Bei ...zig und mehr Papageien aus unterschiedlichen Gattungen (mit jeweils unterschiedlichen Arten) nebst Neuzugängen, befristeten Unterbringungen, Abgängen und Umgruppierungen liegt eine geboten sorgfältige tägliche Kontrolle aller Exemplare auf Anzeichen einer Erkrankung nur dann im Bereich des Machbaren, wenn genügend Personal zur Verfügung steht. Erschwerend kommt hinzu, daß Papageien (im Gegensatz zu den meisten der als Heimtiere gehaltenen Säuger) "versuchen, ihre Krankheitssymptome zu verstecken, solange sie zu einer Kompensation in der Lage sind". (Pees et al. (2004)*: Leitsymptome bei Papageien und Sittichen, Enke Verlag, Stuttgart, S. 1) Vorgenanntes Zitat findet sich bezeichnender Weise – und nicht ohne Grund – schon auf Seite 1 des Kompendiums. Zudem bestehen innerhalb verschiedener Gattungen und Arten unterschiedliche Dispositionen für unterschiedliche (auch infektiöse) Erkrankungen.
Abklärungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes sowie der "Vorgeschichten" (einschließlich möglicher Übertragungsrisiken infektiöser Erkrankungen) von Neuzugängen sind im Vorfeld oft (trotz bester Absicht) nicht hinreichend durchführbar. Konsequente präventivhygienische Maßnahmen nebst fachgerechter Quarantäne bedingen einen zusätzlichen logistischen Aufwand (geschlossen von übrigen Beständen abgetrennte Räumlichkeiten, Desinfektionsbecken, Desinfektionsschwelle, Bereithaltung geeigneter Desinfektionsmittel, Möglichkeit zum Wechsel von Schuhwerk und Kleidung) und ein damit verbundenes "Mehr" an Zeitaufwendungen.
Um anknüpfend auf den vorhergehenden Satz kurz auf das Beispiel "Papillomatose" (und den damit gebotenen Umgang) zurückzukommen, folgender Auszug aus einer aktuellen Mail von Dr. Michael Lierz (Institut für Geflügelkrankheiten der Universität Berlin / Mitautor von Pees et al. (2004): Leitsymptome bei Papageien und Sittichen) zum Thema Papillomatose und Prävention, der den zu betreibenden Aufwand etwas anschaulicher macht: "(...) daher die betroffenen Vögel isolieren – 2 betroffene (Anmerkung von mir: Vögel) können zusammen gehalten werden. (...) Direktes Handling der betroffenen (...) sollte nicht (...) ein direktes Handling von gesunden (Anmerkung von mir: Vögeln) nach sich ziehen. Risiko ist gegeben. Isolierung heißt auch räumliche Trennung. (...) kein direktes Handling der Tiere nacheinander. Zwischendesinfektion mit allen Mitteln die gegen behüllte Viren tauglich sind (...)"
Zur Relation "Personal : Anzahl gehaltener Exemplare": Für den weitestgehend geschlossenen Grünflügelara-Bestand (16 Exemplare) des Tierpark Hagenbeck stehen permanent 3 Pfleger und eine tierärztliche Vor-Ort-Betreuung zur Verfügung. Jede/r "private" Halter/in wird bei Wahrung der Objektivität mit mir darin übereinstimmen, daß bereits die Haltung, Pflege und "Inaugenscheinnahme" von "nur" 4 Großpapageien (in geschlossenem Bestand ohne Zugänge/Abgänge) einen nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordert, der eben noch durch eine Person zu erbringen ist. Bei Haltung von 10 bis 15 Exemplaren erfordert die fachgerechte Betreuung, Pflege, Adspektion, Prävention (vor) und Nachsorge (von) Infektionserkrankungen nicht nur m. E. bereits mindestens 2 Personen. Natürlich lassen sich derartige Beispiele nicht beliebig exponentiell (nach der Gleichung: 10 Exemplare = 2 Betreuer/innen – 100 Exemplare = 20 Betreuer/innen) hochrechnen. Aber es dürfte außer Frage stehen, daß mehr als 100 Exemplare (zudem in "nicht-geschloßenen" Beständen) über das hinausgehen, was 2-4 Personen dauerhaft an notwendigen Leistungen erbringen können. Selbst (vorausgesetzter) guter Wille und beste Absichten vermögen daran objektiv besehen nichts zu ändern.
Zurück zu den in der Sache (Stichwort: infektiöse Erkrankungen) selbst begründeten Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten permanenter Zugesellungen, Um- und Neugruppierungen (Stichworte: Verpaarung, Vergesellschaftung) von/in Papageienbeständen im Hinblick auf (negative) Beeinflussungen des Immunstatus. Dazu nachfolgend exemplarisch für andere (gleichlautende, durch die Haltungspraxis evaluierte und vielfach veröffentlichte) Einschätzungen aus Dittrich (1986): "Stressoren aller Art, (...) soziale Spannungen oder Störungen sind in der Regel Faktoren, die das Immunsystem schwächen und Krankheitserreger manifest werden lassen." (Dittrich, L. (1986): Tiergartenbiologische Kriterien gelungener Adaption von Wildtieren an konkrete Haltungsbedingungen; modifiziert durch: W. Lantermann (1999) in: Papageienkunde, Parey Buchverlag, Berlin, S. 236) Im Klartext: Obige Konstellationen erhöhen a) die Infektions-Disposition, b) das Risiko zur Ausbildung (von) bzw. Empfänglichkeit (für) sog. "Faktorerkrankungen", die keinen unmittelbaren Bezug zur Infektionserkrankung aufweisen.
Anmerkung: Ich rede (schreibe) hier nicht von homogenen (etablierten) Gruppierungen. Gruppenhaltung (sofern sie nicht als permanente "Versuchsanordnung" für sog. "Vergesellschaftungen/Verpaarungen" dient) findet (vom Umfang her und artabhängig), vorausgesetzt entsprechend geräumige und gut strukturierte Haltungssysteme sowie reichlich Erfahrung, durchaus meine Zustimmung, entspricht sie doch in vielen Fällen der am Freileben orientierten sozialen Organisation.
Frequentierung von Besucher/innen der Anlagen (Abgabe von Papageien vor Ort, Mitnahme von Papageien vor Ort, Besichtigung der Anlagen etc.) erhöhen – insbesondere bei Nichtbeachtung und/oder Nichtverfügbarkeit fachgerechter Desinfektionslogistik – das ohnehin durch Aufnahme/Abgabe erhöhte Risiko der "Verschleppung" bakterieller, viraler oder parasitärer Erkrankungen in Eigen- und/oder Fremdbestände, die ihrerseits wiederum als "Trittsteine" für unkontrollierte/unkontrollierbare Weiterverbreitungen in Frage kommen.
Es sollte vielleicht abschließend daran erinnert sein, daß die hohe Austausch- und Abgabefrequenz (gepaart mit entsprechender "Sorglosigkeit") in der Vergangenheit bei den in zeitweilig sehr hohen Zahlen nachgezüchteten und verfügbaren Agapornis-Arten zu einer "Durchseuchungsrate" mit verschiedenen viralen Infektionen geführt hat, die sich (je nach Abschätzung) zwischen 50 % und 70 % bewegt. Wollen wir, daß sich eine derartige Entwicklung bei den Großpapageien wiederholen könnte?
Ich bleibe dabei: Weite Teile der mehr oder minder organisierten Abgabe- und Aufnahmeszene (ob nun kommerziell oder nichtkommerziell orientiert – es spielt prinzipiell keine Rolle) handelt in vorgenannten Zusammenhängen (ob bewußt oder unbewußt – auch das spielt letztlich keine Rolle) so, daß sich u. U. ähnliche Entwicklungen wie bei den "Kleinpapageien" einpendeln könnten. Ein Nach- und Umdenken ist notwendiger denn je.
Wer das An- und Aussprechen derartiger Dinge und die Benennung nachlesbarer und im thematischen Zusammenhang konkret kritikwürdiger Punkte in sach- und themenbezogener Form als "unanständig", unangemessen oder in sonstiger Weise beanstandenswert betrachten möchte, die/der möge das eben so sehen. Ich kann es nicht ändern. Ich möchte jedoch betonen, daß ich ein Verschweigen (das vielzitierte "Darüber-Hinweg-Sehen") sowohl gegenüber den Gefiederten selbst als auch gegenüber den Halter/innen als weitaus "unanständiger" einschätze. Ein offener und (dia)logischer Umgang mit sachlich gerechtfertigter Kritik wäre überaus sinnvoll. Aber: Das wird (realistisch besehen) wohl ein frommer Wunsch bleiben.
Gruß
Heidrun