Hallo Michi,
dass dich Amazonen faszinieren, kann ich gut verstehen. Schließlich leben wir hier alle mit diesen wundervollen Vögeln zusammen, und das kommt ja nicht von ungefähr.
Du schreibst, du hättest gern Tipps. Ich schließe daraus, dass du an meiner Meinung interessiert bist, auch wenn sie dir im Inhalt vielleicht nicht ganz gefallen wird. Es geht mir nicht darum, dir deine Amazone auszureden, sondern darum, dich zu bitten, das Für und Wider abzuwägen, bevor du dich entscheidest.
Mir ist nämlich nicht ganz klar, ob dir wirklich bewusst ist, wie anspruchsvoll Amazonen sind. Ich bin damals bei meiner ersten Amazone vor 17 Jahren ziemlich blauäugig an die Sache herangegangen und musste prompt Lehrgeld bezahlen. Ich weiß also, wovon ich spreche. Mir war damals absolut nicht bekannt, wie stark eine Amazone meinen Lebensrhythmus bestimmt. So nebenher laufen lassen kann man diese Vögel nicht. Sie lassen sich nicht ruhig stellen und beiseite schieben. Sie geben viel Gutes zurück, das ist wahr, aber umsonst gibt's das nicht; sie fordern, und das nicht zu knapp.
Auch wenn am Anfang alles paletti laufen sollte, muss das noch lange nicht heißen, dass es so bleibt. Hier im Forum gibt es genug Beispiele von Leuten (mich eingeschlossen), die ganz schön auf dem Zahnfleisch gehen (zumindest zeitweise). Die Tiere sind so individuell wie ihre Probleme selbst. Trotzdem gibt es ein paar grundsätzliche Überlegungen, die ich hier noch mal ansprechen möchte, auch wenn ich dadurch wiederhole, was meine Vorredner schon gesagt haben.
Da wäre zunächst das Problem mit der Reinlichkeit. Amazonen machen Dreck! Sie schmeißen Körner und (klebende) Obstreste durch die Gegend, auf den Möbeln liegt ständig eine feine Staubschicht, Federn wirbeln in der Wohnung rum. Außerdem sind Amazonen nicht stubenrein. Und was sie hinterlassen, ist ordentlich. Wenn du mal mit Socken in einen dieser Flatschen reingetreten bist und ihn über die Teppiche der halben Wohnung gestempelt hast, dann weißt du, was ich meine. Das ist nicht zu vergleichen mit Wellensittichen.
Dann brauchen Amazonen Platz. Sie wollen turnen, klettern und fliegen. Dabei muss man sie ständig im Auge behalten, damit die Wohnung hinterher noch genauso aussieht wie vorher. Sonst fressen sie alles an: Tapeten, Möbel, Schuhe, Kabel. Wenn du denkst, dass Amazonen den halben Tag brav in einem Käfig sitzen und dir womöglich von dort aus noch artig zusehen, was du so treibst, dann könntest du falsch liegen. Diese Vögel wollen beschäftigt sein, und zwar nach ihrem eigenen Kopf, andernfalls schreien sie dir womöglich die Ohren ab.
Das ist das nächste große Handikap: Amazonen sind laut. Wenn die mal loslegen, da hilft keine Flucht in ein anderes Zimmer. Ich kann ein Lied davon singen, ich hab im Moment so ein Terror-Pärchen zu Hause sitzen. Das zehrt ganz schön an den Nerven. Ich weiß ja nicht, wie du wohnst, ob im Einfamilienhaus oder in einer Etagenwohnung. Im letzten Fall könnte es Ärger geben mit den Nachbarn, die vielleicht wenig Verständnis aufbringen werden für ewig kreischende Papageien. Umgekehrt: Wenn es dir selbst nichts ausmacht, am Sonntag Morgen um sieben aus dem Schlaf geschrien zu werden, und wenn du überdies verschmerzen kannst, dass deine Stereo-Anlage von oben vollgekackt und von hinten angenagt ist, dann erfüllst du fürwahr die ersten guten Voraussetzungen für ein nervenstarkes Leben zusammen mit deiner Amazone.
Vergessen sollte man auch nicht den Tierarzt. Die Kosten dort können sich zusammenläppern. Auch ist es nicht einfach, einen Tierarzt zu finden, der sich mit Vögeln auskennt. Nicht jeder, der eine Kleintierpraxis unterhält, weiß automatisch mit Amazonen umzugehen. Deshalb muss man unter Umständen ziemlich lange suchen und notfalls auch bereit sein, in eine andere Stadt zu fahren. Diese Kosten wollen ebenfalls berücksichtigt sein.
Und da ist natürlich noch zu klären, wer den Vogel versorgt, wenn man im Urlaub oder sonstwie nicht da ist. Ich weiß nicht, ob dir deine tierlieben Freunde eine echte Hilfe sein können. Amazonen wechseln nicht gern die gewohnte Umgebung, und mit Futternachfüllen ist es nicht getan. Der Ersatzpfleger sollte sich etwas mit diesen Vögeln auskennen, aber daran hapert es meiner Erfahrung nach. Liebe Leute, die (fälschlicherweise) denken, man könne eine Amazone wie einen Kanarienvogel versorgen, gibt es genug. Sie meinen es gut, werden aber den Amazonen nicht gerecht und fallen deshalb als Ersatzpfleger aus. Da bleibt dann nicht mehr viel an Alternativen.
Schließlich wäre noch zu überlegen, ob du deiner Amazone wirklich einen artgerechten Partner vorenthalten willst. Ich finde die Einwände meiner Vorredner gerechtfertigt. Amazonen sind Schwarmtiere; sie brauchen die Gesellschaft ihresgleichen. Bei zwei Amazonen im Haus verdoppeln sich allerdings die Probleme: doppelt so viel Dreck, doppelt so viel aufpassen, doppelt so viel Krach (freilich auch doppelt so viel Freude). Wer nicht die entsprechenden Räumlichkeiten hat oder keine Lust hat, dauernd den Dreck zweier grüner Monstren aufzusammeln, wäre sicher mit zwei "handlicheren" Vögeln besser bedient, einem Nymphensittich-Pärchen zum Beispiel. Ich will nicht grundsätzlich die Leute verdammen, die nur eine einzelne Amazone halten; dafür kann es gute Gründe geben (und ich selbst gehörte ja auch mal zu dieser Gruppe), aber egal, wie man selbst damit umgeht - als Vogelliebhaber kann man nicht abstreiten, dass die Paarhaltung dem Naturtrieb am nächsten kommt.
Dies hier sind nur die wichtigsten Punkte, die man - meiner Meinung nach - berücksichtigen sollte, bevor man sich eine Amazone ins Haus holt. Weil du, wie du sagst, ausdrücklich um Tipps bittest, hoffe ich, bist du mir nicht böse über meinen langen Vortrag (ich hab gerade Uralub und daher Zeit). Ich weiß auch nicht alles und bin erst recht kein Schiedsrichter über Vogelhalter. Jeder muss selbst wissen, was er verantworten kann, nur finde ich, hat auch ein Vogel ein Recht auf Fürsprache. Um so was zu diskutieren, ist ein Forum ja unter anderem da.
Ich glaube dir gern, dass du deiner Amazone ein schönes Zuhause geben willst, allerdings macht es mich stutzig, wenn du schreibst, dass du deine Amazone ja zurück zum Züchter geben könntest, solltest du nicht mit ihr klarkommen. Dort wäre sie dann unter vielen anderen Amazonen. Ja, was willst du denn? Gefällt dir die Vorstellung, dass deine Amazone im Schwarm leben kann? - Dann lass sie dort. Oder willst du sie bei dir zu Hause haben? - Dann richte dich bitte darauf ein, die nächsten 20-40 Jahre mit ihr zu leben. Ein Tier auf Pump anzuschaffen finde ich im höchsten Maße unfair. Es wird niemand ernstlich abstreiten, dass es Umstände gibt, die dazu zwingen, ein Tier abzugeben, aber von Anfang an darauf zu spekulieren ist was anderes. Deine Amazone jedenfalls kann sich nicht dieses Hintertürchen offen lassen: Dann gehe ich eben zum Züchter zurück, wenn mir mein Mensch nicht mehr passt. Die ist uns ausgeliefert.
Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Suche!
Viele Grüße
Rinus.