Genetisch ist Linienzucht genauso riskant, wie die anderen Inzuchtvarianten. Der Verwandtschaftsgrad zwischen Eltern und Kindern kann sogar höher sein, als zwischen Geschwistern.
(da das nicht intuitiv verständlich ist, erkläre ich es kurz: Geschwister haben 50% ihres Erbgutes von der Mutter und 50% vom Vater. Sie haben aber praktisch nie exakt die gleichen 50% jedes Elters, da sich die homologen Chromosomen bei der Meiose zufällig verteilen. Somit können Geschwister theoretisch zwar bis zu 100% im Erbgut identisch sein ("zufällige" Zwillinge), aber auch deutlich unter 50%. Eltern sind mit ihren Kindern im Erbgut dagegen immer zu 50% identisch -oder mehr, wenn der Partner bereits ein Verwandter ist)
Da Linienzucht aber Geld bringt, tut man gerne so, als wäre es weniger riskant.
Ob Inzucht zu Problemen führt, kann man generell nicht vorhersagen. Es ist für jede Art, ja jede Population unterschiedlich.
Es kann rasch zu Schäden führen oder auch völlig unproblematisch sein.
Ein Beispiel: Eine Art, die erst vor kurzem durch einen evolutionären Populationsbottleneck gegangen ist und somit eine geringe genetische Vielfalt und hohen Homozygotiegrad aufweist ist in aller Regel weitgehend unanfällig gegen Inzuchtdepressionen. Andernfalls hätte sie nicht überlebt, da es in kleinen Reliktpopulationen zwangsweise zu häufigen Inzuchtereignissen kommt. Überlebt das eine Art, kann man davon ausgehen, dass sie arm an häufigen Defektallelen ist.
Eine Art mit großen, evolutiv alten Populationen hat dagegen in aller Regel eine Menge genetischer Variabilität angesammelt.
Ist diese besonders groß, ist das Inzuchtrisiko in Erster generation noch recht niedrig. Über weitere Generationen steigt die Chance, dass unerwünschte Allele sich homozygort anreichern aber weit stärker als linear an.
Damit seien mal die beiden genetischen Extreme genannt.
In der Praxis der Tierhaltung sind uns vor allem solche Arten dauerhaft erhalten geblieben, die weitgehend inzuchtresistent sind: Alle Goldhamster in weltweiter Haltung stammen von einem vor knapp 60 Jahren importierten Weibchen ab.
Gleiches gilt für alle Heimbartagamen. Auch alle Heimwellensittiche lassen sich auf sehr wenige Gründervögel zurückführen.
Ich vermehre eine Geckoart schon in vierter Inzuchtgeneration, ohne ein nachlassen der Vitalität der Babies zu sehen.
Inzuchtempfindliche, kurzlebige Arten sterben dagegen in der Heimtierhaltung leicht wieder aus: Viele Aquarienfische vermehren sich in den ersten Generationen fleissig, dann lasen Vitalität und Fortpflanzungsfreude ebenso nach, wie Farbenpracht und Größe und die Gefangenschaftspopulation stirbt aus. Bis zum nächten Neuimport. Ähnliches gilt für viele Reptilien, zB eingie zunächst als leicht züchtbar eingestufte Chamäleons. F1 kein Problenm, nach F3-F5 ist aber schon Schluss.
Bei Tieren mit hoher Nachkommensrate, wie zb vielen Fischen, kann man trotz solcher Probleme durch sehr sorgfältige Auswahl der Zuchttiere aus den Inzuchtnachkommen, Inzuchtdepressionen immerhin erstaunlich lange vermeiden, wie einige verantwortungsbewusste Aquarianer zeigen.
Bei Tieren mit geringer Fortpflanzungsrate und langer Lebensdauer ist die Versuchung dagegen meist zu groß, genetisch eigentlich nicht dafür geeigneteTiere zur Zucht einzusetzen bzw man hat oft gar keine andere Wahl.
Papageien gehören klar in diese Kategorie.
Da man in aller Regel den genetischen Status der Elterntiere nicht kennt, sollte man, denke ich, hier auch in der ersten NZ Generation Inzucht vermeiden, wenn immer möglich.
Entstammen die Elterntiere nachweislich distinkten Populationen (was im Sinne des Arterhaltes -zu dem wir Privatzüchter allerdings nicht beitragen können- nicht wünschenswert wäre, im Sinne der Heimtierhaltung aber wurscht ist) ist das Inzuchtrisiko in F1 allerdings so gering, dass meine Hemmung, Geschwister aus der Nz eines solchen Paares zu verpaaren nicht allzu hoch wäre.
Trotzdem bleibt: Wenn man die Möglichkeit hat, nicht näher verwandte Paare zusammenzustellen, sollte man das tun. Hat man aber bereits ein innig harmonierendes Geschwisterpaar, bleibt im Einzelfall zu überlegen, ob man die der Gesundheit der Nachkommen zuliebe auseinanderreissen muss oder nicht.
Soweit meine 2 cts.