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Vogelklappe
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Die Taube auf dem Eis
Ein Anruf. Frau X, die immer so viel redet, um wenig zu sagen. Eine Taube sitze auf dem halb zugefrorenen Kanal entlang einer U-Hochbahnstation, dunkelgrau gemuschelt, und würde von anderen Tauben gepickt.
So fahre ich ein wenig früher (obwohl ich eigentlich grundsätzlich nicht auch noch fahre), um noch vor Dunkelheit dort anzukommen. Keine dunkle Taube auf dem Eis, eigentlich gar keine Taube mehr zu sehen. Nur ein paar Enten.
Am anderen Ufer liegt etwas am Rand der Mauer, das aussieht wie eine Flasche. Auf die Seite wollte ich sowieso, weil manchmal kranke Tauben unter der Brücke sitzen. Über das Geländer gebeugt erkenne ich eine helle Taube. Fast weiß mit dunklen Enden, sehr untypisch für diesen Platz. Sie rührt sich nicht. Ich werfe einen Schneeball knapp neben sie. Hat sie gezuckt ?
Aus dem Auto hole ich Körner und werfe sie bei ihr runter. Aha. Ein Versuch zu picken. Weitere Körner schnell in Wandnähe, damit sie nur ja nicht weg von der Mauer läuft. Da sitzt sie wieder mit hängendem Kopf.
Per Telefon organisiere ich Beleitung für später abends. Mit einer Stange in der Länge hapert es. Die einzige, die eine hat, ist nicht da. Zu Hause habe ich noch Vorhangstangen. Da ich ein paar Stunden Zeit habe, bastele ich ausgiebig. Kein Teleskopprinzip; instabile Verbindungsstücke. Behoben mit Schnellkleber und Kabelbinder, aber ob das hält ? Zwei aneinander montierte Stangen und ein Kescher, der Gewicht auf diese Konstruktion bringt ?
Wir fahren dorthin. Die Taube sitzt noch da. Eine Ratte stupst sie von hinten an, rennt aber davon, als wir uns bemerkbar machen. Gerade noch rechtzeitig.
Alle fünf Minuten kommt ein Schwall Menschen aus der U-Bahn. Ich muß die Stangen aneinander binden, die in ganzer Länge nicht ins Auto gepasst hätten. Einer hat offenbar meinen Kompagnon gefragt, was wir da machen, denn er schaut mit jemandem über’s Geländer.
Wir probieren das montierte Konstrukt aus. Es fällt am Endstück einer Stange auseinander, aber mein Kumpel kann schnell zugreifen. Da stehen die nächsten beiden, die uns fragen, was wir vorhaben. „Wir holen jetzt die Taube vom Eis; die stirbt sonst da.“ Ungläubig schauen die beiden Mädels über das Geländer. Dann winken sie und zu und sagen „Viel Erfolg !“.
Wir gehen schnell zur Taube. Ich greife durch das Gitter, um den oberen Teil zu halten, da wir nicht die ganze Länge brauchen. Mein Partner „fischt“ vorsichtig mit dem Kescher – ich sehe ja nichts , weil ich hockend durchs Gitter fasse – und hat im zweiten Anlauf die Taube im Netz. „Langsam“, sage ich nur, und greife nach und nach jedes hochgezogene Verbindungsstück – die Schwachpunkte. Zum Schluss kommt die Taube und lässt sich ohne Probleme nehmen. Im Licht begutachte ich sie, bevor sie in die Box kommt. Nicht mal Federlinge, äußerlich unverletzt.
Nachdem wir die Stangen wieder zusammengelegt haben, gehe ich in den noch offenen Türkenimbiss am U-Bahnausgang und bitte, das kleine Schälchen aus der Box mit Wasser zu füllen. Die Taube trinkt fast das ganze Wasser weg. „Ach Gott.“, sagt mein Freund. Es wird immer unterschätzt, wie viel Durst so erschöpfte Vögel haben.
Bis zu Hause ist erkennbar, dass der Kot der Taube eine einzige grüne Pampe ist. Trichomonaden hat sie auch noch. Das ganze Programm. Sie pickt nicht mehr; ich muss sie füttern. Noch eine…
Am übernächsten Tag (natürlich Sonntag) fängt sie an, die Körner wieder zu spucken. Also steige ich auf Brei um. Den verträgt sie aber auch nicht, trotz zugesetzter Verdauungskeime. Am nächsten Morgen geht es ihr so schlecht, dass sie nach hinten kippt. Da ich arbeiten muss, gebe ich sie in der Vogelpraxis ab, wo sie eine Infusion bekommt. Trotzdem werden ihr nicht für einen Pfifferling Aussichten eingeräumt. „Du stirbst mir nicht“, denke ich, „sonst hätten schon die Stangen nicht gehalten“.
Dann bezweifle ich meine Objektivität, weil diese Taube so hübsch ist. Garantiert eine Rassetaube der ersten unberingten Generation. „Wenn sie stirbt, lasse ich sie präparieren.“, ist mein nächster unkontrollierter Gedanke – daran habe ich bisher noch nie gedacht. Die meisten Rassetauben gefallen mir gar nicht. Da fällt mir ein Satz von Karl Grammer ein: „Attraktivität ist verfassungswidrig.“ Schluss damit.
Die Taube kann bis zum nächsten Tag in der Praxis bleiben. Als ich anrufe, lebt sie noch, sehe aber nicht gut aus. Nachmittags bringt sie jemand zu mir. Als ich nach Hause komme, steht an der Box „Kein Wasser in die Box, damit sie nicht ertrinkt.“ Sofort lasse ich sie trinken und hätte toben können. Die ist zwischen den Eisschollen nicht ertrunken, dann wird sie es auch nicht im Napf.
Auf dem Bogen steht: „Keine Kokzidien.“ Auch recht, ein Medikament weniger. Die grüne Pampe hätte ja alles sein können. Der Kot ist nun Breikot. Auf dem Zettel steht noch „Dreht.“ – dreht ? Sie ist zwar schlapp, aber kein Dreher. Ich packe sie in die „Sitzbox“, eine oben offene Wanne, auf deren Boden zur Hälfte das Heizkissen liegt. Es ist nicht erkennbar, ob sie die Wärme bevorzugt. Nun hat sie schon bräunlichen Breikot, ist aber immer noch zu schwach.
Da fällt mir der Tip einer Krankenschwester ein: Weetabix. Eine Art Biskuit aus 95 % Vollkornweizen, der sich in Flüssigkeit vollständig auflöst und per Spritze verfüttert werden kann. Das sei ein Krafttrunk erster Güte. Gibt’s in einem Billigladen in der Müsliabteilung. Die eine Packung ist schon abgelaufen, Mist. Aber die andere nicht. Weetabix mit Ringerlösung, das ist es. Den Brei in kleinen Mengen (laut Praxis), damit sie nicht wieder spuckt. Er bleibt d’rin !
Am nächsten Tag bin ich schon mittags wieder zu Hause. Der Vorteil des Freiberuflers. Da kommt mir die Taube entgegen – auf dem Boden. Sie sucht Futter ! Pickt nach den Körnern, die von den anderen Tauben aus der Box geworfen wurden. Gut, dass die noch infektiösen Tauben im anderen Raum stehen.
Also geht es jetzt mit medikamentengetränkten Körnern im Wechsel mit Weetabix-Brei weiter. Sonst trinkt sie mir zu wenig. Da die Taube noch zweimal aus der Wanne steigt und damit kundtut, dass sie Hunger hat, muss sie wieder in eine Box umziehen, aber ich lasse sie regelmäßig spazieren gehen, denn sie frisst nicht aus dem Napf am Gitter. Mit dem Picken hat sie noch Schwierigkeiten, wirft die Körner hoch und versucht sie zu fangen. Aber sie kann sich auf einem Bein stehend am Kopf kratzen !
Sie will – und sie wird es schaffen.
Jetzt kommt endlich eine vernünftige Teleskopstange her.
Ein Anruf. Frau X, die immer so viel redet, um wenig zu sagen. Eine Taube sitze auf dem halb zugefrorenen Kanal entlang einer U-Hochbahnstation, dunkelgrau gemuschelt, und würde von anderen Tauben gepickt.
So fahre ich ein wenig früher (obwohl ich eigentlich grundsätzlich nicht auch noch fahre), um noch vor Dunkelheit dort anzukommen. Keine dunkle Taube auf dem Eis, eigentlich gar keine Taube mehr zu sehen. Nur ein paar Enten.
Am anderen Ufer liegt etwas am Rand der Mauer, das aussieht wie eine Flasche. Auf die Seite wollte ich sowieso, weil manchmal kranke Tauben unter der Brücke sitzen. Über das Geländer gebeugt erkenne ich eine helle Taube. Fast weiß mit dunklen Enden, sehr untypisch für diesen Platz. Sie rührt sich nicht. Ich werfe einen Schneeball knapp neben sie. Hat sie gezuckt ?
Aus dem Auto hole ich Körner und werfe sie bei ihr runter. Aha. Ein Versuch zu picken. Weitere Körner schnell in Wandnähe, damit sie nur ja nicht weg von der Mauer läuft. Da sitzt sie wieder mit hängendem Kopf.
Per Telefon organisiere ich Beleitung für später abends. Mit einer Stange in der Länge hapert es. Die einzige, die eine hat, ist nicht da. Zu Hause habe ich noch Vorhangstangen. Da ich ein paar Stunden Zeit habe, bastele ich ausgiebig. Kein Teleskopprinzip; instabile Verbindungsstücke. Behoben mit Schnellkleber und Kabelbinder, aber ob das hält ? Zwei aneinander montierte Stangen und ein Kescher, der Gewicht auf diese Konstruktion bringt ?
Wir fahren dorthin. Die Taube sitzt noch da. Eine Ratte stupst sie von hinten an, rennt aber davon, als wir uns bemerkbar machen. Gerade noch rechtzeitig.
Alle fünf Minuten kommt ein Schwall Menschen aus der U-Bahn. Ich muß die Stangen aneinander binden, die in ganzer Länge nicht ins Auto gepasst hätten. Einer hat offenbar meinen Kompagnon gefragt, was wir da machen, denn er schaut mit jemandem über’s Geländer.
Wir probieren das montierte Konstrukt aus. Es fällt am Endstück einer Stange auseinander, aber mein Kumpel kann schnell zugreifen. Da stehen die nächsten beiden, die uns fragen, was wir vorhaben. „Wir holen jetzt die Taube vom Eis; die stirbt sonst da.“ Ungläubig schauen die beiden Mädels über das Geländer. Dann winken sie und zu und sagen „Viel Erfolg !“.
Wir gehen schnell zur Taube. Ich greife durch das Gitter, um den oberen Teil zu halten, da wir nicht die ganze Länge brauchen. Mein Partner „fischt“ vorsichtig mit dem Kescher – ich sehe ja nichts , weil ich hockend durchs Gitter fasse – und hat im zweiten Anlauf die Taube im Netz. „Langsam“, sage ich nur, und greife nach und nach jedes hochgezogene Verbindungsstück – die Schwachpunkte. Zum Schluss kommt die Taube und lässt sich ohne Probleme nehmen. Im Licht begutachte ich sie, bevor sie in die Box kommt. Nicht mal Federlinge, äußerlich unverletzt.
Nachdem wir die Stangen wieder zusammengelegt haben, gehe ich in den noch offenen Türkenimbiss am U-Bahnausgang und bitte, das kleine Schälchen aus der Box mit Wasser zu füllen. Die Taube trinkt fast das ganze Wasser weg. „Ach Gott.“, sagt mein Freund. Es wird immer unterschätzt, wie viel Durst so erschöpfte Vögel haben.
Bis zu Hause ist erkennbar, dass der Kot der Taube eine einzige grüne Pampe ist. Trichomonaden hat sie auch noch. Das ganze Programm. Sie pickt nicht mehr; ich muss sie füttern. Noch eine…
Am übernächsten Tag (natürlich Sonntag) fängt sie an, die Körner wieder zu spucken. Also steige ich auf Brei um. Den verträgt sie aber auch nicht, trotz zugesetzter Verdauungskeime. Am nächsten Morgen geht es ihr so schlecht, dass sie nach hinten kippt. Da ich arbeiten muss, gebe ich sie in der Vogelpraxis ab, wo sie eine Infusion bekommt. Trotzdem werden ihr nicht für einen Pfifferling Aussichten eingeräumt. „Du stirbst mir nicht“, denke ich, „sonst hätten schon die Stangen nicht gehalten“.
Dann bezweifle ich meine Objektivität, weil diese Taube so hübsch ist. Garantiert eine Rassetaube der ersten unberingten Generation. „Wenn sie stirbt, lasse ich sie präparieren.“, ist mein nächster unkontrollierter Gedanke – daran habe ich bisher noch nie gedacht. Die meisten Rassetauben gefallen mir gar nicht. Da fällt mir ein Satz von Karl Grammer ein: „Attraktivität ist verfassungswidrig.“ Schluss damit.
Die Taube kann bis zum nächsten Tag in der Praxis bleiben. Als ich anrufe, lebt sie noch, sehe aber nicht gut aus. Nachmittags bringt sie jemand zu mir. Als ich nach Hause komme, steht an der Box „Kein Wasser in die Box, damit sie nicht ertrinkt.“ Sofort lasse ich sie trinken und hätte toben können. Die ist zwischen den Eisschollen nicht ertrunken, dann wird sie es auch nicht im Napf.
Auf dem Bogen steht: „Keine Kokzidien.“ Auch recht, ein Medikament weniger. Die grüne Pampe hätte ja alles sein können. Der Kot ist nun Breikot. Auf dem Zettel steht noch „Dreht.“ – dreht ? Sie ist zwar schlapp, aber kein Dreher. Ich packe sie in die „Sitzbox“, eine oben offene Wanne, auf deren Boden zur Hälfte das Heizkissen liegt. Es ist nicht erkennbar, ob sie die Wärme bevorzugt. Nun hat sie schon bräunlichen Breikot, ist aber immer noch zu schwach.
Da fällt mir der Tip einer Krankenschwester ein: Weetabix. Eine Art Biskuit aus 95 % Vollkornweizen, der sich in Flüssigkeit vollständig auflöst und per Spritze verfüttert werden kann. Das sei ein Krafttrunk erster Güte. Gibt’s in einem Billigladen in der Müsliabteilung. Die eine Packung ist schon abgelaufen, Mist. Aber die andere nicht. Weetabix mit Ringerlösung, das ist es. Den Brei in kleinen Mengen (laut Praxis), damit sie nicht wieder spuckt. Er bleibt d’rin !
Am nächsten Tag bin ich schon mittags wieder zu Hause. Der Vorteil des Freiberuflers. Da kommt mir die Taube entgegen – auf dem Boden. Sie sucht Futter ! Pickt nach den Körnern, die von den anderen Tauben aus der Box geworfen wurden. Gut, dass die noch infektiösen Tauben im anderen Raum stehen.
Also geht es jetzt mit medikamentengetränkten Körnern im Wechsel mit Weetabix-Brei weiter. Sonst trinkt sie mir zu wenig. Da die Taube noch zweimal aus der Wanne steigt und damit kundtut, dass sie Hunger hat, muss sie wieder in eine Box umziehen, aber ich lasse sie regelmäßig spazieren gehen, denn sie frisst nicht aus dem Napf am Gitter. Mit dem Picken hat sie noch Schwierigkeiten, wirft die Körner hoch und versucht sie zu fangen. Aber sie kann sich auf einem Bein stehend am Kopf kratzen !
Sie will – und sie wird es schaffen.
Jetzt kommt endlich eine vernünftige Teleskopstange her.
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