Moin Waldemar!
Grob unterscheidet man ja zwischen den Standvögeln, die auch außerhalb der Brutzeit sehr Standorttreu sind, den Strichvögel, die außerhalb der Brutzeit innerhalb eines Gebietes umherwandern und den Zugvögeln. Grob ist diese Unterscheidung auch deshalb, weil sich auch innerhalb einer Art in Abhängigkeit von den Gegenden, in denen sie leben und von aäußeren gegebenheiten wie bspw. Nahrungsangebot und Nistgelegenheiten, einzelne Vögel wie Stand-, Strich- oder Zugvögel verhalten.
Bei entflogenen standorttreuen Vogelarten kann davon ausgegangen werden, das sie sich lange Zeit weiter in der Nähe des Ortes, von dem sie entflogen sind, aufhalten, wenn es Nahrungsangebot und Brutgelegenheiten zulassen und sie nicht durch natürliche Feinde oder Menschen vertrieben werden. Dabei kann m.E. ein kurzer Moment des heftigen Erschreckens wie die Fehlzündung eines Autos ausreichen, das die Vögel weit weg fliegen und dann nicht mehr zurückfinden, selbst wenn sie wollten.
Zudem haben einige Vogelarten und -individuen ein ausgezeichnetes Orientierungsvermögen (am bekanntesten sind ja die Brieftauben), das ihnen erlaubt, auch aus großer Entfernung wieder nach Hause zurückzufinden, andere scheinbar nur ein gering ausgeprägtes Orientierungsvermögen: ich glaube, Konrad Lorenz berichtet in: "Er redete mit dem Vieh" von einem zahmen Adler, der bereits nach wenigen Kilometern nicht mehr nach Hause zurückfand und deshalb immer zu Fuß abgeholt werden mußte.
Die Chancen, das ein entflogener Vogel in der Nähe bleibt, sind also von Vogelart zu Vogelart und von Vogelindividuum zu Vogelinidviduum höchst unterschiedlich.
Übrigens gab es früher Versuche, die auch ansonsten recht standorttreuen Agaporniden freifliegend zu halten, indem man zu einem Zeitpunkt frei ließ, zu dem sie Junge hatten (Brockmann, Agaporniden, Ulmer-Verlag).
Bei in
Volieren gehaltenen Zugvögeln verhält sich die Sache naturgemäß anders: die Wahl des Winterquartiers und des Brutgebietes ist einerseits genetisch festgelegt. So wurden Mönchsgrasmücken in England eingefangen, die man in Radolfzell brüten ließ und deren Jungtiere ohne Kontakt zu den Eltern aufwuchsen. Als man den unerfahrenen Nachwuchs im Herbst auf seine erste Reise schickte, flog er geradewegs wieder Richtung England. (s. Wildvogelforum, Wie kommt der Bienenfresser nach Hamburg).
Andererseits wird bei vielen Arten wohl innerhalb des genetisch festgelegten Brutgebietes oft an dem Ort zurückgekehrt, an dem die Tiere aufwuchsen: bspw. bei Schwalben oder bei Störchen. Alljährlich kehrt ein großer Teil der Störche, die im Wildpark Eekholt in S.-H. aufgezogen wurden, aus dem Winterquartier zum Brüten in den Wildpark zurück.
Bei in Menschenhand lebenden Zugvögeln kann man zur Zugzeit im Herbst und Frühjahr eine verstärkte Unruhe beobachten, weil sie den Trieb haben, in ihr Winterqaurtier bzw. Brutgebiet zu ziehen (vgl. Henry Makowski, Amsel, Drossel, Fink und Star... - Vögel beobachten, Vögel versorgen -, Kosmos/ Franckh 1965)
Damit würden also auch die über Vogelgenationen in
Volieren lebenden heimischen Zugvögel in ein Winterquartier ziehen. Auch importierte Zugvögel würden dieses sicherlich versuchen und möglicherweise theoretisch auch ihr Winterquartier finden können, es jedoch in der Praxis oft nicht erreichen, weil die Entfernungen zu groß sind.
Wenn die Vögel aber ihr Winterquartier erreicht hätten, ist sehr fraglich, ob sie daraus wieder zumindest in die Nähe der
Voliere zurückkehren: dies hängt meines Erachtens wesentlich davon ab, ob in der
Voliere nur Vögel derjenigen regionalen Unterart gehalten wurden, die der Region entspricht, in der die
Voliere steht, d.h. also auch dem genetisch festgelegten
Brutgebiet (und das ist sicherlich nur sehr selten der Fall) und ob die Art dazu neigt, zu dem Ort der "Kindheit" zurückzukehren oder sich andere Brutplätze innerhalb des Brutgebietes zu suchen.
Bei entflogenen importierten Zugvögeln ist mit einer Rückkehr nicht zu rechnen, denn diese würden aus ihrem Winterquartier in ihr angestammtes Brutgebiet zurückkehren, also in die aus unserer Sicht "falsche Richtung" fliegen.
Ich denke aber, insgesamt kommt ein Großteil der entflogenen Vögel um, weil ihnen sowohl das instinktive als auch gelernze Verhalten fehlt, um ihn Freiheit zu überleben
------------------
Tschüss Rüdiger