hier einige plausible erläuterungen, eines ornithologen, um die rabenvögel ins richtige licht rücken.
Nesträuber? Nein danke!
Sind Nebelkrähe und Elster eine Bedrohung für Singvögel in Berlin?
Von Klemens Steiof, Ornithologe und Mitarbeiter
im Sachgebiet Artenschutz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Im Frühling und Frühsommer wird so mancher Tierfreund Beobachter eines kleinen "Dramas" in der Natur: Eine Elster räumt unter wütendem Gezeter des Amselpärchens alle Eier aus dem Nest. Oder schlimmer noch: Eine Nebelkrähe zerrt die bereits halbwüchsigen Jungen, deren Wachsen und Gedeihen man über viele Tage gespannt auf dem Balkon verfolgt hat, aus dem Grünfinkennest. Da ballt sich einem natürlich die Faust in der Tasche, wenn so ein "brutaler" Räuber über die Vögelchen herfällt. Und überhaupt: Sind Krähen und Elstern nicht in den letzten Jahren viel häufiger geworden, und unsere Singvögel deutlich seltener?
Elster - Pica pica
Dohle - Corvus monedula
http://www.rrz.uni-hamburg.de/biologie/b_online/birds/2180_08.htm
aus: NAUMANN, NATURGESCHICHTE DER VÖGEL MITTELEUROPAS:
Band IV, Tafel 10 - Gera, 1901
Doch Vorsicht vor übereilten Schuldzuweisungen: Machen wir uns erst einmal bei Fachleuten kundig. Die "Berliner Ornithologische Arbeitsgemeinschaft" (BOA) hat für alle Brutvogelarten Berlins den aktuellen Bestand erhoben und auch die Entwicklung in den letzten 25 Jahren ermittelt.
Von den sechs Rabenvogelarten haben zwei in den letzten Jahren abgenommen: Die in Gebäuden brütende Dohle kommt nur noch mit 220-300 Paaren, die in Kolonien nistende Saatkrähe sogar nur noch mit 160-180 Paare in der Stadt vor. Alle anderen vier Arten nehmen zu: Der Kolkrabe, der mit ca. 20 Paaren die Wälder Berlins besiedelt und auch der Eichelhäher, der mit 1.000-1.400 Paaren zwar vorwiegend ein Waldvogel ist, aber auch in größeren Parkanlagen, Friedhöfen und sogar Gärten lebt. Elster (mit 3.900-4.700) und Nebelkrähe (mit 4.100-4.900 Paaren) sind sogar richtig häufig geworden und kommen in Berlin flächendeckend vor. Na also, da haben wir´s! Höchste Zeit, dass etwas gegen diese "Nesträuber" getan wird...
Doch wie steht es eigentlich um die Situation der möglichen "Beutevögel" in Berlin?
Spitzenreiter ist die Amsel mit 34.000-74.000 Paaren bei gleichbleibendem Bestand. Der Grünfink besiedelt Berlin mit 32.000-61.000 Paaren und nimmt noch zu. Das verwundert. Auch die Ringeltaube, bei der die meisten Brutverluste auf Krähen zurückzuführen sind, hat zugenommen und besiedelt unsere Stadt jetzt mit 11.000-20.000 Paaren. Die Türkentauben gehen zurück, nur noch ca. 400 Paare brüten in Berlin.
Allerdings wurde hier die Ursache weitgehend ermittelt: Offenbar spielen Änderungen im Nahrungsangebot die Hauptrolle. Und die Mönchsgrasmücke, ebenfalls ein verbreiteter Freibrüter in Grünanlagen und Wäldern, hat auf 3.700-4.500 Paare zugenommen, und das vor allem durch das Hochwachsen vieler Bäume in Grünanlagen in den letzten dreißig Jahren.
Blau- und Kohlmeisen, häufige Stadtbewohner mit 37.000-55.000 bzw. 28.000-41.000 Paaren, haben gleichbleibende Bestände, kommen allerdings wegen ihrer Höhlenbruten ohnehin kaum als Nahrung von Elster und Krähe in Frage.
Warum also haben die Bestände - vor allem von Amsel und Grünfink - trotz der vielen Elstern und Nebelkrähen - nicht abgenommen?
Schauen wir uns erst einmal die "Täterseite" an: Elster und Nebelkrähe sind sehr flexible "Anpasser", die in der Stadt einen reich gedeckten Tisch finde. Küchenabfälle spielen eine große Rolle, daneben Regenwürmer, verschiedenste Insekten aber auch tierische Verkehrsopfer und "Angebote der Saison" wie Beeren und Obst. Die Vögel können sich also sehr gut auf das jeweilige Nahrungsangebot einstellen, sie sind intelligent und beobachten ihre Umgebung genau. Wenn eine Amsel mit Warnrufen auffliegt (durch Spaziergänger aufgescheucht) wird das sofort registriert, und bald ist ihr Neststandort bekannt. Elster und Krähe profitieren also von Störungen durch den Menschen - das unbewachte Nest wird geplündert.
Und wie sieht es aus Sicht der "Opfer" aus?
Auch sie sind "Anpasser", die in der Stadt einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Mit 2-3 Bruten im Jahr können sie relativ viele Junge produzieren - eine Anpassung daran, dass mit Verlusten zu rechnen ist. Ihre hohe Bestandsdichte bedingt ausserdem, dass einzelne Amseln oder Grünfinken an relativ ungeschützten Stellen - z.B. in Balkonkästen - brüten. Eine Störung oder Vernichtung der Brut führt aber meist auch dazu, dass sich die Tiere einen besseren, verborgeneren Nistplatz suchen, sofern das in der Stadt noch möglich ist. Übrigens verursachen freilaufende Katzen unter den Singvögeln mehr Verluste als Krähen und Elstern, denn sie sind in der Lage, auch erwachsene Kleinvögel zu erbeuten. Den Verlust einer Brut können die Singvögel leicht durch ein Nach- oder Zweitgelege ausgleichen. Beim Verlust des Altvogels kann nicht nur die Brut verlorengehen, sondern auch das Revier verwaisen.
Und noch etwas: Abwechslungsreiche Grünflächen mit verwilderten Bereichen, in denen nicht gleich jedes "Unkraut" beseitigt wird, wo das alte Laub liegenbleibt und heimische Gehölze dominieren, sind die beste Garantie, Singvögeln dauerhaft eine Heimat zu bieten. Wenn allerdings in den Gärten die Obstbäume den Zierkoniferen weichen, die Wiese zum Golfrasen wird und der alte Holunder einem exotischen Strauch Platz machen muss, dann ist auch für unsere Singvögel kein Platz mehr.
Wir sehen also: Krähen und Elstern nehmen zu, aber ihre (vereinzelten) Opfer Amsel, Grünfink und Co. zum Teil ebenfalls. Es besteht also kein Handlungsbedarf wie der häufig unüberlegt propagierte Abschuss der vermeintlichen "Nesträuber". Es ist lediglich unser Problem: Wir haben Mitleid mit den Schwächeren und empfinden das Töten der süßen kleinen Piepmätze als brutal. Doch "Fressen" und "Gefressen werden" ist Bestandteil aller Natur: Dass Löwen Zebras reißen, Habichte Stadttauben jagen oder Amseln Regenwürmer aus dem Boden zerren, ist etwas völlig Normales. Wir müssen einfach versuchen, es nicht zu bewerten, denn in der Natur gibt es kein "gut" und "böse"...
Und Schließlich: Wir nehmen uns ja auch das Recht auf unser tägliches Frühstücksei. Gönnen wir es doch auch der hungrigen Elster!
http://www.tierschutz-berlin.de/main/natur/010409.htm