Hallo!
Liebe Kathrin, liebe Anja!
Drücke ich mich falsch aus, oder lest ihr nicht richtig? Ich habe klar und deutlich geschrieben, "dass es zwar Richtlinien geben kann zum Wohle einer bestimmten Tierart und gewonnen aus Wissen und Erfahrung, aber ein allgemein gültiges Rezept, wie jedes einzelne Tier glücklich wird in Menschenhand, gibt es nicht.
Ich streite doch gar nicht ab, dass es bestimmte Eckpfeiler gibt, die eine artgerechte Haltung definieren. In dieser Beziehung rennt ihr offene Türen ein bei mir. Ich selbst sehe z.B. die Paarhaltung bei Krummschnäbeln durchaus für ein wesentliches Element, um seinen Vögeln gute Bedingungen zu schaffen. Doch sind dies sozusagen die Extrempunkte auf der Skala der Möglichkeiten. Vielleicht zu vergleichen mit der Kindererziehung, wo ja wohl auch niemand ernstlich abstreiten wird, dass man Kinder nicht allein in einen dunklen Keller sperrt und von Wasser und Brot ernährt. Aber wie ich schon sagte - dazwischen gibt es noch eine ganze Menge an Variationen, und wer wollte da entscheiden, was die einzige Wahrheit ist?
Um bei dem Menschen-Beispiel zu bleiben: Bin ich deshalb ein schlechter Vater, weil ich meinem Kind ab und an Süßigkeiten gebe, obwohl jeder Mediziner bestätigen kann, dass Süßigkeiten aus den bekannten Gründen schädlich sind? Ja, werden jetzt die Puristen sagen, das ist absolut furchtbar. Gut, dann sollen sie diese Meinung vertreten und bei ihren Kindern anwenden, aber sie sollen nicht auch noch den Oberlehrer spielen und andere maßregeln wollen, die diese Sache zufällig etwas anders sehen (und ihnen einreden wollen, sie seien ja blind vor ihrem eigenen falschen Tun). Und wiederum die Gemäßigteren unter den Eltern werden vermutlich antworten: "Nee, gegen Süßigkeiten in Maßen ist nichts einzuwenden; das mache ich auch so." Preisfrage: Wer ist nun der bessere Elternteil? Oder ist es nicht vielleicht so, dass man derartige Fragen lieber an der Individualität des Kindes festmacht?
Auf unsere Vögel bezogen heißt das für mich: Wenn meine Amazone A rasend gern Straßenbahn fährt, dann fahre ich eben mit ihr Straßenbahn. Wenn dagegen meine Amazone B Straßenbahnfahrten nicht leiden kann, dann lasse ich es. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass ich als Halter mein Tier am besten kenne. Aber es gibt genug Leute, die liebend gern über mich herfallen, nur weil sie von der Vorliebe meiner Amazone nichts wissen und nur nach dem Augenschein urteilen, wobei es in ihrem Weltbild nicht vorkommt (und vorkommen darf), dass ein Papagei Straßenbahn fährt (oder auf der Schulter sitzt, oder keine Bananen bekommt ... oder ... oder ... oder).
Außerdem hab ich erst kürzlich eine Frau getroffen, die einen Graupapagei aufgenommen hat, der sich partout nicht vergesellschaften lässt. Jetzt sitzt er allein in seinem Käfig, weil er seinen Kumpel dauernd attackiert und blutig gebissen hat. So was gibt's also auch. Nehme ich aber nur das, was ich sehe (bzw. sehen will) ohne Hintergrundinformation, dann könnte ich prima über diese Frau herfallen und sie runterputzen, weil sie ja anscheinend noch immer nicht kapiert hat, dass man Großvögel nicht allein in einem Käfig hält. Was ich damit sagen will: Es lässt sich trefflich vom Sockel herunter philosophieren, wie die Welt besser funktionieren würde. Und über jeden und alles ließe sich ein Horror-Szenarium inszenieren, wenn man es denn wollte.
Ich will hier niemanden persönlich angreifen (auch nicht Kathrin und Anja!). Ich plädiere lediglich für mehr Toleranz und Gelassenheit. Um es einmal überspitzt auszudrücken: Ein Forum sollte da sein für den Erfahrungsaustausch, nicht aber, um Leute vor dem exklusiven Klub der Amazonen-Weisen fernzuhalten. Manche Jugendlichen haben hier einfach nur Fragen gestellt. Sie deshalb gleich mit einem Zeigefinger-Katalog an die Wand zu klatschen finde ich persönlich nicht fair. Wir mögen ja alle inhaltlich noch so Recht haben, trotzdem verhalten wir uns nicht anders als ein Achtzigjähriger, der einen Zwanzigjährigen anbellt: "Was? Ein Kind willst du in die Welt setzten? Bist du verrückt? Hast du an dies gedacht und an jenes? Am besten versuchst du' s erst mal mit einem Dackel." Also zeigt mir den Betroffenen, der diese Predigt gut findet, wenn er selbst damit gemeint ist! Wir alle denken an das Wohl der Tiere, trotzdem werden wir nicht verhindern können, dass Fehler passieren. Geben wir also auch Anfängern die Chance, zu Kennern zu werden.
Wie einer meiner Vorredner schon sagte: Man sollte wissen, worauf man sich einlässt, aber ansonsten - Herzlich willkommen unter den Amazonen-Verrückten.
Viele Grüße
Rinus.