Hallo!
Ich habe lange überlegt, ob ich zu diesem Thema auch noch meinen Senf dazugeben soll. Wer meine Beiträge zu anderen Themen kennt, wird gemerkt haben, dass ich zu einer gewissen Ausführlichkeit neige. Kurze Statements sind nicht meine Sache. Aber ich finde, wenn man ein Thema sachlich diskutieren will, muss man schon mal ins Detail gehen, um seine Meinung ausreichend zu veranschaulichen.
Eins vorneweg: Ich bin keinesfalls gegen die Schwarm- oder Paarhaltung bei Amazonen und anderen Krummschnäbeln; im Gegenteil, ich befürworte sie, allerdings habe ich was gegen Pauschalisierung. Die Argumente, mit denen manche Vogelbesitzer die Paarhaltung begründen (oder besser gesagt: emotional geladen verteidigen), finde ich ebenso unreflektiert, wie ich es für unangemessen erachte, jedes sonderbare Verhalten seines Papageis der Einzelhaltung zuzuschreiben. Die Paarhaltung ist meiner Meinung nach nicht die Garantie für (psychische) Gesundheit; sie ist ein wichtiges Element auf dem Weg dorthin, das sicherlich, aber sie ist auch kein Allheilmittel für alles Gute und gegen alles Schlechte.
Bei der Diskussion darüber, was unseren Tieren gut tut, vergessen wir meiner Meinung nach nur zu leicht, dass allein wir Menschen es sind, die darüber befinden, was einem Tier gefällt und was nicht. Ein Tier kann erwiesenermaßen nicht reden, deshalb hat auch noch kein Tier uns gesagt, was es wünscht oder verabscheut. Wir ziehen unsere Kenntnis über dieses Thema aus der Interpretation seines Verhaltens. Das wiederum begründen wir auf der Beobachtung der Tiere in freier Wildbahn, werten dieses Verhalten, das wir da zu sehen bekommen, als natürlichen Zustand und messen an dieser Vorgabe die Abweichungen, die wir dann als "artuntypisch" oder als "krankhaft" bezeichnen. Auf Amazonen bezogen heißt das: Sie leben in freier Wildbahn in Schwärmen und monogam mit gleichbleibendem Partner. Ergo: Die Vögel haben es sich so ausgesucht (die Alternative zum Alleingang besteht ja durchaus, unter anderem weil Amazonen sich selbst als Individuen ernähren können und nicht etwa das Rudel brauchen, um gemeinsam das Futter zu erlegen). Daraus folgt wiederum: Wenn Tiere sich für etwas entscheiden, beinhaltet dies, dass die Tiere sich dabei wohl fühlen bzw. andersherum ausgedrückt: Beim Fehlen dieser selbst erwählten Bedingungen fühlen sich die Tiere unwohl (wobei wohl und unwohl auch wieder menschlich definierte Begriffe sind).
So arbeitet die Verhaltensforschung. Das ist ja auch ganz richtig, denn weil Tiere nun mal nicht sprechen können, müssen wir zwangsläufig auf die Mittel der Beobachtung plus Interpretation zurückgreifen. Totzdem bleibt das Problem, dass die Ergebnisse nicht objektiv sind. (Ehe mir jetzt jemand aufs Dach steigt: Man beachte den feinen Unterschied: Die Erkenntnis, dass Amazonen in ihrer natürlichen Umgebung im Schwarm leben, ist selbstverständlich objektiv (da für jedermann sichtbar), aber daraus zu folgern, dass Tiere das gut finden (oder schlecht), bleibt das Ergebnis einer menschlichen Schlussfolgerung; kein Tier hat sich selbst je dazu geäußert).
An diesem Punkt fangen meiner Meinung nach die Maleschen an. Jeder Vogelhalter (unterstelle ich mal) möchte, dass sein Tier sich wohl fühlt. Letztendlich kann er sich als Orientierungsmaßstab mit wissenschaftlichem Anspruch nur an das halten, was die Verhaltensforschung als "natürlich" definiert hat, also z.B. Paarhaltung. Mithin wird der Vogelhalter - sofern er sich dem Haltungsideal annähern möchte - seinen Krummschnäbeln einen Partner gönnen. Damit meint Halter A die Voraussetzungen zum Vogelglück geschaffen zu haben. Halter B aber findet diese Maßnahme keineswegs ausreichend, sondern kommt zu dem Schluss, dass auch genügend Freiflugmöglichkeiten vorhanden sein müssen. Er schafft sich also eine Zimmervoliere an. Nun kommt Halter C und sagt, damit sich meine Amazonen wohl fühlen, müssen sie an freier Luft fliegen können, nämlich in einer Außenvoliere, und dazu noch im Schwarm, damit sich jedes Individuum seinen eigenen Partner aussuchen kann. Nachbar D geht noch einen Schritt weiter und vertritt die Meinung, dass all diese Maßnahmen nur Makulatur seien und Amazonen grundsätzlich nicht in Menschenhand gehörten. Am Ende sind wir dann an dem Punkt angelangt, wo wir alle nach Lateinamerika reisen sollten, wenn wir "glückliche" Papageien sehen wollten.
Diese Meinung halte ich für durchaus legitim (und für konsequent). Aber sie bringt uns letztlich nicht weiter, weil wir ja alle unsere Vögel zu Hause halten; die einen mit Außenvoliere, die anderen ohne; die einen mit Paarhaltung, die anderen ohne.
Wir müssen also alle grundsätzlich erst einmal zugeben, dass wir unsere Vögel nach unseren Regeln und nach unserem Egoismus halten, einerlei wie weit wir ihnen dann wieder entgegenkommen, indem wir ihnen wieder etwas von dem zubilligen, was ihrem natürlichen Umfeld entspricht (also ihnen z.B. einen Partner dazusetzen). Wir können es drehen und wenden, wir werden immer an dem Punkt landen, dass allein wir selbst darüber bestimmen, was für für notwendig erachten, damit unsere Vögel "glücklich" sind.
Das vor Augen, halte ich es im Grunde für müßig, darüber zu streiten, ob die Paarhaltung der ausschlaggebende Faktor ist zum Vogelglück oder z.B. die Paarhaltung, zu der aber unbedingt noch die Außenvoliere gehört. Das sind letztlich alles nur graduelle Annäherungen an das Ideal des Naturzustandes, und jeder Halter hat da eben seine eigene Messlatte. Da gibt es keinen objektiven Zustand, wo man sagen kann, so, jetzt haben meine Krummschnäbel dieselben Bedingungen wie zu Hause im brasilianischen Regenwald.
Wohl aber finde ich es sinnvoll, allgemein gültige Empfehlungen auszusprechen, damit sich die Vogelhaltung nicht gänzlich in der Anarchie verliert. Diese Empfehlungen gibt es ja, sie sind überall nachzulesen und ja wohl den meisten Krummschnabel-Haltern bekannt. Wegen dieser Empfehlungen halte ich persönlich meine Amazonen im Paar. Es ist mir bewusst, dass ich meine beiden nichtsdestoweniger dazu zwinge, ohne Mitspracherecht in meinem von mir gestalteten goldenen Käfig zu leben, aber das ist der Mittelweg der Amazonen-Haltung, den ich vor mir und meiner Umwelt vertreten kann. Andere Halter mögen dabei, wie gesagt, strengere oder auch großzügigere Maßstäbe ansetzen.
Noch einmal zurück zur Verhaltensinterpretation. Ich betone es noch einmal: Bei allen guten Absichten für das Wohl unserer Vögel - niemand kann letztlich objektiv entscheiden, wie gut oder schlecht unser Tier eine Sache findet, wie es ihm dabei geht und wie das Tier es anders machen würde, wenn es selbst wählen könnte. Das Tier kann nur auf Situationen reagieren; wie wir aber diese Reaktion bewerten, ist dann wiederum eine menschliche Schlussfolgerung.
So gesehen müssen wir uns meiner Meinung nach sehr wohl die Frage gefallen lassen, mit welchem Recht manche Halter behaupten, ein Papagei in Einzelhaltung könne grundsätzlich nicht "glücklich" sein. Dies zu behaupten ist ebenso subjektiv wie das Gegenteil. Niemand kann objektiv entscheiden, was ein Tier fühlt. Man kann allenfalls, wie gesagt, Vergleiche ziehen und Mutmaßungen anstellen. Und solange meine Amazone keine der aufgelisteten Verhaltensstörungen zeigt - wieso soll ich dann wider besserer Beobachtung mir den Schuh anziehen, ich würde auf jeden Fall einen großen Fehler machen? In der Tat, vielleicht hätte meine Amazone gern einen Partner, fände aber das tropische Regenwaldklima wichtiger? Wer kennt die Reihenfolge? Und ist sie bei jeder Amazone gleich?
Aus einem ähnlichen Grund ist der Vergleich mit anderen Haustieren gestattet. Wenn man nämlich das Ideal der natürlichen Umgebung nimmt als Maßstab für psychische Gesundheit, so frage ich: Was tut eine Katze, die draußen herumstreunt? Sie wird sich paaren. Wer garantiert uns demnach, dass sich eine kastrierte Katze nicht "schlecht" fühlt, weil wir sie an der Ausübung ihres natürlichen Triebes hindern? Oder nehmen wir einen dominanten Hund, der sich verhält wie ein Rudelführer. Wenn Frauchen ihn zwingt, sich in der familiären Hierarchie ganz unten anzusiedeln, wer will zu behaupten wagen, dass wir dem Hund keine psychischen Qualen zufügen? (Oder umgekehrt er das ganz toll findet?)
Solche Dinge entscheiden wir bei anderen Tieren ganz selbstverständlich nach eigenem Ermessen, und zwar ohne dass uns dabei von überall gleich der erhobene Zeigefinger droht. Bei Amazonen und ihrer Verwandtschaft scheint das was anderes zu sein; jedenfalls ist es oft mit einer gehörigen Portion Emotion verknüpft, nicht selten sogar mit Aggression. Wieso eigentlich?
Ich habe die obigen Vergleiche der Vollständigkeit halber aufgeführt, eben weil ich es für grundsätzlich legitim halte, diese Positionen einzunehmen. Ich persönlich beschreite aber lieber einen anderen Weg, nämlich mich im Großen und Ganzen doch an den Erkenntnissen der Verhaltensforschung zu orientieren. Für mich ist das der richtige und vor allem der bequemste Weg, denn ich ordne mich gern den Vorarbeiten anderer Leute unter, die sich an meiner statt jahrelang in den Urwald begeben haben, um zu beobachten, wie sich Amazonen in freier Wildbahn benehmen. Ich selbst habe die Möglichkeit nicht dazu, möchte aber trotzdem, dass meine beiden Krummschnäbel möglichst viel von dem bekommen, was ihre Vettern in freier Natur genießen. Außerdem habe ich keine Lust, mit aller Gewalt das Gegenteil auszuprobieren. Ich muss nicht wissen, wie mein Hund reagiert, wenn ich ihn den ganzen Tag in den Schuppen sperre. Es besteht keine Veranlassung dazu, also halte ich ihn vom Schuppen fern und freue mich, dass er jetzt (offenbar) fröhlich um mich herum springt.
So ist es auch mit meinen Vögeln. Sie sind zu zweit, weil ich das richtig finde und es mir leisten kann. Sollte ich demnächst (was ich nicht hoffe) wieder mit einem allein sein, gleichzeitig umziehen und meine Arbeit verlieren, so fürchte ich allerdings, wird sich mein Schätzchen mit sich selbst begnügen müssen. Dann kann ich es nicht ändern. Dann ist es so, und etwaige Verhaltensstörungen (die glücklicherweise nicht zwingend sein müssen) kann ich dann eben nicht verhindern. Dann bleibt nur, auf bessere Umstände hinzuarbeiten.
Aber eins weiß ich sicher: Ich würd mich bedanken, wenn dann irgend so ein Klugscheißer (Entschuldigung) ankäme und mich über die Paarhaltung belehren würde. An einem Ideal zu kleben, ohne auf die Umstände zu achten, ist verbohrt und riecht nach Missionieren.
Viele Grüße
Rinus.
P.S. Huhu? Lebt ihr noch?