Noch ein paar abschließende Worte zu der Frage, ob es auf meinem Balkon idyllisch zugeht, ich bin mir da nicht sicher. Es wirkt so, aber im Grunde glaube ich nicht, dass ein Balkon für Tauben so geeignet ist, da sie ja standorttreu sind und Schwärme bilden wollen. Auch bin ich mit Gipseiern nicht so glücklich, da ich es problematisch finde, Tauben um die Freude zu bringen, ihre Jungen zu versorgen und großzuziehen. Ich meine jetzt grundsätzlich. Bei Gustave und Annette haut irgendwas nicht hin, aber nehmen wir mal an, Annette kriegt den Dreh mit dem Eierlegen irgendwann raus - das wird schwer für mich, ihr die Eier wegzunehmen. Aber ich weiß natürlich, was für Konsequenzen es hätte, wenn ich es nicht tue. Ich bin da in einem Zwiespalt.
Ich glaube, dass Tiere ihre Lebensqualität eben zu einem nicht geringen Teil aus diesen Erfahrungen der Fortpflanzung schöpfen und dass sie ihnen etwas bedeuten. Nicht dasselbe wie für Menschen - Tauben haben eben Taubengefühle, aber die sind auch wichtig und eben auch Gefühle. Es wäre mir wesentlich lieber, wenn Stadttauben Orte finden würden, wo sie diese Zyklen, die ihnen angeboren und für sie wesentlich sind, in Ruhe ausleben könnten. Die Rahmenbedingungen müssten so sein, dass die Populationen trotzdem nicht zu groß werden, weil das zu Verelendung führt und zu Taubenhass. Aber so ist es nicht, das Elend der Stadttauben ist groß, und ich frage mich, wie man das ändern könnte. Ich habe jetzt einiges gelesen zu den betreuten Taubenschlägen, aber keinen einzigen sicheren Hinweis darauf gefunden, dass die wirklich was helfen, das ist total widersprüchlich, was man da so liest.
Und wenn ich mir Gustave und Annette so vor Augen führe, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die sich in einem lauten, überfüllten Schlag wohlfühlen würden. Ich kann mir das auch nicht vorstellen, dass diese intelligenten, gewitzten Vögel nicht merken oder gleichgültig darauf reagieren, wenn man ihnen die Eier dauernd wegnimmt. Ich kann mir das nicht vorstellen, dass sie sich auf Dauer auf einen solchen Ort fixieren lassen, und ich halte es nicht für gut, freilebende Tauben überhaupt durch Futter an einen Ort zu binden und sie zu Stubenhockern zu machen. Gustave und Annette sind täglich mehrere Stunden unterwegs, abwechselnd natürlich. Ich sehe sie gerne fortfliegen, mit ihren kräftigen Flügelschlägen so geschwind durch die Luft jagen. Ich denke, auch das ist Lebensqualität für ein Tier: einen lebendigen, leistungsfähigen Körper haben, Bewegung zu erleben, sich etwas suchen zu müssen. Hier im Vorort gibt es nicht so viele Tauben, wesentlich weniger als in der Innenstadt, und sie sehen eigentlich alle gesund aus, sie scheinen genug zu finden, ohne das man sie füttern muss. Und ich wünschte mir, es wäre überall so.
Das sind nur Gedanken. Keine unumstößliche Wahrheit. Ich akzeptiere auch andere Meinungen.
Ich persönlich denke, dass Tauben in Städten durchaus autonom leben könnten und das auch getan haben, bevor ihnen das Überangebot der Wohlstandsgesellschaft das Leben so schwer gemacht hat. Und ich hoffe, dass sich Wege finden lassen, dieses Elend zu beenden. Im Moment scheinen wir noch weit davon entfernt zu sein, denn das Meinungschaos ist ja unüberschaubar. Gerade deswegen ist es sehr wichtig, eine vernünftige Diskussionskultur zu entwickeln. Es ist nicht einfach, die Bedürfnisse und das Verhalten von Tieren sicher zu deuten, und Tierfreunde sollten einander nicht bei jeder Differenz in Sachfragen an die Gurgel fahren. Ich kann mit widersprüchlichen Ansichten sehr gut umgehen, erwarte keine Eindeutigkeit; bin aber mit der Diskussionskultur in diesem Forum nicht glücklich und verabschiede mich daher. Schade eigentlich. Aber danke für Eure Inspirationen, das hat mir durchaus was bedeutet.