Hy Ivan!
Mache ich seit Mitte der 50ziger Jahre, also zu der Zeit, wo sich keine Elster näher als 100 Meter an Wohngebiete heran traute.
Auch zu der Zeit als jedes Elsternest ausgeschosen wurde, auch wenn dann mal Turmfalken drin saßen.
Hat die Elster auch in dieser Zeit, nicht zum Aussterben gebracht.
Daher habe ich einen guten Überblick, was damals pro 5KM³ an Brutpaaren vorhanden war und heute.
Das sind Quantensprünge, wenn ich die Wohngebiete mit einschließe, die damals gemieden wurden.
Da Du ja so ein scharfer Beobachter bist, verkläre Dir doch bitte mal, ob Dir neben der exorbitant gestiegenen Anzahl an Elstern, die keinstenfalls mehr tragbar ist, seitdem
noch irgendwelche Veränderungen in der Landschaft aufgefallen sind?
Wenn nicht, ich verrate mal was...
Viele hundert bis tausend der Wohngebiete, die Du erwähnst, gab es damals noch gar nicht.
Einhergehend mit weniger Nahrungsangebot, darnebst seinerzeit die Elstern noch mehr in der noch weitgehend unbereinigten Feldflur lebten, wo es zwar Nahrung gab, aber weiter verstreut und seltener. Zudem konnte da noch allerhand Raubwild auf die Elstern einwirken, was heute meistenorts eine absolute Ausnahme geworden ist, weil man nämliches ja auch bis auf blutende Stümpfe kurz machte, weil es Hühner und Tauben gefressen hat oder uns sonstwie unangenehm war... Ergo der von Dir beobachtete geringe Bestand an Elstern!
So, und wie schaut es heutzutage in der Regel aus?
Neue Wohngebiete mitten in der Pampa, wuchernde Speckgürtel von Städten, Verstädterung von Dörfern, die in Deinen 50er Jahren noch verschlafene Kuhkäffer waren... Was geht mit Siedlungsgebieten einher, unwiderlegbar und überall auf der Welt?
Richtig, reichere und kleinräumigere Lebenraumstruktur als in ländlichem Gebiet heutiger Ausprägung und ein weitaus höheres Nahrungsangebot, ergo mehr Elstern!
Weil ja aber heutigen Tags Feldflur wie Gärten gleichermaßen schön geschniegelt und sauber sein müssen, tritt ein Kuriosum in Kraft. Der urbane (ob groß- oder klein- ist egal) Mensch möchte so gerne Natur um sich haben (aus der er sich selbst immer mehr aussperrt...), und was macht er da?
Füttert in seinem Garten, in dem sonst jedwede freie Entfaltung von Natur weitestgehend hasserfüllt ausgerottet wird (unter anderem die Insekten- und sonstige Kerbtierfauna, die nur die wichtigste Nahrungsgrundlage für aufziehende Vögel ist...), fein jeden Winter die Vögelchen durch. Und dies massenweise, landesweit, so dass auch noch der schwächste Kümmerling durchkommt und nächstes Jahr selber ans Nisten geht...
So, was tritt nun auf, wenn sich zuviele nistwillige Vögel in einem Lebensraum drängen und nichts zum Ausweichen haben, weil bereits alles bewohnbare rappelvoll ist?
Man begnügt sich mit kleineren Revieren... Was tritt bei kleineren Revieren automatisch auf?
Richtig, ein Mangel sowohl an geeigneten Nistplätzen als auch an artgerechter Nahrung für die Jungvögel, sowie der intraspezifische Streß unter den Altvögeln.
Was passiert nun?
a) Durch Mangel an geeigneten Nistplätzen bauen zB Amseln ihre Nester an die abtrusesten Orte wie in Baumhäuser oder völlig offen in Balkonkästen, wo jede halbblinde Elster das Nest entdecken kann...
b) Durch Mangel an artgerechter Nahrung reicht das natürliche Insektenfutter vielleicht aus, um die zB Jungmeisen bis kurz vor Flügge hochzukriegen. Aber wenn es dann in den Endspurt geht, also die Jungen zum Ausfliegen zu bringen, da wird die Insektennahrung plötzlich unergatterbar knapp. Was passiert? Genau, alljährlich verhungern Bruten zu 50- 100 %, oder ausgeflogene Jungvögel verhungern, weil im weiten Umkreis keine Nahrungsressourcen zur Verfügung stehen, außer vielleicht ganzjährig beschickte Futterhäuser, von deren Körnerfutter sie sich selbst zu Kümmerlingen heranfressen!
c) Durch den ständigen intraspezifischen Streß unter den Altvögeln, die fortwährend die Grenzen ihrer (zu kleinen) Reviere verteidigen müssen, kommt es zu konditioneller Schwächung derselben, wodurch sie mehr Futter für sich brauchen, die ergo der Brut fehlt. Effekt ist derselbe wie unter b. ...
d) Die Elstern, die selber zur Hauptsache Insekten zur Aufzucht ihrer Brut benötigen und auch nehmen würden, wenn verfügbar, müssen das nehmen, was massenhaft zur Verfügung steht!
Da Zigarettenkippen, Papiermüll und leere Coladosen Jungvögeln ja nur bedingt schmecken und auch im Nährwert fragwürdig sind, müssen sie sich an die Gelege der kleinen Singvögel halten...
Und was macht nun die Natur, um der Lage Herr zu werden?
Sie schickt ihren Racheengel in Form der Elster (könnte noch mehr pöhse Tiere anführen, doch gehts hier ja um die Elster...), die einzig und allein die Umstände zu ihrem Vorteil nutzt, die wir Menschen zur Gänze und in voller Höhe selber verbockt, verbrochen und damit zu verantworten haben!
Und diese Verantwortung besteht nicht darin, rumzukrähen "Wäh, viel zuviele Elstern" und deren Tilgung vom Antlitz der Erde zu wünschen (was man natürlich nicht offen sagt, sich aber sicher insgeheim denkt...).
Denk' mal drüber nach! (Eigentlich hier getippten Satz habe ich gelöscht, um nicht beleidigend oder anmaßend zu werden, wie Nobody1 es in letzter Zeit so gerne tut!)
Andreas
PS: Ansonsten kamen im Thread einige sehr vernünftige, fundierte und sachliche Posts über Populationsdynamik und andere Belange zur Elster. Meinen Dank und Gratulation an diejenigen!