unsere Wellis sind leider auch nie gerne geflogen. Sie hatten einen 1m breiten, 80 cm tiefen und 1,2m hohen Käfig. OK, wir gaben ihnen keinen unbeaufsichtigten Freiflug. Evtl. lag´s daran, daß wir sie im November, also in der dunklen Jahreszeit bekamen und aus diesem Grund waren sie dann nachmittags gegen 17:00 immer schon im "Bett", wenn wir von der Arbeit kamen. D.h., bis auf die WE gabs im Winterhalbjahr also keinen Freiflug. An den WE hatten sie dann wenig Lust. Wenn sie draußen waren, dann nur, weil wir sie rausholten. Wir mußten sogar dann den Käfig schließen, sonst wären sie immer fast sofort wieder reingegangen. Im Käfig wurde getobt, geklettert, geflogen, gespielt usw.. Sobald sie aber draußen waren hatte man das Gefühl, sie würden denken: "Und jetzt ? Was sollen wir draußen ? "
Ich kann mir bis heute nicht erklären, wieso sie solche Stubenhocker waren.....oder lags wirklich an dem nicht gewährten unbeaufsichtigen Freiflug ? Wäre es anders gewesen, wenn wir sie im Frühsommer bekommen hätten und sie jeden Nachmittag die Möglichkeit gehabt hätten, raus zu kommen ?
Ich denke es gibt vier wichtige Faktoren, welche in einer Haltung passen müssen, damit die Vögel aktiv bleiben und fliegen:
1) körperliche Gesundheit
2) "seelische Gesundheit"
3) räumliche Vertrautheit mit der Umgebung
4) Trainingszustand
zu 1)
ist klar, denke ich.
zu 2)
Damit meine ich richtige Gruppenzusammensetzung und viel Abwechslung im Tagesablauf.
Ich habe in meinen
Volieren (außerhalb der Brutsaisson) (fast) jeden Tag irgendetwas verändert.
Die Wellensittiche brauchen immer irgendetwas zum Inspizieren und /oder Auseinandernehmen. Ich denke, daß dieser Drang der Vögel ihrer Intelligenz geschuldet ist. Sie sind von Natur aus lernfähig und Neugier ist eine eng damit verbundene Eigenschaft.
Beim Spazierengehen habe ich jeden Tag irgendetwas eingesammelt und ihnen hingestellt. Zweige, Sträuße von Gräsern und anderen Pflanzen, alte Holzstücken, Mauerreste, ein Abstich von Rasen,
Vogelmiere , Borstenhirse etc. , manchmal auch nur eine leere Kiste.
Es muß nicht immer etwas Freßbares sein, aber die Welli's brauchen Abwechslung, damit es nicht zur Lethargie oder gar zum "Gefangenschaftskoller" kommt.
zu 3)
Es gibt so gut wie keine Haltung, in welcher die
Voliere (oder das Zimmer) so groß ist, daß Wellensittiche normal fliegen können. Dazu wären mindestens 5m, besser 10m und mehr nötig. Solche Möglichkeiten haben wohl die wenigsten von uns Vogelliebhabern.
Normal fliegen - damit meine ich, daß sie wie in der Natur mit ihrer normalen "Reisegeschwindigkeit" fliegen.
Diese liegt grob gesagt bei ca 11 m/s und bei dieser Geschwindigkeit benötigt der Vogel den geringsten Kraftaufwand beim Fliegen.
Sowohl beim langsameren Fliegen als auch beim schnelleren Fliegen muß mehr Kraft aufgewendet werden.
Beim langsamen Fliegen kommt hinzu, daß eine Reihe von Flugmanövern nicht mehr oder nicht mehr kontrolliert ausgeführt werden können. Das hängt mit der Physik des Fliegens zusammen.
Infolge dessen muß sich ein Vogel zunächst mit seiner konkreten Umgebung vertraut machen und die Flugmöglichkeiten dort austesten. Er kann aus aerodynamischen Gründen nicht einfach beliebig drauf losfliegen, wie wir manchmal annehmen, sondern er plant seinen Flug instinktiv. Je besser er die Umgebung kennt, desto mehr kann er seine Flugwege variieren, ohne zu "Crashen". (Jeder gute Beobachter seiner Vögel wird feststellen, daß in neuer Umgebung immer wieder zuerst wenige, später zusätzliche Flugwege von den Tieren gewählt werden.)
Insbesondere beim langsamen Flatterflug muß der Vogel kurzzeitig extreme Muskelkraft aufbringen, bewegt sich am Rande des Absturzes und ist in solch einer Situation nicht mehr sehr manövrierfähig.
Deshalb versucht er diesen besonders anstrengenden Flugzustand zu vermeiden.
Welche Kräfte der Vogel aufbringen muß, kann man erahnen, wenn man erfährt, daß der dafür gebrauchte Brustmuskel beim Wildvogel eine Masse hat, welche ca. ein knappes Drittel der Körpermasse ausmacht.
Das heißt also am Ende, ein Vogel fliegt dann zunehmend gern, wenn er seine Umgebung kennengelernt hat und sich in dieser erprobt hat. Übung macht den Meister! Jeden Tag auf's Neue. Nach längerer "Flugsperre" beginnt das Herantasten an Flüge in enger Umgebung von Neuem.
zu 4)
Fliegen unsere Vögel eine Weile nicht oder wenig, dann läßt die Leistungsfähigkeit (Trainingszustand) des Brustmuskels nach. Dazu kommt die ständige Gefahr des Übergewichtes infolge zu guter Ernährung.
Und dann setzt für viele Vögel eine ziemlich unheilbringende Spirale ein:
mangelndes Training und/oder Übergewicht ---> Fliegen wird noch schwerer und riskanter ---> Erschöpfung setzt schneller ein ---> Flugunlust nimmt zu (man kommt vielleicht auch mit weniger Kraftaufwand an's Futter) ---> dadurch noch weniger Bewegung (Fliegen) ---> Körpermasse nimmt weiter zu (wenig Bewegung) ---> Fliegen wird noch anstrengender und gefährlicher ---> noch größere Unlust zum Fliegen ---> die kritische Grenze ist erreicht, wenn ein ansteigender Flugweg (Steigflug) nicht mehr geschafft wird ---> ab da sind alle Kurvenmanöver mit Absturzgefahr verbunden ---> danach wird kein Horizontalflug mehr geschafft - es geht nur noch abwärts - Kurven werden vermieden, denn dadurch geht's noch schneller abwärts, weil sie zusätzlichen Auftrieb erfordern ---> dann vielleicht ein kleiner Flugunfall mit Verletzung ---> Verlust der Flugfähigkeit mangels zu großer Körpermasse, zu geringer Muskelkraft, infolge Verletzung oder mangels Willens zum Fliegen (weil das Futter von allein vor den Schnabel fällt).
Die Punkte 3 und 4 greifen eigentlich ineinander.
Man kann nur versuchen möglichst früh einzugreifen und die Haltungsbedingungen zu verändern, wenn die Vögel die Lust am Fliegen verlieren.
Einen gewissen zeitlichen Spielraum hat man, weil diese verheerende Entwicklung einige Wochen braucht.
Hat man diese Frist jedoch versäumt zu nutzen, um dem Unheil entgegen zu wirken, dann hilft nur noch kontrolliertes Abnehmen in Einzelhaltung als Zwangsmethode oder aber man überläßt den Vogel diesem schlimmen Schicksal.