Hallo Azrael!
Die Zeit vergeht immer viel zu schnell. Es dauert nicht mehr lange und wir müssen Abschied nehmen von deinen tapferen fünf Helden. Wir haben sie lieb gewonnen, besonders Mia die Lilly, weil sie ihr versichert hat, dass man als Papageiendame von Welt keinen Tuschkasten tragen muss, um eine aparte Erscheinung abzugeben – zwei Farben, z.B. Grau und Rot, reichten für die perfekte Eleganz. Nun ist Mia beseelt vor Glück und sucht lediglich noch jemanden, der Untergewicht und ein leicht strubbeliges Fell für zukunftsweisend erklärt.
Die Kinder spielen nebenan „Die Reise nach Jerusalem“. Mit Schuhkartons. Wenn die Musik ausgeht, scheidet derjenige aus, der nicht schnell genug in einen Karton reingehüpft ist. Sie sind bereits beim zehnten Durchgang, und ich wundere mich, dass Loui und Felix, diese beiden gestandenen Männer, diesen „Kinderkram“ mitmachen, aber sonderbarerweise scheint er gerade sie zu freuen, denn sie rennen am schnellsten und juchzen am lautesten. Vielleicht ist dies der Ausgleich zu den ernsten Anforderungen am gestrigen Vormittag.
Wir waren nämlich am Samstag in der Politik. Jawohl. Wir haben den Landtag besichtigt und anschließend mit einer Abgeordneten über die drängenden Fragen hiesiger Papageien diskutiert.
Im Landtag war nämlich Tag der offenen Tür. Das habe ich uns nicht entgehen lassen wollen. Wann kommt man schließlich als gemeiner Bürger in den Genuss, hinter die Kulissen der Macht zu schauen? Ein Angestellter führte uns Besucher durch den Plenarsaal. Wir waren eine ganze Menge Touristen, aber nur sieben davon trugen Flügel. Ich hatte dem Septett die Erlaubnis zum Freiflug erteilt, nachdem sie mir hatten versprechen müssen, keine Kleckse auf dem Teppich zu hinterlassen, keine Erinnerungsgravuren in die Tische zu schnitzen („Loui was here“) und keine Kabel durchzukneifen. Arthur wurde daraufhin auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten gesichtet, und Max prüfte mit Felix die Mikrofonanlage („Eins ... eins ... eins ... Zickezacke - Hühnerkacke“).
Anschließend stand eine geschlossene Diskussionsrunde auf dem Plan. Nur ich mit den sieben Geiern und eine Landtagsabgeordnete einer der im Bundestag vertretenen Parteien. Es ging ausschließlich um Themen, die Papageien in Deutschland interessieren. Dieser Termin stand unter der Überschrift „Politiker treffen unsere Geflügeljugend zum Erfahrungsaustausch“. Dazu durfte jeder meiner sieben an die nette Abgeordnetendame zwei Fragen stellen. Wir hatten vorher zu Hause schon ein wenig geübt, damit es nicht zu peinlichen Pausen kommen würde. Jeder hatte einen Zettel zur Unterstützung dabei. Hier sind unsere 14 Fragen:
- Warum kriegen wir Vögel kein Kindergeld? (Lilly)
- Warum haben wir kein Anrecht auf bezahltes Pflegefachpersonal, wenn unsere Halter krank oder unfähig sind? (Agathe)
- Gibt es statistische Erhebungen über den Anteil von Emigrantenvögeln am Kriminalaufkommen in Deutschland? (Loui)
- Wenn ich eine Kosmetikschule besuchen möchte, bekomme ich dann Fördergelder zur Ausbildung? (Mia)
- Wie viele Emigrantenvögel der späteren Generationen wandern zurück in ihre Heimatländer? (Felix)
- Habe ich bei einer gescheiterten Verpaarung Anrecht auf Prozessbeihilfe und eine neue
Voliere, falls mein Halter unvermögend ist? (Arthur)
- Gibt’s hier keine Kekse? (Max)
- Wie sieht es aus mit einem Vogelwahlrecht und einem Vogelparlament, zumindest auf kommunaler Ebene? (Loui)
- Warum bieten die Krankenkassen uns keine Kurse zur gesunden Ernährung, zur Vermeidung von Fettleibigkeit, zur Rauch- und Alkoholentwöhnung, zu empfehlenswerten Sportarten und zur Empfängnisverhütung plus Partnerberatung? (Agathe)
- Gibt es steuerliche Vorteile, wenn ich einen ökologisch kontrollierten Nebenerwerb mit Bioabfall (Papageienklecksen) zur Blumentopfdüngung betriebe? (Felix)
- Warum wird die Volljährigkeit und damit das Recht, unsere Halter zu verlassen ohne Angabe von Gründen, nicht verbindlich auf drei Jahre festgelegt? (Mia)
- Dürfen wir den Federlosen die Genomanalyse verweigern? (Lilly)
- Wann kriegen wir endlich eigene Vogelgehwege, damit uns die Federlosen nicht dauernd auf die Krallen latschen oder uns mit ihren Fahrrädern oder Kinderwagen umfahren? (Max)
- Wen finden Sie persönlich besser – Graupapageien oder Amazonen? (Arthur)
Die nette Abgeordnete hat sich sehr engagiert und feinfühlig mit allen Fragen befasst. Nach einer Stunde war alles vorbei. Zum Schluss lobte sie meine sieben und meinte wörtlich: „Wenn alle unsere Papageienjugendlichen so aufgeschlossen und interessiert sind wie ihr, dann ist mir nicht bange um unsere Zukunft.“ Lilly bewunderte dann noch ihr schickes Kostüm („Mit Grau liegt man immer richtig“), und dann sind wir nach Hause gefahren.
Mein Septett ist schwer beeindruckt von den Erlebnissen im Landtag. Max überlegt jetzt sogar, ob er nicht eine politische Karriere anstreben soll, denn „dann darf man in der Kantine umsonst essen und wird im Mercedes mit Wimpel rumgefahren.“
Nach dem Mittagessen waren wir im Stadtpark zum Minigolf spielen. Statt mit den Schlägern, die ja viel zu groß und schwer sind, haben die sieben die Bälle mit dem Schnabel oder dem Fuß gekickt. Das ging gut. Wir hatten viel Spaß. Arthur hat gewonnen, nur Agathe klagte über leichte Kopfschmerzen, weil Max ihr aus Versehen einen Ball an die Schläfe gedonnert hatte. In Max‘ Interesse weigere ich mich, weiter darüber nachzudenken, ob dies im Zusammenhang steht mit Agathes Ausspruch: „Los, Max, stell dich ins Ziel, wir versuchen dann in deinen Nilpferdriechern einzulochen.“
Jetzt sind aber alle wieder wohlauf. Meine Gäste haben bereits ihre Koffer gepackt. Gleich werden wir sie zur Hauptstraße bringen und auf Horst warten, damit er sie abholt mit seinem Sattelschlepper.
Heute haben wir noch im Garten gesessen, gegrillt und „Memory“ und „Spitz pass auf“ gespielt. Es war sehr friedlich.
Deine sieben Flugkünstler haben keinerlei Umstände gemacht – das kann ich versichern! Sie waren lieb, wohlerzogen und hilfsbereit. Ich hoffe, du lässt mir eine kurze Nachricht zukommen, ob meine Ferienkinder gut bei dir zu Hause gelandet sind. Hattest du ein schönes Wochenende so ganz ungestört? Ich hoffe, das Wetter war so herrlich wie bei uns.
Viele Grüße
Rinus