Quelle:
http://www.ts-naturfoto.de/extern/buch/voegel/raben.html
"Thomas Schmidt
Gefiederte Nachbarn
Vögel in Stadt und Garten
...Gravierender ist der Vorwurf, daß Elstern und Krähen die Eier und Jungen unserer Rotkehlchen, Buchfinken und anderer Sänger fressen und damit deren Bestand gefährden.
Nach zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen sieht es allerdings so aus, als handele es sich bei diesem Vorwurf mehr um ein irrationales Vorurteil denn um etwas real Begründbares. So hat eine neuere Langzeituntersuchung in Osnabrück ergeben, daß trotz deutlicher Zunahme des Elsternbestandes auch die Zahl kleinerer Singvögel, wie Amsel, Gimpel, Kleiber und Zaunkönig, merklich anstieg. In Ulm stellte man in einem Gebiet mit relativ hoher Dichte an Elstern und Rabenkrähen fest, daß Buchfinken mit 41,7 Prozent einen ausgesprochen guten Bruterfolg erzielten. Allgemein ist festzustellen, daß Brutmißerfolge keineswegs allein den Rabenvögeln anzulasten sind, denn unter anderem rauben ja auch Eichhörnchen, Katzen, Wiesel und Steinmarder Nester aus. Überdies rangieren Eier- und Jungenraub in der Liste der Ursachen für Brutmißerfolg nicht automatisch an der Spitze. Davor noch spielen – in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit – der Mensch mit seinen Eingriffen in die Natur, der Tod eines Paarpartners und ungünstige Witterung eine Rolle. ...
...Hinsichtlich ihrer Ernährung sind sie Generalisten, also Allesfresser. Elster, Krähe und Eichelhäher leben in erster Linie von Insekten, Würmern, Schnecken und pflanzlicher Kost, Elster und Krähe in der Stadt auch von Abfällen. Wenn sie ihren Speisezettel gelegentlich mit kleinen Wirbeltieren aufbessern, handelt es sich vielfach um bereits tote Tiere, mit deren Tod sie nichts zu tun hatten. ...
...Jeder, der sich über ein zutrauliches Rotkehlchen, einen fröhlich trommelnden Buntspecht oder eine melodisch flötende Amsel freut, die Rabenvögel aber als Singvogelmörder verteufelt, sollte bedenken, daß auch Rotkehlchen, Buntspecht und Amsel keine Unschuldslämmer sind. Verfüttert das Rotkehlchen einen zarten Schmetterling an seine Brut, zerrt die Amsel einen Regenwurm aus dem Boden und vergreift sich der Buntspecht gelegentlich an einem Singvogelgelege, kräht kein Hahn danach. Auch ist daran zu denken, daß selbstverständlich auch die Corviden ihren Platz im Naturgeschehen haben. Als gelegentliche Aasfresser erfüllen sie etwa die Funktion einer »Gesundheitspolizei«, und ihre verlassenen Nester bieten zum Beispiel Turmfalken, Ringeltauben und sogar Spatzen Behausung für die Brut. Hoffentlich findet ein Denken, das die Natur nicht automatisch und arrogant in Gut und Böse, Schädlich und Nützlich einteilt, immer mehr Anhänger. ...
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