Moin moin!
Hoffe, ich bringe die Diskussion jetzt nicht zum Erliegen, wenn ich mal wieder die Literatur heranziehe und hier besonders wieder Lantermann, Verhaltensstörungen bei Papageien.
In den vorangegangenen Beiträgen ist schon deutlich geworden, dass das, was als Verhaltensstörung angesehen wird, sehr von dem persönlichen Standpunkt des Definierenden abhängig ist:
so haben jene, die Papageien als Haustier halten, andere Vorstellungen von dem, was eine Verhaltenstörung ist als z.B. jene, die eine Auswilderung von Papageien beabsichtigen oder die Halter von Nutztierhalter.
Artgerechte Haltung hin oder her: Verhalten ist nicht nur angeboren, sondern auch erlernt und darüberhinaus entwickelt es sich auch aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt eines Papageien. Auch im Freileben ist eine solche Anpassung des Verhaltens an veränderte Lebensbedingungen (die es auch ohne Eingriff des Menschen immer gab und gibt) notwendig zur Erhaltung der Art. Ist es einer Art irgendwann nicht mehr möglich, sich den veränderten Lebensbedingungen anzupassen, stirbt sie aus.
Dabei ist der Grad der Anpassungsfähigkeit von Art zu Art und Gattung zu Gattung (und manchmal auch von Individuum zu Individuum)l unterschiedlich: besonders leicht fällt sie jenen Arten, die sich nicht besonders spezialisiert haben (mit dem Nachteil, das sie oftmals einem ergheblich höheren Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, da sie keine "ökologische Nische" besetzen).
Viele Papageienarten gehören, vielleicht auch aufgrund ihres
hohen (geistigen) Entwicklungsstandes, zu den anpassungsfähigeren Tieren.
Gerade diese Anpassungsfähigkeit macht aber die Haltung in Menschenhand besonders leicht oder ermöglicht sie sogar erst:
so haben Graupapageien (u.a auch als Nahrungsgeneralisten) eine besonders hohe Anpassungsfähigkeit im Gegensatz bspw. zum Grünköpfchen, dessen Haltung in Menschenhand bislang nicht gelang.
Allerderings ist es gerade auch diese Anpassungsfähigkeit, die dem Menschen dazu verleitet, Papageien unter mangelhaften Bedingungen zu halten, an die er sich augenscheinlich
"gewöhnen" kann.
Man kann also meiner Ansicht nach als sicher ansehen, das Papageien in Menschenhand ein anderes Verhalten zeigen als Papageien im Freileben.
Insofern dürfte klar sein, das sich das Verhalten eines in Meschenobhut lebenden Papageien niemals 1 zu 1 mit dem seines freilebenden Artgenossen vergleichen läßt, das aber dennoch das Freilandverhalten der Maßstab für die Beuteilung des Verhaltens eines Papageien sein muß.
Dabei ist eine bloße Veränderung des Verhaltens ist meiner Ansicht nach noch keine Verhaltensstörung.
Einfaches Beispiel: da ein Graupapagei in Menschenobhut nicht mehrere Stunden des Tages mit der Futtersuche verbringen muß, sind meist verlängerte und ausgeprägtere Spielphasen zu beobachten. Ebenfalls nehmen scheinbar im Vergleich zu den freilebenden Artgenossen die Ruhephasen zu und es kann ein gesteigertes Komfortverhalten beobachtet werden.
Auch bleibt mehr Zeit für die Paarbeziehung und für das Sozialverhalten zwischen den Vögeln.
Lantermann hat die Verhaltensmodifikation in Anlehnung an Hediger als möglicherweise grundsätzlich sinnwidrige (in Bezug auf das Freileben), unter Gefangenschaftsbedingungen aber unter Umständen höchst sinnvolle bzw. zwangslüäufig entstehendem nicht-pathologische Verhaltensanpassungen an bestehende Umgebungsverhältnisse.
So kann denn auch die Definiton von Verhaltensstörung als ein in seinem Bewegungsablauf oder in seiner Dauer erheblich von der Norm abweichendes Verhalten nicht ausreichen: hier kann es sich auch nur um eine Verhaltensmodifikation handeln.
In Bezug auf Erhaltungszucht und Auswilderung liegt eine Verhaltensstörung dann vor wenn das betreffende Tier leidet und/oder durch das vorliegende Verhalten grundsätzlich eine Wildbahnfähigkeit ausgeschlossen werden muß.
Diese Definition schließt damit aber ebenfalls die Verhaltensmodifiaktion ein, die selbst in einem artgerechten Haltungssystem auftreten werden und die auch tatsächlich die
Auswilderung vieler Arten so schwierig machen.
Zugleich impliziert natürlich diese Definition, das eine Haltung in der Wohnung nicht vertretbar ist.
Wie in der letzten Definition wurde auch in den vorangegangenen Beiträgen das Leiden als Kriterium für eine Verhaltensstörung genannt.
Auch für ist das auch ein sehr sehr wesentlicher Punkt, allerdings stellt sich die Frage, wie "Leiden" bei Papageien zu definieren ist.
(s. Lantermann, Verhaltensstörungen bei Papageien, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart 1998, 40ff.)
Kaleta führt folgende Definition an:
"Verhaltensstörungen sind erworbene, vom arttypischen Verhalten deutlich abweichende, sich wiederholende oder andauernde zwanghafte Halndlungsweisen von köperlich gesunden Vögeln. Sie haben ihren Ursprung im arttypischen Verhaltensmustern, die entweder extrem übersteigert oder nahezu vollständig unterdrückt werden. Sie können die Unversehrheit des betroffenen Vogels beeinträchtigen oder das Fortbestehen einer Vogelspezies gefährden" (Kaleta et al., Kompedium der Ziervogelkrankheiten, Schlütersche Hannover 1999, S.43)
Das Problem auch bei dieser Definition ist allerdings, das oftmals selbst bei häufig gehaltenen Vögeln wie den Graupapageien
wenig über das arttypische (Freiland-)Verhalten bekannt ist, insodern also auch der erwähnte Vergleichsmaßstab fehlt.
Bspw. war bis vor wenigen Jahren nicht bekannt, ob die Nachahmung auch ein Verhalten von Graupapageien im Freileben ist und das Nachahmungsverhalten wurde deshalb nicht selten
als Verhaltensstörung angesehen.
Andererseits sagt aber diese Definition, das der Ursprung stets
in den natürlichen Verhaltensmustern liegt, also bei einer Verhaltensstörung kein völlig neues Verhaltensmuster auftritt:
so wird das Federrupfen und selbst der Autokannibalimus als übersteigertes Köprer- und Gefiederpflegeverhalten betrachtet.
Für Lantermann liegt eine Verhaltensstörung bei Papageien dann vor, wenn in ihren täglichen Aktionsabläufen Verhaltensweisen vorkommen, die zum einen keine (individuen- oder arterhaltende) Funktion innerhalb eines Haltungssystems haben oder eine entsprechende Ableitung aus dem Freilandverhalten erkennen lassen und die zum anderen körperliche Schäden am eigenen Körper oder bei Artgenossen hevorrufen, zumindest begünstigen. (Lantermann a.a.O., S.43).
Individiuen- oder arterhaltende Funktion: wenn man extrem ist kann selbst das Federrupfen dann als eine sinnvolle Verhaltensweise innerhalb eines Haltungsystems gewertet werden, wenn der Vogel bspw. dadurch ein erhöhtes Maß an Zuwendung (Sozialkontakt) durch den menschlichen Pfleger erhält.
Der Definition zufolge wäre das Rupfen dann nicht unbedingt eine Verhaltensstörung, sondern ein erlerntes (konditioniertes?) sinnvolles Verhalten zur Individuenerhaltung? (Ähnliches gilt für das Dauerschreien)
Sicherlich nicht, denn hier liegt ja auch ein körperlicher Schaden als zweites Kriterium für eine Verhaltenstsörtung vor, der allerdings unter den Bedingungen in Haltung in Menschenobhut nicht undingt die Überlebensfähigkeit beeinträchtigt.