Nehmt Euch mal die Zeit.....
Hallo zusammen,
nehmt Euch mal bitte die Zeit, unsere nachfolgende Ausarbeitung durchzulesen. Ich denke, dies könnte zur Versachlichung dieses Threads beitragen.
Liebe Grüße
Volker
Teil I
"
Handaufzucht" - Eine kritische Betrachtung
Allein im Magazin "Papageien" (Ausgabe 7/2002) werden in der Beilage "Kleinanzeigen" 79 explizit als "
Handaufzucht" bezeichnete Psittaciden (Amazonen = 31, Aras = 12, Kakadus = 12, Graupapageien = 24) offeriert. Bei Durchsicht entsprechender Rubriken in Tages- und Wochenzeitungen ist leicht feststellbar, dass a) eine hohe Zahl sog. "
Handaufzuchten" (teilweise mit den verkaufsfördernden Attributen "zahm" oder "superzahm") angeboten wird, und b) gleichzeitig eine nicht geringe Zahl von Psittaciden (oft "umständehalber") abgegeben werden soll.
Bei Hinterfragung der Abgabegründe zu b) ist in nicht wenigen Fällen zu erfahren, dass der "Abgabevogel" als "zahme
Handaufzucht" gekauft wurde, sich jedoch mit Eintritt der Geschlechtsreife als "problematisch" erwies.
Was ist unter "
Handaufzucht" zu verstehen ?
Die Aufzucht der Nestlinge wird nicht den Elternvögeln überlassen. Wenn nicht schon - wie vielfach praktiziert - bereits das Gelege mittels entsprechender Apparatur künstlich bebrütet wird, werden die Nestlinge entweder unmittelbar nach dem Schlupf, oder zu einem späteren Zeitpunkt der Nestlingsphase, entnommen und in einem künstlichen Medium unter Zuführung der notwendigen Wärme (Strahler) durch den Mensch mit Sonde, Pipette, Löffel oder sonstige Hilfsmittel gefüttert.
Was soll durch "
Handaufzucht" erreicht werden ?
Die Nestlinge und Jungvögel sollen in der sensiblen Prägungs- und Sozialisationsphase auf den Mensch (als späteren Besitzer/Käufer und "Interaktionspartner") fixiert werden. Der Käufer soll einen Vogel erhalten, der dem (Wunsch-)Bild eines zahmen, verschmusten und umgänglichen Hausgenossen entspricht.
Dieses (Wunsch-)Bild ist ein sehr konservatives, traditionelles Bild, das zwar (aus menschlicher Sicht) verständlich und nachvollziehbar, jedoch nur sehr bedingt mit den Ansprüchen an die Erfüllung der jeweils artspezifischen Erfordernisse in Einklang zu bringen ist. Es ist oftmals die (romantische) Sehnsucht nach einem "Stück Natur im Wohnzimmer", nach einem harmonischen Zusammenleben von Mensch und Tier. Es sind die Bilder vom "zahmen" Amazonenpapagei auf der Schulter eines "Ureinwohners". Es ist das Bild der Natur, wie wir sie wollen. Allerdings ist "die Natur, wie wir sie wollen, ganz verschieden von der Natur, wie sie wirklich ist" (Wuketits, F.M. (2002): Die Selbstzerstörung der Natur - Evolution und die Abgründe des Lebens, S. 37, Dt. Taschenbuch-Verlag). Nicht unbegründet merkt W. Lantermann in Bezug auf "
Handaufzuchten" an: "(...) trägt diese Form der Papageienzucht und -aufzucht dazu bei, dass das falsche Bild von den Papageien im Kopf der Vogelhalter weiter gefestigt wird." (Lantermann, W. (1999): Papageienkunde, S. 312, Parey Buchverlag Berlin)
Natürlich ist unbestreitbar, dass bei der privaten Haltung von Papageien unter "Wohnungsbedingungen" das "Herstellen" eines gewissen Maßes an Vertrautheit nicht nur von Vorteil, sondern sogar notwendig ist. Doch hierzu bedarf es nicht der "
Handaufzucht" (vgl. Kapitel: Wie kann die notwendige Vertrautheit erreicht werden?).
Warum kaufen zunehmend auch Privathalter noch nicht futterfeste Jungvögel, um sie von Hand (weiter-)aufzuziehen?
Mittlerweile ist ein Trend dahin erkennbar, dass Privatinteressenten von Züchtern und/oder Händlern Jungvögel erwerben, die noch nicht futterfest sind, um diese dann (sozusagen abschließend) selbst von Hand (weiter-)aufzuziehen. Hierdurch soll (und kann) eine direkte (starke) Bindung an den "Endbesitzer" (?) herbeigeführt werden.
Neben dieser zweckbetonten Absicht kann aber auch nicht ohne Berücksichtigung bleiben, dass - und nicht nur hierin gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier - der angeborene Zwang, sich um Lebewesen, die das sogenannte "Kindchenschema" bedienen, eine Rolle spielt. Hierzu Konrad Lorenz (zitiert aus: Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung, 1943): "Wir alle beantworten bei jungen Tieren wie bei kleinen Menschenkindern.
eine ganz bestimmte Zusammenstellung von Merkmalen mit spezifischen Gefühlen und Affekten, die als Erlebniskorrelate unseren arteigenen Pflege- und Betreuungsreaktionen zugeordnet sind. Lebewesen, die diese Merkmalskombination an sich tragen, werden dann als "süß" oder "niedlich" bezeichnet (...)"
Dieser jeder Art (so auch dem Mensch) angeborene und arterhaltend notwendige "Zwang", sich um den Nachwuchs zu kümmern, könnte fast schon als "genetisch programmierte Werbung für
Handaufzucht" angesehen werden und forciert nicht unerheblich die Entscheidung pro
Handaufzucht.
"Entwaffnend drastisch reagierte in einer Zeitungsredaktion einmal eine Sekretärin angesichts eines Fotos von Tierbabys: "Da schießt mir glatt die Milch in die Brust." (zitiert aus: Baumann, P., Fink O. (1979): Wie tierlieb sind die Deutschen?, Fischer-Taschenbuch-Verlag).
Da "Angeborene Auslösemechanismen (vgl. zur Begriffsdefinition: Franck, Dierk (1997): Verhaltensbiologie, Stuttgart - New York, Thieme, 1997) wie z.B. der "Brutpflegetrieb" auf sehr einfache Schlüsselreize (hier: "Kindchen- oder Babyschema") ansprechen, besteht - auch beim Mensch - die Möglichkeit, dass Verhaltensweisen von falschen Objekten (wie z.B. artfremden "Babys") ausgelöst werden. Die "Handlungsbereitschaft" (responsiveness) oder "Motivation (motivation) zur
Handaufzucht wird durch vorgenannten Mechanismus erhöht (vgl. hierzu: Becker-Carus, C., Schöne, H. , et al: Motivation, Handlungsbereitschaft, Trieb, Zusammenfassung einer Diskussion auf dem Ethologentreffen 1970 in Bern, Z. Tierpsychol. 30, , 1972).
"Handeln folgt nicht notwendigerweise aus Wollen, weil es "unbewusste" Tätigkeit gibt, bei welcher ein intentionaler Akt, den man "Wollen" nennen könnte, nicht im Bewusstsein auftaucht." (Gadamer , H.G., Vogler, P. (1971): Neue Anthropologie , Biologische Anthropologie, Erster Teil, Band 1, S. 39, Thieme, Stuttgart). Aber da der Mensch das Korrektiv der "Selbstreflektion" besitzt, ist das Bedienen des "Kindchenschemas" in Form einer unbewussten "Entscheidung" zur
Handaufzucht nicht zwangsläufig determiniert (vorherbestimmt). Die Verfügbarkeit über alle Informationen (FÜR und WIDER) ermöglicht uns trotzdem (im Gegensatz zum Tier) eine "Freiheit des Handelns".
Dieser kleine Ausflug in die Biologische Anthropologie war unumgänglich, um zumindest ansatzweise die hinsichtlich der Thematik "
Handaufzucht" vernachlässigten Aspekte der (unbewussten) menschlichen Motivation zu beleuchten.
Welch geradezu abstruse Auswüchse der unbedingte Wunsch danach, einen "zahmen" Vogel zu erhalten, zuweilen hervorbringt, dokumentiert anschaulich eine Anzeige im FINDLING (2. Septemberwoche 2002): "Tausche neuw. MTB, 21-Gang, gg. zahmen Papagei (...)"
Ist die Zielsetzung der "
Handaufzucht" ethisch vertretbar ?
Ohne zunächst auf die generelle Erreichbarkeit der Zielsetzung einzugehen, bleibt festzustellen, dass der angestrebte Erfolg (= Erhalt eines "zahmen" Vogels) sich vorwiegend an menschlichen Bedürfnissen orientiert. Verallgemeinernd könnte man von "egoistischen" Motiven reden. Da sowohl den Elternvögeln als auch den Jungtieren naturgegebene Entwicklungsabläufe vorenthalten (weggenommen) werden, ohne ihnen einen adäquaten Ersatz bieten zu können, handelt es sich bei der "
Handaufzucht" um einen die gesamte spätere Entwicklung determinierenden und irreversiblen Eingriff. Daher ist die "
Handaufzucht" (von absoluten Notfällen abgesehen) ethisch nicht vertretbar.
Sind die propagierten Ziele der "
Handaufzucht" überhaupt erreichbar ?
Unbestreitbar wird ein handaufgezogener Vogel zunächst beim Besitzer/Käufer in der Regel Begeisterung auslösen, weil er ihm gegenüber keinerlei Scheu zeigt. Der Vogel wird den Besitzer als "Partner" akzeptieren und für vielfältige Interaktionen zur Verfügung stehen. Das Ziel, einen unproblematischen "zahmen" Vogel zu erhalten, ist also erreichbar ? Für die Zeitspanne bis zum Eintritt der Geschlechtsreife (je nach Art 2 - 6 Jahre) trifft dies zweifellos zu. Doch spätestens ab diesem Zeitpunkt treten zumeist "Disharmonien" zwischen Mensch und Papagei auf, die sich oft in zunehmend agressivem Verhalten des Vogels äußern. Insbesondere auf den Ersatzpartner Mensch gerichtete Hypertrophien des ***ualverhaltens (u.a. Droh- und Imponierverhalten, Kopulationsversuche, Beiß- und Flugattacken) sind nicht selten. Fazit: Die propagierten Ziele können in der überwiegenden Mehrzahl nur für einen begrenzten Zeitraum (temporär) als erreichbar angesehen werden.