Kommerziell / Nicht kommerziell / Not / Keine Not
Hallo zusammen,
ich werde mich nicht mehr umfassend in diese oder andere Forendebatten einklinken.
Trotzdem möchte in diesem Fall anmerken:
1)
Rolf Nübel bemüht sich (und das ist sehr erfreulich) um eine sachlich geführte Dsikussion.
2)
Kommerzielle HZ (Inkubatorbebrütung + zwei oder mehrere Nachbruten) ist allein schon aus tierschutzrechtlichen Erwägungen problematisch und abzulehnen.
3)
Sog. "Nothandaufzuchten" resultieren oft aus VERMEIDBAREN Fehlern der Halter oder werden sogar durch deren Verhalten erst ausgelöst/provoziert.
4)
Zu allen anderen Aspekten habe ich mich (auch) in diesem Forum schon umfassend geäußert.
Hier noch einige Anmerkungen zu den sog. "Nothandaufzuchten":
Durch menschliches Fehlverhalten provozierte
Brut- und Aufzuchtzwischenfälle mit der Folge
sog. "Not-
Handaufzuchten"
Brut und Aufzucht stellen besondere Anforderungen an die Elternvögel. Einerseits gilt es, Gelege und Nestlinge zu verteidigen - womit sich die während dieser Phasen gesteigerte Aggression erklärt - , andererseits ist eine Aggressionshemmung hinsichtlich des "Umganges" mit den Nestlingen erforderlich. Unter störungsfreien bzw. störungsarmen Bedingungen wird die Balance zwischen Aggression und Aggressionshemmung in aller Regel funktionieren. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die eigentlich sehr naheliegende Frage nach dem Auslöser der Aggressionshemmung (zumindest bei Psittaciden) bisher unbeantwortet bleibt. Wolfgang und Margret Schleidt (Mitarbeiter von K. Lorenz) haben diese Frage beim Truthahn tierexperimentell beantwortet, indem sie eine Anzahl Puten operativ taub machten. Diese Puten brüteten zwar völlig normal, hackten jedoch alle Jungvögel unmittelbar nach dem Schlupf tot. Die Lautäußerungen der geschlüpften Küken bewirkten also die Aggressionshemmung. Die Vermutung, dass dies bei Papageienvögeln auch der Fall ist, scheint uns nicht abwegig.
Nicht im vagen Bereich der Vermutung, sondern durch vielfältige Beobachtungen, Erfahrungen und Publikationen abgesichert ist jedoch, dass Störungen während der Brut- und Aufzuchtphasen zu Fehlverhalten der Elternvögel - insbesondere hinsichtlich der empfindlichen Balance des Aggressionsverhaltens - führen können. Die Schwellenwerte für die Auslösung der nachfolgend näher beschriebenen "Fehl-Verhaltensweisen" sind je nach Art unterschiedlich.
"Jeder Tiergärtner (...) weiß ein Lied davon zu singen, welch scheinbar geringfügige Störungen ausreichen, um derartige Hemmungsmechanismen zum Versagen zu bringen." (Lorenz, K. (1963): Das sogenannte Böse - Zur Naturgeschichte der Aggression, Borotha-Schoeler, Wien)
Was laut Konrad Lorenz "jeder Tiergärtner weiß", scheint vielen (Hobby)Züchtern nicht geläufig oder aber gleichgültig zu sein. Wie sonst wären beispielsweise die in diversen Internetforen und Magazinen geradezu inflationär veröffentlichten Fotos aus Bruthöhlen (zu "Präsentationszwecken") entnommener Nestlinge zu erklären. Späterhin ist dann nicht selten von den vormals stolzen "Dokumentarfilmern" zu lesen, dass eben diese Nestlinge in die
Handaufzucht übernommen wurden, weil es u.a. zu aggressivem Verhalten der Elternvögel gegen die Nestlinge kam. Neben diesem störungsbedingten aggressiven Verhalten sind folgende mögliche Fehl-Verhaltensweisen zu benennen:
a) Unterbrechung bzw. Abbruch des Brutgeschehens (Verlassen der Nisthöhle)
b) Zerstören des Geleges durch hektisches Bewegen in der Nisthöhle
c) Auffressen des Geleges
Aussagen über die Störanfälligkeit brütender Papageienpaare lassen sich fast mit Beliebigkeit zitieren und sind (u.W.) in keiner Weise umstritten. Hier exemplarisch eine kleine Auswahl:
"Während der Brutzeit sind Störungen innerhalb der Anlage unbedingt zu vermeiden. Bei den meisten Arten gestalten sich Höhlenkontrollen sehr schwierig; sie dürfen keinesfalls erzwungen werden." (Robiller, F. (1993): Kakadus, Urania-Verlag, Leipzig-Jena-Berlin, S. 35)
"Besonders Graupapageien und einige afrikanische Langflügelpapageien haben sich als sehr störanfällig und nervös bei der Brut gezeigt. (...) Allgemein aber sollte der Pfleger (...) alle unnötigen Störungen (...) unterbinden." (Luft, St. (1994): Der Graupapagei: Lebensweise, artgerechte Haltung und Zucht, Naturbuch-Verlag, Augsburg, S. 75)
"Vögel, die ihr Gelege zu oft verlassen oder schließlich die Brut ganz abbrechen, leiden vielleicht unter häufigen Störungen von außen." (Lantermann, W. (199
: Verhaltensstörungen bei Papageien: Entstehung - Diagnose - Therapie, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, S. 85)
"Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass eine weitgehend störungsarme Haltung entscheidend zum Gelingen eines Bruterfolges beitragen kann." (Lantermann, S. & Lantermann, W. (1986): Die Papageien Mittel- und Südamerikas: Arten, Haltung und Zucht, Verlag M & H. Schaper, Hannover, S. 37)
Hoppe berichtet von einem Venezuelaamazonen-Küken, das nach vorheriger Versorgung durch die Elterntiere nach der Vornahme einer Nistkastenkontrolle nicht mehr gefüttert wurde und per Hand (weiter)aufgezogen werden musste. "(...) brachte sie die Brutblockinspektion so aus dem Gleichgewicht, dass sie von da ab dem Jungtier keine Beachtung mehr schenkten. Ein deutliches Beispiel, wie empfindsam auf Veränderung während der Brut reagiert wird." (Hoppe, D. (1981): Amazonen, Ulmer Verlag, Stuttgart, S. 129)
U.a. Hoppe weist auch auf die höhe Störanfälligkeit von Fächerpapageien während der Brut- und Aufzuchtphasen hin. "In beinahe allen zitierten Zuchtberichten kommt zum Ausdruck, dass die Vögel kurz vor und während der Brutzeit ungewöhnlich scheu und ängstlich auf äußere Einflüsse reagieren, so dass es gelegentlich (...) zur Zerstörung oder zum Auffressen des Geleges oder (...) zum Verlassen des Nestes kam." (Hoppe, D. (1981): Amazonen, Ulmer-Verlag, Stuttgart, S. 147)
"Man sollte die Tiere jetzt (Anmerkg. d. Verf.: Nach der Eiablage) nicht mehr unnötig stören." (Bosch, K. & Wedde, U. (1981): Amazonen, Horst Müller Verlag, Walsrode, S. 83)
Matthias Reinschmidt weist in einem Bericht zur Zucht der Soldatenamazone ebenfalls auf brut- und nestlingsgefährdende Störungen (u.a. durch Fotografieren der Nestlinge) hin. "Um den Brutverlauf nicht zu stören und den eventuellen Erfolg nicht zu gefährden, wurden Nistkastenkontrollen auf das Notwendigste beschränkt (...). Um die Tiere nicht unnötig zu stören, wurde zu diesem frühen Zeitpunkt auf die Entnahme der Jungvögel aus der Nisthöhle verzichtet, um Aufnahmen zu machen." (Reinschmidt, M. (2002): Welterstzucht der Soldatenamazone, in: Papageien 5/2002, Arndt Verlag, Bretten, S. 160)
Störungen des brütenden Weibchens waren lt. Miguel Bueno auch die Ursache für fehlgeschlagene Brutversuche bei Arasittichen (vgl. Bueno, M. (2002): Die Zucht des Arasittichs im Loro Parque, in: Papageien 6/2002, Arndt Verlag, Bretten, S. 195).
Robiller verweist auf die Störanfälligkeit mehrerer Arten. In Bezug auf das Brut- und Aufzuchtverhalten bei Goldsittichen (Guaruba guarouba) schreibt er: "Sehr aggressiv, auch dem Pfleger gegenüber. Höhlenkontrollen sind risikovoll. Das Weibchen verlässt das Gelege oder den Nachwuchs." / "Nach den Erfahrungen im Vogelspark Walsrode reagieren Rotschwanzsittiche sehr empfindlich auf Höhlenkontrollen während des Brütens und der Aufzucht. (...) sind nicht selten der Gelegeverlust beziehungsweise der zerbissene Nachwuchs die Folge." / "Auch beim Weißohrsittich ist die Tötung des Nachwuchses bei (nach) Höhlenkontrollen keine Seltenheit. (Robiller, F. (1990): Papageien Mittel- und Südamerikas, Dt. Landwirtschaftsverlag, Berlin, Ulmer, Stuttgart, S. 93, 173, 174, 182, 191)
Vor diesem Hintergrund muss es erstaunen, dass selbst "papageienerfahrene" Fachautoren, die zudem mehrfach auf die Gefahren stressbedingter Störungen für den Brut- und Aufzuchtverlauf hingewiesen haben, ihr eigenes Handeln zuweilen nicht an dem ihnen zweifelsfrei verfügbaren Wissen ausrichten. Als ein Beispiel sei exemplarisch Rosemary Low im Zusammenhang mit Problemen bei der natürlichen Aufzucht von Hyazintharas im Palmitos-Park (Gran Canaria) zitiert: "Ich hoffte, zwei Junge von den Eltern aufziehen und entwöhnen zu lassen.(...). Handaufgezogene Hyazintharas werden im allgemeinen sehr auf Menschen geprägt. Ich war der Ansicht, dass bei dieser Art von den Eltern aufgezogene Junge für Brutzwecke geeigneter seien. (...). Zunächst hatten die Eltern die Handhabung ihrer Jungen zum Wiegen geduldet. Im Lauf der Zeit wurden die Eltern äußerst ungeduldig.(...). Nach drei Wochen musste eine zweite Person beim Wiegen helfen, um zu verhindern, dass die Eltern in das Nest eindrangen. Sobald die Tür zum Nistkasten geschlossen wurde, kamen sie eilig herein und schlugen aggressiv gegen die Tür. Dies sollte ein Signal gewesen sein, dass die Jungen zur
Handaufzucht weggenommen werden mussten; ebenso die Tatsache, dass die Eltern, als das große Junge 30 Tage alt war, begannen, an den (...) Federn zu picken - oft ein Zeichen von Stress." Des weiteren berichtet sie von Biss-Attacken der Elternvögel gegen ein Küken und beschreibt die "Konsequenz" aus diesem Verhalten so: "Die beiden Jungen wurden sofort zur
Handaufzucht weggenommen." (vgl. Low, R. (1991): Im Palmitos-Park ziehen Hyazintharas Junge auf (Übersetzung: Elizabeth Wenzke), in: Gefiederte Welt, 3/1991, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart). Natürlich wird man bei solch wertvollen Tieren, deren Nachzucht sehr begrüßenswert ist, einen Verlust der Küken vermeiden wollen. Es bleibt jedoch die u.E. berechtigte Frage, warum die Konsequenz der erkannten Störanfälligkeit der Elternvögel nicht einfach darin bestehen konnte, Stresssituationen zu vermeiden.
So sinnvoll es sein mag, dass bei den meisten Arten die Aufzucht der Küken gemeinschaftlich (arbeitsteilig von beiden Elterntieren) wahrgenommen wird, so ist darin trotzdem (insbesondere bei der Zucht in Menschenobhut) auch ein Nachteil zu sehen. Es genügt schon, nur einen der beiden Elternvögel so nachhaltig zu stören, dass dieser die Brutgeschäfte abbricht, um den gesamten Ablauf zum Erliegen zu bringen. So simpel das klingt: es ist schwieriger, auf das "Nichtstören" zweier Vögel zu achten, als auf das "Nichtstören" nur eines Vogels.
Die oft (und gerne) benutzte Floskel "Ich musste die Küken per Hand aufziehen, weil sie von den Eltern gerupft, nicht mehr gefüttert oder verletzt wurden" drängt die Frage nach dem "Warum" - sofern sie überhaupt gestellt wird - in den Hintergrund. Da in diesem Kapitel ausschließlich die Ursache "menschliches Fehlverhalten" thematisiert werden soll, bleiben mögliche - nicht in menschlichem Fehlverhalten begründete - Brut- und Aufzuchtzwischenfälle einem eigenen Kapitel (vgl. ) vorbehalten.
Insbesondere im Bereich der sog. "Hobbyhaltung" sind Käfige und Zimmervolieren oft integrale Bestandteile des direkten Wohnumfeldes mit allen daraus resultierenden Störfaktoren, welche beispielsweise in der häufigen (zuweilen sogar permanenten) Präsenz im Haushalt lebender Personen und den notwendiger Weise vorzunehmenden Verrichtungen des Alltags zu sehen sind. Zuweilen genießen die Vögel auch "Freiflug" in der Wohnstube und "dürfen" unter Außerachtlassung der Papageienvögeln eigenen Tagesperiodik auf der Schulter der Bezugsperson/en bis in die Nachtstunden "fernsehen". Trotzdem kommt es gelegentlich - wie u.a. diesbezüglichen Beiträgen in diversen Internet-Vogelforen zu entnehmen - sogar unter solch unadäquaten Haltungsbedingungen zur Kopulation und Eiablage. Die Gelege sind dann oft unter Schränken (wie in dem uns bekannten Fall eines Graupapageien-Paares), in nisthöhlenähnlichen Schrankfächern, auf dem
Volierenboden etc. zu finden. Ohne zunächst darauf einzugehen, ob solche Gelegenheits- und Zufallsbruten im Sinne des Tier- und Artenschutzes überhaupt wünschenswert sind, bleibt festzustellen, dass solcherart mit einem anstehenden Brut- und Aufzuchtproblem konfrontierte Halter zumeist mit der Situation überfordert sind und sich eher selten bemühen, der Störanfälligkeit durch geeignete Maßnahmen (die sich zudem aufgrund der Gegebenheiten oft nicht realisieren lassen) Rechnung zu tragen. Leider ist es im Gegenteil so, dass es aus falsch verstandener Fürsorge und dem Fehlen brauchbarer Informationsmaterialien gehäuft zu verstärkten Kontrollen sowie manipulierenden Eingriffen und damit einhergehend das Brut- und Aufzuchtgeschehen unnötig störenden Verhaltensweisen kommt. Gleichzeitig möchten viele Halter es aber (entgegen jeder Vernunft) nicht versäumen, Freunden, Bekannten und/oder Mitgliedern der seit einigen Jahren existierenden diversen Internet-Vogelforen auf Fotografien, die im Zeitalter digitaler Bildtechnik ein beliebtes Medium darstellen, den "Nachwuchs" zu präsentieren. Die möglichen Folgen solch unverantwortlicher Handlungsweisen haben wir vorstehend beschrieben.
Es sei jedoch ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur diese (im Grunde wohlmeinenden) Hobbyhalter, sondern auch nicht wenige mit Absicht die Zucht von Psittaciden betreibende Halter zu diesen Handlungsweisen neigen.
Angesichts dessen, dass einige Arten unbestreitbar zuweilen auch unter prinzipiell ungeeigneten Ausgangsbedingungen zur Kopulation und Brut schreiten, könnten die betreffenden Halter zu der Annahme neigen, dass die von ihnen praktizierte Art der Haltung so falsch nicht sein könne. Sicherlich: Eine planmäßige Vermehrung (Zucht) wird nur innerhalb eines hinlänglich tauglichen (bei manchen Arten nur innerhalb eines optimalen) Haltungssystems möglich sein. Aber in aller Regel wird der Hobbyhalter keine Differenzierung zwischen Fortpflanzung und (planmäßiger) Zucht, welche "die jederzeitige Wiederholbarkeit des Vorganges" voraussetzt (vgl. Gewalt, W. (1972): Über einige seltene Nachzuchten im Zoo Duisburg, D. Zool. Garten 48, S. 141 f.) und einem unbeabsichtigten (zufälligen) Paarungs- und Brutgeschehen vornehmen. Selbst "in der Fachliteratur (werden) nur selten Begriffstrennungen vorgenommen." (so Lantermann, W. (1993): Handbuch Papageien: artgemäße Haltung, Pflege und Aufzucht, S. 101, Naturbuch Verlag, Augsburg).
Auffällig ist jedoch, dass das immer wieder anzutreffende Phänomen von Nachzuchten unter unzulänglichen Haltungsbedingungen von Fachautoren zwar wahrgenommen und erwähnt, aber ohne den Ansatz eines plausiblen Erklärungsmusters belassen wird. Dabei liegt eine Erklärung für das unbedingte "Wollen" eines Reproduktionserfolges seitens der betreffenden Vögel auf der Hand: Der über alle Widrigkeiten und Defizite hinweg dominierende (biologisch funktionale) Trieb, die eigenen Gene "weiterzureichen". Natürlich wird die "Bereitschaft" zu paarungs- und brutrelevanten Verhaltensweisen mit der Zunahme von (und Annäherung an) ein solches Geschehen befördernde Faktoren (geeignete Lichtverhältnisse, Temperatur, Luftfeuchte, Futter, räumliche Strukturen) steigen; gleichwohl zeigt die Praxis, dass immer wieder einige Arten unter "Wohnungsbedingungen" kopulieren und ein Gelege abgesetzt wird.
Hierzu K. Diefenbach: "Harmoniert ein Paar wirklich gut, so spielen alle anderen Umstände nur noch eine untergeordnete Rolle. Ausreichende Platzverhältnisse, optimale Nistgelegenheiten und gute Pflege erhöhen zwar die Aussichten auf eine erfolgreiche Zucht, sind die Tiere aber wirklich in Brutstimmung, so nehmen sie oftmals auch widrige Bedingungen in Kauf" (Diefenbach, K. (1982): Kakadus, 2. Auflage 1985, Horst-Müller-Verlag, Walsrode, S. 71).
Schöne Grüße
Volker