Flugshow!! zuerst Text
6. Flugshow und Training mit Greifvögeln
Für eine Woche erhielt ich Gelegenheit, hinter die Kulissen der Flugshow zu blicken und auch mit Greifvögeln zu trainieren. Dabei durfte ich auch bei der Show mitwirken und bekam einen Einblick in den Trainingsablauf der Tiere, von den ersten Schritten bis zum Starauftritt.
6.1 Flugshow und was dazugehört
Die Flugshow zeigt in erster Linie Greifvögel, wie Wüstenbussarde, Lannerfalke oder Sekretär. Es werden aber auch andere Tiere vorgestellt. Dass Pelikane auch fliegen können glauben manche erst, wenn sie es sehen. Eben-falls gezeigt wird die Intelligenz der Rotschnabelkitta, der Elster Asiens. Für einen Mehlwurm tanzt diese Kitta fünf Kindern, die in Reih und Glied aufgestellt werden, munter auf den Köpfen herum. Nach ihrem Auftritt folg-te dann immer der Andenkondor Luzie als Abschluss der Flugshow. Andenkondore sind Aasfresser, und so durfte Else, das ist der Name der Kitta, immer noch ein Weilchen draußen herumfliegen. Es gehörte mit zu mei-nen Aufgaben, Else nach Beendigung der Show wieder einzufangen. Das ist in Anbetracht der Schlauheit dieser Vogelart gar nicht so einfach.
Die ersten zwei Tage schaute ich den drei Falknern Thomas, German und Corinna von den Besucherbänken aus zu und lernte den groben Ablauf der Show kennen. Doch dann wurde ich voll integriert. Die Falkner zeigten zwei Flugshows am Tag. Meistens wurden jeweils zwischen fünf und sechs Tiere geflogen. Ich half mit die Vögel von ihren Gehegen zum Anbindeplatz hinter die Bühne zu bringen; und nach Beendigung der Show wie-der zurück. Jedes Tier hat hinter der Bühne seinen angestammten Platz, wo es angebunden wird. Die Planung der Choreographie der Auftritte ist sehr wichtig. Man muss immer erst ein Tier wieder angebunden haben, bevor man das nächste fliegen lassen darf. Es kann z. B. passieren, dass die Tiere in Revierstreitigkeiten ausbrechen; oder ein Vogel in das Beuteschema eines anderen passt.
Die Tiere haben um die Beine dünne Lederbändchen, die „Geschüh“ genannt werden. Der Falkner hat an der linken Hand einen Handschuh an, an dem eine Kette mit einem Riemen befestigt ist. Gut trainierte Vögel kom-men auf Zuruf auf den Handschuh. Jüngere Tiere muss man animieren, zu einem auf dem Handschuh zu kom-men, z. B. mit einem lecker Küken. Zeigt der Vogel daran kein Interesse, geht man zu ihm hin und hält den Handschuh vor die Beine. Dann stupst man leicht mit dem Handschuh gegen die Brustregion (je nachdem von vorne oder auch von hinten, beides ist möglich); und der Vogel wird automatisch auf den Handschuh aufsteigen. Sitzt der Vogel, so ist man bestrebt, die Hand waagrecht zu halten, wie etwa beim Reiten. Das Geschüh wird von hinten ergriffen (das gibt Sicherheit vor den scharfen Greiffüssen) und im Idealfall zwischen Daumen und Zeige-finger durchgeführt, so dass man die Bändchen mit dem Daumen festhalten kann. Mit der freien rechten Hand befestigt man die Lederbändchen an der Riemenkette des Handschuhs. Jetzt hat man den Vogel sicher befestigt. Wichtig ist das Geschüh so locker zu lassen, dass der Vogel entspannt sitzen kann. Aber man darf auch nicht zu locker lassen, denn dann steigt das Verletzungsrisiko im Falle des Springens des Vogels.
Wenn der Vogel springt, so bedeutet das, das er versucht wegzufliegen. Da er angebunden ist, ist sein Versuch ergebnislos, und der Vogel wird unter dem Handschuh hängen. Wenn der Vogel es nicht schafft, sich aus eigener Kraft wieder auf den Handschuh zu setzen, muss man ihn darin unterstützen. Hat man den Vogel nun zu locker gehalten, so hat er die Möglichkeit, mit seinen Füßen um sich zu schlagen – und im Normalfall wird der Vogel dies auch tun. Es ist nicht ratsam, in Kontakt mit den Fängen eines Greifvogels zu kommen.
Immer wieder wurde von Besuchern gefragt, ob die Tiere denn nicht das Bedürfnis hätten, einfach wegzufliegen. Ganz auszuschließen ist es sicherlich nie. German antwortete dann immer, dass das Tier jeden Tag vor der Wahl steht „flieg ich weg oder bleib ich hier.“ Ich selber habe den Erstflug eines Jungvogels miterlebt; und wie ge-spannt die Falkner waren, wie sich der Vogel entscheidet. Doch das Training war erfolgreich, und der Vogel kam wieder zurück. Es gab auch zwei Shows, in denen Tiere auf einmal aus dem Flugprogramm ausbrachen, und später wieder zurückkehrten. In einem Fall platzte das Tier in die Vorführung eines anderen Vogels und landete auf der ungeschützten rechten Hand des Falkners. In so einem Fall heißt es für den Falkner die Zähne zusammenbeissen, das Tier festheben und schnell hinter die Bühne bringen.
Je nach Wegflug-Wahrscheinlichkeit bekommen die Tiere Sachen an ihr Geschüh gehängt. Fast alle haben klei-ne Glöckchen. Wenn der Vogel in einem Baum sitzt, und man ihn nicht sieht, dann kann man ihn wenigstens hören. Stufe zwei ist dann Glöckchen plus Adresstäfelchen mit der Telefonnummer des Vogelparks. Verirrt sich das Tier und landet auf einer Grillparty, so kann man den Park anrufen, und die Falkner kommen und holen das Tier dann wieder von der Bratwurst runter . Die letzte Sicherheitsstufe besteht in einem Minipeilsender, mit dem das Tier dann geortet werden kann.
6.2 Training von Greifvögeln
Da die Flugshow im Vogelpark Walsrode erst seit Februar läuft, sind viele der eingesetzten Vögel noch relativ jung. Insgesamt hat die Falknerabteilung 23 Vögel, von denen aber noch nicht alle einsatzbereit sind. Mit diesen muss noch intensiv trainiert werden. Man arbeitet mit den Tieren zwar nicht sofort nach dem Schlüpfen, aber doch in einem sehr jungen Alter. Der Grund ist einfach. Es ist fast unmöglich, ein ausgewachsenes Tier dazu zu bekommen, für sein Futter das zu machen, was der Tierpfleger gerne von ihm hätte. Corinna drückte das immer treffend so aus: „... da denkt sich der Vogel doch, was soll’n das? Jahrelang ging’s so, und jetzt soll ich hier den Hampelmann machen?“
Die Jungvögel gewöhnen sich erst mal an den Menschen. Sie werden jeden Tag von Hand gefüttert. Das Ziel besteht darin, das sie herfliegen und sich das Futter selber vom Handschuh holen. Aber bis es soweit ist, braucht es viel Geduld. In meiner Praktikumszeit durfte ich mit Schneeeulen trainieren. Bei Eulen dauert das Training generell etwas länger. Das Weibchen Hedwig erzielte gute Fortschritte, aber ihr Bruder Ole kapierte es nicht, auf den Handschuh zu klettern. Er saß nur auf der Erde und fiepte, kam aber nicht näher, um sich das Küken zu holen. Hedwig aber lernte auf einen Block zu springen, auf dem meine Hand lag, in der das Küken war. War sie dann erst einmal oben, fütterte ich sie vor lauter Begeisterung gleich satt. So lernte sie aber, dass der Handschuh „gut“ und „essen“ bedeutet. Am Freitag dann blieb sie auf meinem Handschuh sitzen, auch nachdem sie satt war. Sie hatte begriffen, dass dieser Ort „gut“ ist.
Eine weitere Trainingseinheit besteht im Gewöhnen an das Herumtragen. Für das Tier ist es gar nicht so einfach, wie es sich vielleicht anhört. Es muss lernen, das Gewackel auszugleichen. Es muss lernen, ruhig und gelassen sitzenzubleiben. Und es muss lernen, nicht vom Handschuh springen zu wollen. In diesem Fall wird es unter dem Handschuh hängen. Gemeinsam mit Corinna trug ich jeden Tag die Schnee-Eulen ab. Nicht nur für die beiden Eulen, sondern auch für mich war das nicht einfach, denn so eine Schnee-Eule ist nicht leicht. Ole wog 1,3 Kilo und Hedwig 1,6 Kilo. Und das trägt man auf einer Hand! Wenn der Vogel springt und nach unten wegzieht mit aller Kraft, muss man diese erhöhte Kraft auffangen und darf nicht nachgeben.
Hedwig und Ole waren zwar schon relativ relaxed auf dem Handschuh, aber die Sache mit dem Sitzenbleiben hatten sie noch nicht so ganz kapiert. Sie schafften es auch meistens nicht, von selber wieder auf den Handschuh zu kommen. Dann muss man warten bis sie aufgehört haben, mit den Flügeln zu schlagen. Ist das Tier dann ruhig, greift man mit der rechten Hand an die Brustregion, unterstützt mit zwei Fingern den Kehlbereich (nicht Hals!) und setzt den Vogel wieder nach oben. Wie schon erwähnt muss man dabei aufpassen, dass man nicht mit der Hand in die Nähe der Fänge gerät.
Wenn die Vögel auch diesen Lernprozess gemeistert haben, so werden sie mit allem vertraut gemacht, was der Park zu bieten hat: Elektrofahrzeuge, andere Vögel, Besucher, Fotoapparate... Man nennt das „abtragen“ und es fördert die Nervenstärke des Vogels. Eine Nervenstärke, die er bei der Show braucht; denn ein in Panik gerate-nes Tier ist erstens unberechenbar und zweitens untragbar.
Ich trug jeden Tag Pitty und Paule ab. Pitty ist ein Turmfalke, und Paule ein Malaienkauz. Dabei musste ich mich bemühen, den beiden Kleinen zwar genügend Anregungen zu geben. Aber den Stress auch nicht zu groß werden zu lassen. Man muss den Vogel gut beobachten, um dann auch rechtzeitig wieder in den Schutz des vertrauten Geheges zurückbringen zu können, bevor die Aufregung zu groß wird. Aber im Allgemeinen kamen sie mit den Eindrücken gut klar, Jungtiere sind ja immer neugierig.