Hallo,
hier kommt ein etwas längerer Text
HansWilhelm schrieb:
1. Europäische Papageien besiedeln niemals solche Lebensräume, die den Charakter komplex und stabil vernetzter Lebensräume noch haben, wie z.B. Wald, Flussaue, Wattenmeer, Hochmoor usw.
Das hat meines Erachtens nichts damit zu tun, dass es "stabile" Lebensräume sind. Halsbandsittiche mögen keinen geschlossenen Wald, das Wattenmeer ist nicht für die Papageien geeignet und alles andere als ein "stabiler" Lebensraum, denn es ändert sich in seiner Form recht schnell. Ebenso fluktuierend sind die natürlichen Flussauen, die ja wie Tobias sagt auch von Halsbandsittichen besiedelt werden. Ein Hochmoor würde evtl. besiedelt werden, wenn es in der Stadt läge, da die Sittiche Birkenblüten bzw. Kiefernnadeln fressen können. Aber die schmalen Moor-Bäume sind als Brutbäume aufgrund der wenigen Nährstoffe im Moor eher ungeeignet. Wichtig ist, dass der Lebensraum in der Ebene liegt und die Bäume dürfen nicht zu dicht stehen. Die Sittiche brauchen die offene Landschaft um Feinde schnell zu erkennen und je nach Prädator anders zu reagieren. Beim aus dem Hinterhalt jagenden Sperber kreisen sie in kreischenden Schwärmen so lange bis der Feind abzieht, beim Wanderfalken bleiben sie im Baum sitzen, weil der Wanderfalke nur im Flug jagen kann. Außerdem sind sie untereinander sehr kommunikativ, sie nehmen bevor sie zu den Schlafbäumen fliegen erstmal untereinander Kontakt auf, auch deshalb darf die Vegetation nicht zu dicht werden. Man muss also beim Habitat natürlich die Lebensweise der Tiere beachten. Dann kommt man schnell darauf, dass die Stadt für sie bei uns der geeignete Lebensraum ist. Sie bietet unzählige Arten an Nahrungspflanzen, eine offene Struktur mit Bäumen und Häusern als Sitzwarten, wenig Feinde, ein begünstigtes Klima, ausreichend Brutplätze usw.
Indische Halsbandsittiche sind wohl die Papageien, die sich am engsten dem Menschen angeschlossen haben. Ohne die "Präadaption an den Menschen" und an den städtischen Lebensraum hätte die erfolgreiche Besiedlung nie in dem Maße stattgefunden wie wir sie gerade beobachten. Beim Wellensittich kam es ja nie zu einer erfolgreichen Stadtpopulation, weil bei ihm keine ökologische "Präadaption" an den menschlichen Lebensraum stattfand. Auch afrikanische Halsbandsittiche, die sich nie so eng an den Menschen angeschlossen haben, findet man bei uns ja nicht.
HansWilhelm schrieb:
2. Insofern ist der Begriff ihrer „ökologischen Einnischung“ überhaupt in Frage zu stellen, denn es gibt kein Ökosystem, welches durch ihre Anwesenheit stabilisiert würde.
"Ökologische Einnischung" muss nicht bedeuten, dass durch die Einnischung das Ökosystem stabilisiert wird, sondern dass die Art sich einfügt ohne einer anderen Art direkte Konkurrenz zu machen.
Dennoch gibt es ja aus Köln die Beobachtung, dass Halsbandsittiche für ein besseres Angebot größerer Bruthöhlen in den Parks sorgen. Auch in Heidelberg wurden viele der durch Spechte und Sittiche entstandenen Fassadenhöhlen in der Wärmedämmung von Staren bebrütet. Es gibt also durchaus Hinweise, dass die Sittiche für ein langfristig verbessertes Höhlenangebot stehen, was der Stabilisierung des Ökosystems ja recht nahe käme.
Wenn man es so sehen will gibt es einen weiteren positiven Effekt, der sich beobachten lässt. Wenn Halsbandsittiche an Meisenknödeln fressen, fällt ein gewisser Teil immer auf den Boden, wo sie bei uns nie zu beobachten sind. Allerdings profitieren dann Haussperlinge, Grünlinge, Haustauben, Buchfinken u.a. von einer ihnen vorher nicht zugänglichen Futterquelle.
HansWilhelm schrieb:
3. Papageien als Neozoon besiedeln solche Lebensräume, in denen der Stoffwechselfluss fragmentiert ist. Die urbane Garten- und Stadtlandschaft bietet solche Lebensräume hoher pflanzlicher Diversität und geringer Vernetzung.
Was meinst Du genau mit dem Stoffwechselfluss? Neozoen sind im Allgemeinen häufig in von Menschen gestörten Lebensräumen zu finden, da dort die Konkurrenz geringer ist.
HansWilhelm schrieb:
4. In solchen Habitaten sammeln sich Nahrungsmittel kumulativ an. Das Aufsuchen solcher Kumulationen (Obst, Bucheckern, Hainbuchennüsse, Ahornsamen, Misteln; Rosskastanienblüten u. –knospen....) ist eine Schlüsselfähigkeit von Papageien als nomadisierende, in Gruppen organisierte Nahrungsaufstöberer und Abernter und Weiterzieher.
Als Nomaden würde ich Halsbandsittiche nicht bezeichnen. Es gibt nur wenige einheimische Vögel, die so standorttreu sind. Sie sind aber ohne Zweifel Nahrungsubiquisten.
HansWilhelm schrieb:
5. Sie fressen an fast allem was pflanzlich ist. Nahrungsökologisch sind sie noch dem Eichhörnchen am nächsten. Aber dieses kann nicht fliegen und lebt auch nicht in Gruppen. Halsbandsittiche haben nur zeitlich begrenzte Nahrungskonkurrenten. Mal ist es der Kernbeißer, mal ist es der Star, mal die Elster, mal die Maus, mal der Stiglitz, mal die Misteldrossel.
Deshalb gehe ich nicht wirklich von einer Konkurrenz zwischen diesen Arten aus.
HansWilhelm schrieb:
6. Weil Papageien Kumulationen plündern, leben sie auch kumulativ. Sie nisten, schlafen und suchen Nahrung gemeinsam, ohne dass diese Verbände eine Struktur hätten.
Halsbandsittiche sind wie fast alle Papageien sehr sozial. Sie nisten aber nicht notwendigerweise in Kolonien. Es gibt auch genügend Einzelpaare. Nahrungs suchen sie häufig in Gruppen auf. Je näher sie dem Schlafbaum sind, desto größer werden die Fressgemeinschaften.
Es gibt sicherlich eine Struktur der Schlaf-Verbände. In Heidelberg gibt es beispielsweise eine gesonderte Schlafbaumgruppe im Herbst/Winter von ca. 50 Tieren, die sich aus unerfindlichen Gründen nicht der Hauptgruppe anschließt. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um eine Satellitenpopulation, welche die Süd- und Weststadt von Heidelberg besiedelt. Im Sommer sind dann aber alle Tiere auf den gleichen Bäumen zu finden. Außerdem gibt es Tiere , die zwischen mehreren Schlafplätzen im Gebiet wechseln.
HansWilhelm schrieb:
7. Die Risiken unserer Klimazone liegen für Papageien darin, dass das kumulative Nahrungsangebot eine jahreszeitliche Periodik mit Engpässen durchmacht. Die hohe Diversität der heimischen und exotischen Pflanzen im urbanen Raum mildert diese Bindung an die Jahreszeiten erheblich....
Einen Nahrungsengpass gibt es in der Stadt für die Sittiche nicht wirklich.
HansWilhelm schrieb:
8 ...aber der Mensch als Substitut, als Vogelfütterer, wird eingebaut und die Validität eines Lebensraums ist für Papageien dadurch erst gegeben.
Natürlich nutzen die Sittiche die Futterstellen exzessiv im Winter, obwohl sie auch Knospen und Früchte der Bäume fressen. Würde die Fütterung ausbleiben oder stark reduziert werden, könnten sich die Populationen meines Erachtens durchaus am Leben erhalten, vielleicht aber in geringerer Dichte. Eventuell müssten die Tiere dann auch andere Nahrungsquellen außerhalb der Stadt erschließen. Es gibt aber auch jetzt noch unzählige Bäume, die noch voller potenzieller Nahrung hängen, außerdem blühen hier in Heidelberg schon die ersten Kirschen und Haselnüsse, daneben wurden die Knospen von Zuckerahorn gefressen. Vogelfutter ist nie die ausschließliche Nahrung.
HansWilhelm schrieb:
9. Warum haben Deutschland und England Halsbandsittiche und Spanien Mönchssittiche? Was machen Spanier anders als Engländer, wenn sie Gärten anlegen oder Parks)
Wenn ich an die stark bebauten Touristenhochburgen denke, bleibt wenig Platz für geeignete Brutplätze. Großflächige Parkanlagen im Englischen Landschaftsstil mit weitläufigen Freiflächen und alten Platanen und anderen Brutbäumen sind ja gute Halsbandsittich-Brutplätze, aber eben typisch für Mittel- und Westeuropa, nicht für das Mittelmeer.
HansWilhelm schrieb:
10. Vielleicht füttern Spanier Tauben (und Mönchssittiche, die zwischen Tauben Brot stibitzen) und die Deutschen füttern Meisen, (was dem Fettbedürfnis der Halsbandsittiche entgegenkommt; Knödel, Ringe). Deshalb mag der Mönchssittich die Spanier und Belgier in ihren Parks und der Halsbandsittich favorisiert Engländer und deutsche Gartenfreunde und ihre Zuneigung zu Waldvögeln.
Ich bin auch der Überzeugung dass es Unterschiede in der Vogelfütterung gibt. Ob dies allerdings der Grund ist, ob Mönch- oder Halsbandsittiche bevorzugt werden, möchte ich bezweifeln. Da spielen sicherlich die potenziellen Brutplätze eine wichtigere Rolle.
Übrigens fressen Halsbandsittiche auch Brot, wenn sie es angeboten bekommen und auch Mönchsittiche gehen an Meisenknödel.
Viele Grüße
Michael