Auswildern einer zahmen Rabenkrähe
Hallo, Petra!
Ich kann Dir hier keinen Rat geben, aber von meinen Erfahrungen mit zahmen Rabenkrähen berichten.
Vor beinahe 1 Jahr (15. Mai 2001) haben wir eine noch nicht flügge Rabenkrähe (Teil-Albino) gefunden und daheim aufgezogen. Es handelt sich um ein Krähen-Mädchen, das wir "Sofie" tauften. Als sie schon einigermaßen fliegen konnte, brachten wir sie in einer
Voliere im Garten unter. Diese
Voliere deckten wir oben mit einem runden Holzdeckel mit ca. 1 m Durchmesser ab, um der Krähe bei Bedarf Schutz gegen Regen und Sonne und auch Deckung gegen die ziemlich vielen "wilden" Rabenkrähen in der Umgebung zu ermöglichen. Dieser Holzdeckel hat sich sehr gut bewährt, da eines Tages wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein sehr schwerer Hagelsturm unseren Garten heimsuchte. Diesen Hagelschlag hätte die Sofie ohne Schutzdach auf keinen Fall lebend überstanden. Und die wilden Krähen waren auch nicht darauf aus, mit unserer Sofie Freundschaft zu schließen. Ganz im Gegenteil verhielten sie sich ziemlich aggressiv und Sofie ging meistens in Deckung, wenn sie einen wilden Raben bemerkte. Die Raben saßen auf den Bäumen in der Nachbarschaft der
Voliere und marschierten auch auf dem Boden auf die
Voliere zu, was Sofie eher Angst einflößte, da sie ja nicht direkt fliehen oder davonfliegen konnte. Ich habe nie bemerkt, daß es eine Art freundschaftlicher Annäherung gegeben hätte.
Da unsere
Voliere zwar total geschlossen, aber dennoch eher ein Provisorium war, nahmen wir Sofie jeden Abend aus der
Voliere heraus und ließen sie in unserer Küche übernachten. Wir hatten Angst, daß eine Katze oder ein Marder Sofie holen könnte. Für die wäre ein Einbruch in die
Voliere eine Kleinigkeit gewesen. Zum Beispiel hat es sogar ein Igel mehrmals geschafft, sich am Tag durch die Bodenfuge durchzuquetschen, um an das Futter von Sofie zu kommen. In der Küche hatte Sofie auch mehr Platz, um das Fliegen zu üben.
Als wir sicher waren, daß Sofie's Flugkünste ausreichend sind, haben wir sie ganz einfach in die Freiheit entlassen. Die
Voliere bauten wir zunächst nicht ab, machten sie aber ganz weit auf. Und Sofie hat sie auch noch ziemlich lang und häufig als Ruheplatz oder Deckung und auch als Futterplatz benützt. Wir versorgten sie auch weiterhin mit Futter (Katzenfutter und Mehlwürmer) und zeigten ihr möglichst oft, daß man im Boden herumstochern muß, um Käfer und Spinnen etc. aufzustöbern. Ich habe festgestellt, daß sie vieles instinktiv beherrschte, vieles aber auch erst lernen mußte. Regenwürmer hat sie leider hartnäckig verschmäht und tut dies auch heute noch.
Die wilden Rabenkrähen haben Sofie, als sie frei war, teilweise nicht behelligt, teilweise aber auch recht feindselig bedrängt und verjagt. Sie hat andererseits dennoch stets die Gesellschaft dieser Krähen gesucht und ist immer mitgeflogen, wenn drei oder vier oder mehr auftauchten. Sie ist auch häufig gemeinsam mit diesen zu deren ca. 2 - 3 km entfernten Schlafplatz geflogen und dann am nächsten Tag manchmal schon früh, häufig auch erst nach Mittag mit ihnen wieder in unseren Garten zurückgekehrt. Noch öfter aber hat sie sich dazu entschlossen, bei uns in der Küche zu übernachten. Das tut sie auch heute noch und wird dann in Gesellschaft sehr unternehmungslustig und ein richtiger Treibauf und Tunichtgut. In der Frühe dann, wenn sie durch das Küchenfenster die ersten Raben fliegen sieht, muß sie sofort raus.
In den letzten Wochen hatte sie eine schwierige Zeit. Da vertrieben nämlich die Revierhalter die anderen Rabenkrähen aus ihrem Revier. Und da blieb Sofie von Nachstellungen und Attacken natürlich auch nicht verschont. Sie ist jedoch inzwischen so gewandt und versiert, daß sie sich den Angriffen und Verfolgungen zumeist erfolgreich entziehen kann. Manchmal freilich erwischt sie ein Verfolger dennoch im Flug und zupft sie an den Federn. Es sind jetzt noch immer tägliche Luftkämpfe zwischen den verschiedenen Raben im Gange. Sofie aber hat es zur Zeit etwas leichter und wird nicht mehr so oft verjagt. Weshalb, das weiß ich auch nicht. Es ist sogar so, daß der Besitzer unseres Gartenreviers Sofie ganz in seiner Nähe duldet und sie himmelt ihn an, obwohl er seit Jahren streng verheiratet ist und seine Frau offensichtlich schon mit dem Eierlegen und Brutgeschäft angefangen hat.
Soviel ich weiß, wird Sofie erst im Alter von zwei Jahren, also im Frühjahr 2003 geschlechtsreif sein. Ich rechne damit, daß sie dann auch ernstlich auf Partnersuche gehen wird und ich
meine Rolle als ihr bester Freund ausgespielt haben werde. Es wäre schön, auch wenn ich jetzt schon weiß, daß ich sie sehr vermissen werde.
Was ich über Ihre Situation mit Otti denke, ist dies: Ich meine, Sie interpretieren in das Verhältnis zwischen Rabenkrähen untereinander zuviel menschliches Verhalten. Daß sich zwischen einer halbgefangenen Krähe und einer wilden Krähe eine Freundschaft entwickelt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. So eine Krähenfreundschaft wird erst entstehen, nachdem Otti viele Nachstellungen durch die wilden Krähen erfolgreich überstanden und sich in die Hackordnung der herumvagabundierenden Krähen, die noch kein Revier besitzen, eingereiht hat. Sie bzw. Ihre Freundin sollten Otti solange behüten, bis seine Federn nachgewachsen sind und er gut fliegen kann. Und dann nach seiner Entlassung in die Freiheit sollten Sie ihm auch noch Schutzmöglichkeiten und Nahrung anbieten, sodaß er bei Bedarf darauf zurückgreifen kann.
Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für Otti,
Ihr Rabenvater