Stehen sie vor dem Spiegel und bewegen sich, sodass man vermuten könnte, sie betrachten sich selbst? Wir beobachteten das Verhalten unserer Elstern unter zwei verschiedenen Bedingungen: Einmal vor dem Spiegel mit ihrem Spiegelbild (Testvariante) und einmal vor der Spiegelfläche, die durch eine mattgraue Abdeckung «entspiegelt» war (Kontrollvariante). Anders als etwa beim Wellensittich, der auch nach langer Zeit einen kleinen Spiegel in seinem Käfig wie einen Sozialpartner behandelt, nach ihm pickt und ihm zuzwitschert, zeigten die Elstern vor dem Spiegel ein “neugieriges”, das Spiegelbild erkundendes Verhalten: Auf- und Abgehen vor dem Spiegel, vorsichtige Blicke hinter den Spiegel.
Was die Elster vor den Spiegel schleppt nach oben
nach unten
Abb. 4: Ergebnisse der Versuche zur sog. Objektdiskrimination: Wenn sich in einer kleinen Box, die für die Elster nur über einen Spiegel einsehbar ist, attraktive Gegenstände befinden, wird diese Box regelmäßig «angesteuert», eine leere Box oder eine Box mit einem welken Blatt (Kontrolle) wurde nur gelegentlich beachtet.
Schließlich präsentierten sich die Elstern mit verschiedenen Gegenständen im Schnabel vor dem Spiegel. Könnte das auf Selbsterkennen hindeuten? Vielleicht – doch präsentieren Vögel auch im sozialen Kontext häufiger Federn oder Zweige. Bei der nächsten Aufgabe ging es darum, nicht direkt sichtbare Gegenstände mithilfe des Spiegels zu unterscheiden und zu orten. Zu diesem Zweck wurde in einiger Entfernung von der Elster eine geöffnete Schachtel so in Richtung Spiegel geneigt, dass die Elster deren Inhalt - zum einen Futter oder einen Ring, zum anderen ein Blatt oder die leere Schachtel – nur im Spiegel sehen konnte. Die Elstern zeigten gute Diskriminationsleistungen, indem sie sich in der überwiegenden Zahl der Fälle nach dem Blick in den Spiegel nur auf die Schachtel zubewegten, wenn sie den für sie interessanten Inhalt hatte – den Ring bzw. das Futter (Abb. 4).
Schließlich machten wir mit unseren Elstern sog. Markierungstests. Dafür bekamen sie zunächst im Kehlbereich, direkt unterhalb des Schnabels, einen farbigen Fleck. Sie können diese Stelle mit ihren eigenen Augen, die seitlich am Kopf sitzen, nicht direkt sehen, hingegen sehr gut im Spiegel, wenn sie vis-à-vis ihrem Spiegelbild stehen. Wir benutzten eine ungiftige, leicht abwaschbare Farbe. Jede Elster wurde zwei verschiedenen Tests unterzogen, einmal mit leuchtend roter und einmal mit schwarzer Farbe. Die schwarze Farbe ist auf dem an dieser Stelle schwarzen Federkleid nicht sichtbar und war eine von mehreren Kontrollbedingungen. Wir wählten diese Art der Kontrolle aufgrund eines Einwandes gegenüber früheren Versuchen von Gallup mit Schimpansen: Die Tiere hätten sich vielleicht beim ersten Test ohne Spiegel noch nicht vollständig von der Narkose erholt seien deshalb vielleicht weniger aktiv gewesen.
Der rote Fleck verrät die „Psyche“ nach oben
nach unten
Der Verzicht auf eine Narkose verringerte zudem die Belastung für die Tiere. Unter beiden Markierungsbedingungen wurden die Elstern völlig gleich behandelt. Sie wurden in die Hand genommen, mit einem roten oder schwarzen Farbtupfer versehen und dann in den Versuchskäfig gesetzt. Einmal standen sie dann einem Spiegelbild mit rotem Kehlfleck gegenüber, ein anderes mal dem Bild einer mit ihrer schwarzen Kontrollmarkierung normal aussehenden Elster (Abb. 5). Was würden die Elstern tun?
Um ein quantifizierbares Maß für das Verhalten der Elstern zu erhalten, protokollierten wir 18 typische Verhaltensweisen vor dem Spiegel und analysierten den Anteil an Verhaltensweisen, die auf die eigene Kehlregion gerichtet war: D.h., wenn sich das Interesse der Elstern – nachdem sie im Spiegel den roten Fleck gesehen hatten – auf diese Stelle am eigenen Körper richtete.
Abb. 5: Elstern beim Markierungstest vor dem Spiegel: “Bin ich‘s oder bin ich‘s nicht?“
Verwirrspiel erhöht Versuchssicherheit
Wie Abb. 6 zeigt, war die auf den Kehlbereich gerichtete Aktivität wesentlich höher, wenn die Elstern einen deutlich sichtbaren roten Fleck hatten, als wenn der Fleck nicht zu sehen war.
Um zu prüfen, ob die Elstern nicht einfach auf das Bild von einer Elster mit rotem Kehlfleck z. B. mit Putzverhalten reagieren – Putzen kann bei Vögeln auch Folge erhöhter Erregung sein -, unternahmen wir weitere Kontrolltests. U. a. boten wir den Elstern hinter einer durchsichtigen Glasscheibe anstelle des Spiegels - aber bei einer ansonsten identischen Versuchssituation - eine ausgestopfte Elster entweder mit oder ohne roten Kehlfleck an. In einigen Tests saß diese Attrappe ruhig, in anderen wurde sie bewegt.
In weiteren Tests waren hinter der Glasscheibe lebende Elstern, mal mit und mal ohne Kehlfleck. Das Ergebnis war überzeugend, das Interesse der Vögel richtete sich nur dann eindeutig auf den eigenen roten Kehlfleck, wenn sie sich vis-á-vis zu ihrem Spiegelbild befanden.
Spricht das selbstbezogene Verhalten markierter Elstern vor dem Spiegel nun dafür, dass sich diese Vögel im Spiegel erkennen, vielleicht sogar eine Vorstellung von sich selbst haben? Erbringen sie eventuell sogar höhere Leistungen als viele Affen? Die Wahrnehmung der eigenen Person und die Identifikation anderer, bekannter Artgenossen ist ein äußerst komplexes Phänomen mit vielen Teilkomponenten. Wie viele derjenigen Komponenten, die menschliches Selbsterkennen ermöglichen, im hochentwickelten Gehirn der Elster realisiert sind, wissen wir noch nicht.
Es ist bleibt aber festzustellen, dass Elstern vor dem Spiegel ähnlich reagierten wie Schimpansen und Orang Utans in vergleichbaren Tests, die bei diesen Menschenaffen als Hinweis auf Selbsterkennen interpretiert wurden. Bisher ging man davon aus, dass solches Verhalten Arten, die dem Menschen eng verwandt sind, vorbehalten ist. Wie die Elstern zeigen, hat es sich offenbar auch außerhalb der Primaten entwickelt.
H.Prior, B. Pollok, O. Güntürkün
Irre ::::hier der Link für die grafik
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin...kel1/seite2.htm