Liebe Annika!
Ich kann Deine Bedenken verstehen, muss mich aber Rosie anschliessen.
Ich weiss auch, dass es (leider) immer noch Leute gibt, die Einzelhaltung beim Kanarienvogel befuerworten. Ich kann es jedoch keinesfalls mit meinem Gewissen vereinbaren, dies zu unterstuetzen.
Die Zahl der Faelle, in denen es wirklich schief geht, ist verschwindend gering im Gegensatz zu den vielen Faellen von Gemeinschaftshaltung, in denen es klappt.
Und auch auf die Gefahr hin, dass sich jetzt diejenigen, die immer noch festgefahrene und ueberzeugte Einzelhalter sind, auf den Schlips getreten fuehlen, moechte ich nachfolgend gerne mein Plaedoyer fuer Paarhaltung bei Kanarienvogeln halten.
Wie gesagt, ich kann verstehen, dass Du Angst hast, dass es nicht klappt. Es muss auch nicht klappen. Kann, muss aber nicht. Es gibt Faelle, in denen hat es problemlos geklappt, in anderen Faellen wurde sich gefetzt ohne Ende. Trotzdem ist es einen Versuch wert, denke ich. Denn wenn die Tiere harmonieren, dann hast Du im wahrsten Sinne des Wortes doppelt viel Spass mit ihnen.
Kanarienvoegel sind zwar in der Zusammenfuehrung meist viel komlizierter als zum Beispiel Wellensittiche. Das heist nicht, dass der Kanarienvogel ein geborener Einzelgaenger ist. Das ist in meinen Augen absoluter Quatsch.
Wenn Du einige Dinge beherzigst, ist schon mal ein wichtiger Schritt getan:
Ganz ganz wichtig ist, dass Du den neuen Vogel nicht einfach zu dem alten in den Kaefig setzt. Der alte wird sein Revier verteidigen wollen und den neuen ganz bestimmt vermoebeln. Solltest Du keinen Kaefig mit Trenngitter haben, kannst Du auch zwei Kaefige nebeneinander stellen. Das geht ebenso gut.
"Fauchen" sie sich durch das Gitter an, ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen, sollte aber in den ersten Tagen nicht ueberbewertet werden. Haelt es allerdings an, glaube ich nicht, dass man eine erfolgreiche Zusammenfuehrung erwarten kann. Aber das muss man abwarten.
Wenn Du das Gefuehl hast, die beiden "moegen" sich, dann kannst Du sie zusammen fliegen lassen, denn es ist sinnvoll, wenn sie sich beim Freiflug kennen lernen. So treffen sie sich sozusagen "auf neutralem Raum" und keiner hat das Vorrecht. Waehrend die beiden fliegen, kannst Du dann den Kaefig, in dem sie beide leben sollen, etwas "umdekorieren". So ist die Umgebung (Kaefig) fuer beide neu und fremd und der alte wird sich weniger machohaft benehmen. Vielleicht stellst Du ihnen noch alles in doppelter Ausfuehrung zur Verfuegung, sodass es keinen Streit gibt, wer zuerst an den Napf darf. So haben zumindest bei mir schon einige Zusammenfuehrungen geklappt.
Ich wuerde raten, den Neuzugang nicht unbedingt im Fruehjahr anzuschaffen, sondern besser im Spaetsommer oder Herbst. Ich weiss nicht, inwieweit "Fruehlingsgefuehle" oder Brutlust zu Aggressivitaet einem "Eindringling" gegenueber geraten koennen. Ich glaube, im Herbst waeren die Chancen einer harmonischen Zusammenfuehrung geringer.
Unser erster Kanarienvogel war (ist immer noch ) ein Hahn, Tweedy. Sein Partner Daisy stellte sich schon nach einigen Tagen als Donald heraus, denn die beiden zofften sich nur und versuchten, sich gegenseitig beim Singen zu uebertrumpfen. Da die Gefechte aber andauerten und die beiden sich wirklich von morgens bis abends fetzten , haben wir zwei Hennen dazu gekauft, und Ruhe war! Der Kaefig wurde fuer 4 allerdings zu klein, weshalb wir dann eine
Voliere bauten, in der wir mittlerweile 7 Kanarienvoegel, bis auf 2 alle Tierheimvoegel (3 Haehne, 3 Hennen und ein/e ?) halten, die sich bis auf gelegentliche Kabbeleien gut verstehen. Natuerlich fetzen sie sich mal, wenn einer mal wieder schneller an die Salatgurke will als der andere oder wenns darum geht, wer zuerst baden darf... Auch in der Brutzeit wird die Rivalitaet viel heftiger als das restliche Jahr hindurch. Ernsthafte Auseinandersetzungen gibt es aber nicht, zumindest gab es die bei mir noch nicht. Faelle, in denen sich Kanarienvoegel so sehr zoffen, dass man sie voneinader trennen muss, kommen meiner Erfahrung nach meist bei Kaefighaltung vor. In grossen
Volieren mit Versteck- und Ausweichmoeglichkeiten ist das glaube ich eher selten. Und wenn es dann vorkommt, ist es doch eher ein Einzelfall.
Wenn es also mit den beiden absolut nicht klappen sollte, gibt es ja immer noch einen anderen Weg. Es ist auf jeden Fall gerechter dem Tier gegenueber, wenn er alleine entscheiden darf, ob er sich mit einer Partnerin verstehen will oder nicht. Ich finde es ziemlich egoistisch, ihm diese Entscheidung zu nehmen und ihn ein Leben lang zur Einzelhaft zu verdammen.
Ich glaube, bei vielen Leuten entsteht der Eindruck, ein Kanarienvogel kann auch gut alleine leben deshalb, weil sie kein so offensichtliches Sozialverhalten wie Kraulen etc. zeigen, wie es Sittiche tun. Das heißt doch noch lange nicht, daß sie keinen Partner brauchen.
Ich denke auch, daß man bei Kanarienvögeln nicht zu viel erwarten darf, was den Kontakt zueinander angeht. Das stundenlange Kraulen, wie man es bei Prachtfinken oder Krummschnäbeln beobachten kann, gibt es bei Kanarienvögeln in dieser Art meist nicht. Das heißt aber nicht, daß sie sich nicht mögen, sondern viel mehr, daß sie es von Natur aus eben nicht so sehr tun wie die o. g. Arten.
Mag sein, daß Kanarienvoegel in der Natur außerhalb der Brutzeit Einzelgänger sind. Trotzdem haben sie ständig Kontakt mit Artgenossen, und sei es zufälliger Art.
Ich denke, man darf keinem Vogel einen Artgenossen vorenthalten, es sei denn er ist krankhaft aggressiv und würde eine Gefährdung für den Partner darstellen oder er muß aus Gesundheitsgründen isoliert werden.
Wer einmal die Gelegenheit hatte, harmonisierende Kanarienvoegel in einer
Voliere zu beobachten, der wird sich nie fuer einen Einzelvogel entscheiden.
Natuerlich geht auch die Paarhaltung nicht immer gut. Wir Menschen vertragen uns ja auch nicht mit jedem.
Das liegt aber meines Erachtens meist daran, dass den Voegeln z. B. keine Eingewoehnungszeit gegeben wird. Oft wird ein zweiter Vogel gekauft und direkt zu dem ersten in den Kaefig gesteckt. Dass es da Zoff gibt, kann man sich denken, der Alteingesessene will sein Reich verteidigen.
Ein weiterer Grund, den ich oft bemerke, ist der, dass die Voegel meist schlicht und einfach keinen Platz haben, sich aus dem Weg zu gehen, wenn sie sich mal zoffen. Auch dann ist Krach vorprogrammiert.
Ich plaediere hier so stark fuer die Paar- oder Schwarmhaltung, weil es in meinen Augen die einzig artgerechte Haltung sein kann. Der Mensch kann niemals einen Partner ersetzen, auch wenn der Vogel durch seine Zahmheit den Eindruck erweckt, er naehme den Menschen als Partner an. Wen soll er auch sonst als Partner sehen? Er hat ja keine Wahl.
Sei so lieb und schau Dir einmal die Seite
www.paarhaltung.info
an.
Dort wirst Du noch viele Argumente finden. Auch wenn es meist um Sittiche und Papageien geht, so ist es auch zum Grossteil auf Kanarienvoegel zu uebertragen.
Ich wuerde mich sehr freuen, wenn ich mit meinem "Plaedoyer" dazu beigetragen haette, dass Dein Kanarienvogel einen Kumpel kriegen wird.
Das ist allerdings meine persönliche Ansicht und hat natürlich keinen Anspruch auf Richtigkeit.