Darüberhinaus kann ich aber in den derzeitigen Ausbruchsmustern durchausÜbereinstimmun*gen mit dem Vogelzuggeschehen finden. Zwar längst nicht inallen Fällen, aber es ist ja auch nicht zu erwarten, dass das Virus ausschließlichdas eine oder das andere Vehikel benutzt. Ich sehe bei den Steiof-(BirdLife-, LBV-...)Argumenten einige Probleme:1) ".. weder innerhalb Asiens, noch von Asien nach Europa gibt es Zugrouten zwischen den be*troffenen Gebieten." Das ist leider falsch. Der Weg des Virus folgt von der Chinesischen Küste dem Herbstvogelzug in den Indoasiatischen Raum. Über eine einzige Zwischenetappe im Süd*asiatischen Raum (Herbstzg - Winter - Frühjahrszug) lässt sich die Westwärtsbewegung erklären. Auch die räumliche und sogar zeitliche Koinzidenz (einschließlich der Übereinstimmung beim Vi*rentyp) auf der Etappe von Südwestsibirien bis ins Schwarzmeergebiet lässt sich nicht überse*hen. Zweifellos gibt es auch eine ganze Reihe so nicht erklärbarer Wege des Virus, aber es wäre unzutreffend zu sagen, dass es überhaupt keine Übereinstimmung gibt. Ich bin aufgrund der der*zeitigen Ausbruchsmuster davon überzeugt, dass wir uns alle von der Annahme verabschieden müssen, dass die Ankunft des Virus im Freiland (transportiert durch einen Wildvogel) an einer bestimmten Stelle unausweichlich und zeitnah dort zu bemerkbarem Massensterben bei Wildvö*geln führen muß. So lassen sich viele Ausbrüche auf der zeitlichen Achse schlichtweg überhaupt nicht erklären. Das heißt dann aber auch, dass die Westwärtswanderung über mehrere Zugpe*rioden hinweg durchaus denkbar ist, ohne dass an jedem Knoten der gedachten Kaskade sofort Massensterben registriert werden müssen. Wer sich die Bilder der stark um die Nordrichtung auf*gefächerten Brutzeit-Ringfunde von im Winterquartier beringten Enten vergegenwärtigt, versteht, was ich mit dem Potenzial zur Ost -West-Wanderung meine.
2) "Die meisten Vögel sterben an Ort und Stelle". Diese Annahme ist in zweierlei Hinsicht wohl so nicht mehr haltbar: erstens gibt es inzwischen Arbeiten, die in Asien für Hühner hochpathogenes H5N1 in klinisch gesunden Wildvögeln (Enten, Weidensperling) nachweisen konnnten (wenn auch sehr geringe Zahlen, aber wir wissen ja nicht, wie hoch die Dichte solcher Vektoren sein muß, um beispielsweise einen Ausbruch in einem Wasservogelgebiet zu provozieren). Zweitens würde diese Annahme bedeuten, dass in Wien, auf Rügen, am Bodensee, am Genfer See, in Wolfratshausen, am Lech, in Schweden und in Frankreich jeweils innerhalb der drei Wochen vor den Ausbrüchen das Virus aus Vogelgrippegebieten antransportiert worden sein muß. Entspre*chende Zugvogelbewegungen können wir ausschließen und Geflügelprodukte oder -mist, die an all diesen Stellen innerhalb sehr kurzer Zeit gleichzeitig antransportiert und freigesetzt wurden sind als Alternativhypothese genauso wenig plausibel.
3) "... daß in Ländern mit strikten Einfuhrkontrollen keine Geflügelpest auftritt...": Dies trifft für Australien (und Neuseeland) zu und stellt damit auch wirklich ein gutes Argument gegen die pri*mitiveren Formen der Zugvogel-Vektoren-Hypothese dar (allerdings mit der leichten Einschrän*kung, dass wohl nur sehr wenige Enten aus den Ausbruchsgebieten wirklich Australien erreichen und die sind ja als Vektoren besonders unter Verdacht). Aber die Liste der Länder ist nicht ganz richtig: es gab H5N1-Ausbrüche auch in Japan, Südkorea (jeweils Januar 2004). Malaysia hat bisher offenbar wirklich keine Fälle gemeldet, aber das kommt mir angesichts einer ganzen Kette von Ausbrüchen auf thailändischer Seite entlang der Malayischen Grenze nicht sehr verlässlich vor.
4) Geflügelfutter; Geflügelkot-Düngung: wo genau sind hier die auf die Situation in Europa zu*treffenden Argumente, wenn wir mal die Vermutung außer Acht lassen, dass die Agroindustrie in zahlreichen Skandalen den Eindruck hinterlassen hat, letztlich zu allem fähig zu sein? Ich habe erhebliche Probleme mit der Vorstellung, dass infizierter Hühnerdung aus China innerhalb von drei Wochen auf deutsche Felder gelangen soll, ohne vorher auszutrocknen oder sich über 10° zu erwärmen (dies sollte die Überdauerungsfähigkeit der Viren nochmals verkürzen). Der Trans*port wird ja kaum mit dem Flugzeug stattfinden. Und auch die Annahme von Hühnermistexporten aus der Ukraine, Rumänien (beide übrigens Importeure und nicht Produzenten von Geflügel im Bereich von je 10 - 15 Mio. / Jahr) oder der Türkei in alle oben genannten neueren Ausbruchs*gebiete gleichzeitig ist für mich alles andere als plausibel. Die Hypothese vom verseuchten Ge*flügelfutter finde ich für Mitteleuropa deswegen problematisch, weil die jüngsten Ausbrüche eben gerade nicht in Geflügelbeständen, sondern im Freiland stattgefunden haben und dem eben ge*rade keine Ausbrüche in Geflügelbeständen voraus gingen. Das lässt sich dann nur noch mit wil*den Verschwörungs- und Geheimhaltungstheorien erklären, die wir uns realistischerweise erspa*ren sollten und bei denen wir uns erinnern sollten, dass es selbst den totalitären Staaten und sol*chen mit deutlicher Pressezensur nicht gelungen ist, Geflügelpestausbrüche mittelfristig geheim zu halten.
5) der von vornherein wohl nicht ganz ernst gemeinte Vorwurf der Freisetzung der Viren aus dem FLI hat sich mit den Ausbrüchen am Bodensee ja wohl erübrigt (nein, auch an der Vogelwarte haben wir keine solchen Viren vorrätig, obwohl die beiden ersten deutschen Ausbruchsgebiete jeweils in Rufweite einer Beringungszentrale (Hiddensee, Radolfzell) ja nun auch eine bemer*kenswerte Koinzidenz darstellen und die Frage aufwerfen, ob in Ostfriesland (IfV Wilhelmshaven) vielleicht nachlässig untersucht wird??)
Aber Spaß beiseite: ich hoffe, man nimmt es mir nicht übel, wenn ich auch die Argumente der Gegner der Vogelzug-Vektoren-Hypothese kritisch hinterfrage. Ich glaube nicht, dass viel zu ge*winnen ist, wenn auf so dünnem Eis argumentiert wird. Und dabei vermute ich viel belastbarere Punkte hier:
- die offensichtliche Zeitlücke zwischen Ankunft potenzieller Wildvogel-Virenträger und den ersten bemerkten Ausbrüchen von 12-15 Wochen. Wo ist das Virus in dieser Zeit und warum wird es nicht bemerkt?
- den beginnenden Endemismus von H5N1 in Regionen Asiens (wie kann ein Virus endemisch werden, von dem man gleichzeitig annimmt, dass es durch Wildvögel um halbe Kontintente ver*breitet wird?)
- die fehlenden Ausbrüche in hochfrequentierten Ziel- und Durchzugsgebieten von Zugvögeln aus hoch belasteten AI-Gebieten
- erste Analysen zur genetischen Verwandtschaft verschiedener H5N1-Typen, aus denen sich Ausbreitungswege (in SE-Asien) rekonstruieren lassen, die Wildvogelverbreitung nicht sehr wahrscheinlich machen, aber deutliche Zusammenhänge mit Geflügelbewegungen aufweisen.
Ich halte es für empfehlenswert, an diesen Punkten anzusetzen und dabei aber nicht grundsätz*lich die Möglichkeit auszuschliessen, dass auch (!) Wildvögel das Virus übertragen können - nur eben nicht nach den derzeit in Politik und Presse gerne dargestellten Primitivmustern.
Viele Grüße
Wolfgang Fiedler