Hallo Kollegen!
Gleich vorneweg: Max darf nicht mit zum Inlinern in die Sporthalle.
Ihr habt gut reden, ihr amüsiert euch über meinen zu flutenden Korridor (Prada-Handtasche!) und über Max‘ freche Klappe (tolle Sprüche!), aber wenn’s heißt „junge Gelbnackenamazone in Autoknackerbande erwischt“, dann macht ihr einen auf Mitleid, doch vorher mich unterstützen, damit es gar nicht erst so weit kommt, da kneift ihr allesamt. So was muss nämlich gleich unterbunden werden, notfalls durch hartes Eingreifen. Das ist keine Lappalie.
Natürlich hat Max der gutmütigen Anita was vorgeheult - was sonst? -, das ist doch vollkommen klar. Bei mir zieht diese Masche aber nicht. Und was von geheimer Handy-Nummer hat er erzählt? Ist ja köstlich – ich besitze doch gar kein Handy!
Ihr seht das alles viel zu optimistisch, aber ich bin schließlich diejenige, die den Bengel jeden Tag so aufgedreht erleben muss. Als ich ihn zur Rede stellte wegen der heimlichen Stadionaktion, wisst ihr, was er da gesagt hat? Seiner Mutter frech ins Gesicht? – „Bei Anita ist es viel schöner als bei dir. Ich hab jeden Tag eine Bockwurst gekriegt und durfte immer bis zehn im „Playboy“ lesen..“ Wisst ihr jetzt, was ich meine?
Ich frage mich, ob unter solchen Umständen die sowieso schon misstrauische Gaby ihre unschuldigen Goldknaben noch zu mir lassen will (damit auf Rory und Lee nichts abfärbt). So lange habe ich geredet und gebettelt, bis sie mir endlich vertraute und bereit war, die beiden Jungs nach Pfingsten zu mir zu lassen, und nun werden meine Erziehungsprobleme mit Max in aller Öffentlichkeit schamlos breit getreten, ohne Rücksicht, wie ich jetzt dastehe! Als hartherzige Rabenmutter! Dabei ist Max ein ganz lieber Kerl, ein wenig rustikal vielleicht im Auftreten, aber mit vielen guten Eigenschaften, die es nur zu fördern gilt. Momentan ist er in einer etwas schwierigen Lage, genau wie Mia mit ihrem Pubertätsspleen, und deshalb muss ich ein wenig härter durchgreifen als sonst. Max braucht diese bremsende Hand, andernfalls hat er morgen unsere Kanaris bei Ebay versteigert und die Wohnung an Touristen vermietet, während ich in Venezuela am Strand liege und mir einbilde, das Leben würde es nur gut mit mir meinen.
Also: Der Hausarrest bleibt bestehen. Mia allerdings darf mitgehen, wenn sie möchte. Ich bin freilich nicht sehr optimistisch, weil sie mal gesagt hat, „kloppende, schreiende Kerle“ seien ihr zu roh. Andererseits: Wenn Neo und Rory mitkommen ... da könnte das Herzlein plötzlich sehr laut schlagen. Ihr solltet übrigens froh sein, dass Max zu Hause bleibt. Hattet ihr’s nicht gelesen? Mit seinen 520 Gramm Körpergewicht walzt er alles platt, was sich ihm in den Weg stellt. Da hätten eure zarten Amas keine Chance beim Hockey. Und ich muss dann zu Hause wieder Tränen trocknen und Nasen putzen.
Ansonsten ändert sich nichts am Programm. Rory und Lee sind nach wie vor herzlich willkommen bei uns (Gaby, glaub mir, wir sind wirklich nicht gefährlich!). Gleich anschließend werde ich nach Venezuela fliegen. Danke, Bianca, für deine liebe Intervention. Ich bin total froh, dass deine Leute in Venezuela so gut vertraut sind mit dem Deutschtum, denn da brauche ich mich nicht vor Fettnäpfchen zu fürchten und kann ganz gewiss sein, dass ihnen die Kuckucksuhr gefallen wird als Gastgeschenk und auch der Pumpernickel und der Löwensenf. Wenn die Chiviris am Orinoco-Delta die gleichen überdimensionalen Meerschweinchen sind, die ich als Capivaras aus Brasilien kenne, dann habe ich fürwahr keine Angst mehr vor den Piranhas, denn diese süßen Hoppelviecher flüchten bei jedem Wasserkräuseln derart schnell in Tiefe, dass ich nur hinterherzurennen brauche, um in Sicherheit zu sein.
Ich sage dir aber vorher noch Bescheid, wann ich Mia, Max und die Kanaris zu dir schicke (toll, dass du sie nun doch aufnehmen willst!). Ich denke, ich werde es diesmal mit der Mitfahrzentrale versuchen. Das ist preiswert, die Herrschaften müssen nicht umsteigen und haben nette Gesellschaft unterwegs. Ich hab mich schon informiert: Gegen einen geringen Aufpreis kann man auch einen Fahrer bekommen, der zwischendurch die Zeitungen in den Transportkäfigen wechselt und den Kanaris auf dem Löffel geraspelte Mohrrüben durch die Stäbe reicht. Der Service ist gut, und mich als Mutter beruhigt diese persönliche Reiseform natürlich sehr.
Nur eins finde ich ja zum Totlachen, Bianca. Du schreibst in deiner PN, ich brauchte mich nicht anzumelden bei deinen Verwandten in Venezuela, ich könne einfach so vorbeikommen, ich sei immer gern gesehen. Danke, toll, das nenne ich Vertrauen. Aber echt? Lautet die Anschrift wirklich „55743 Idar-Oberstein/Venezuela“? Ist ja ulkig, was für Zufälle es gibt, nicht wahr? Im ersten Moment hatte ich gedacht, du wolltest mich unauffällig in die Wüste schicken. Aber nee-o-nee, auf was für dumme Gedanken ich manchmal komme!
Der lieben Gisela möchte ich noch sagen, dass sie nicht verzagen soll. Was hast du anderes erwartet? Erst baggert Coco in der Weltgeschichte herum, dann würgt er sich ein schmalziges Kss-kss ab und glaubt allen Ernstes, die arme Cora wäre so beeindruckt, dass sie bebend vor Lust in seine Flügel sinkt? Oh, Gisela, da muss aber noch eine ganze Menge mehr kommen, bevor das gestörte Vertrauen wieder hergestellt ist. Gib ihnen Zeit und mach’s ihnen vielleicht mal ein bisschen lauschig am Abend, damit sie sich näher kommen können: Licht runterdrehen, Kuschelmusik auflegen und ein paar erotisierende Erdbeeren mit Apfelschorle hinstellen. Und dann sollst du mal sehen, wie die Liebe blüht! Zu Gina und Murphy in den Eheanschauungsunterricht würde ich Cora und Coco allerdings nicht schicken. So wild und roh will es schließlich nicht jeder Halter zugehen haben in seiner eigenen
Voliere.
Ach, noch was: Max, der zerknirschte Bengel, kam gerade rein, sah, dass euch schreibe, stellte den Eierschneider auf den Schreibtisch und schob mir mit Tränen in den Augen einen Zettel hin. Ich wollte natürlich wissen, was das bedeuten sollte. Und da sagte er: „Für Anita, weil sie doch so lieb ist.“ Und dann schrammelte er mir sein selbst gedichtetes Lied vor. Ach ... mir wurde warm ums Herz. Hier, Anita, exklusiv für dich der Text. Von Max. Nach der Melodie von „Hoch auf dem gelben Wagen“:
Hoch auf den starken Schu ...ultern
Sitz ich beim Indian vorn,
bedrohlich kratzen die Ku ... ufen,
begeistert brü ...üllt der Chor.
Über Bänke und Haaaallen
Dröhnt das Siegesgeschrei.
Ich wollt‘ ja so gerne noch ju ...ubeln,
aaaaber ich muss nun nach Haus.
Ich wollt‘ ja so gern noch ju ...ubeln,
Iiiindians voraus, ja, voraus!
Ich glaub, aus meinem Jungen wird doch noch mal ein großer Musiker. Ihr werdet es sehen!
Viele Grüße
Rinus.