Hallo!
Auch wenn ich mich wiederhole: Ich werde trotzdem nicht müde, mich bei euch allen, bei Christine und Wanda, Kuni, Sarah, Anita und bei all jenen, die mir per PN schreiben, zu bedanken für euren Trost und eure guten Wünsche.
Ich bin momentan hin und her gerissen. Ich kann nicht sagen, dass es Mia ganz schlecht geht, doch die Erfahrung hat mich gelehrt, mit der Entwarnung vorsichtig umzugehen.
Nachdem an Dienstag ja eine neue Wunde aufgebrochen war, sitzt Mia nur noch auf dem gesunden Bein; sie humpelt und vermeidet, mit dem kranken Bein aufzutreten. Das ist schon schlimm genug, aber dann nässte alles und klebte vor Salbe und angetrocknetem Blut, und ich hatte Angst, dass wieder Dreck in die Wunden kommen und eine Entzündung auslösen könnte. Deshalb habe ich meine kleine wasserscheue Wüstenmaus schweren Herzens in die Badewanne gesetzt und unten rum mit der Blumenspritze abgeduscht. Ich musste dabei in den lieblichsten Tönen flöten und immer wieder erstaunlich flinke Krallen aus meinem Ärmel pulen, bis endlich das Werk vollbracht war. Ich wünsche keinem von euch, dass ihr jemals erleben müsst, wie unter eurem Liebling eine rote Pfütze zusammenläuft, obwohl solche Blut-Geschichten meist schlimmer aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. Aber es bricht einem trotzdem das Herz.
Vor den Nächten hatte ich die größte Angst, weil sich dort bisher am meisten verschlimmert hat. Außerdem fühlt man sich noch hilfloser, wenn das Jammern in die Stille und die Dunkelheit hallt. Doch diesmal verlief alles harmloser als befürchtet. Mia schlief weitgehend ruhig auf der Voli, nur ab und an wurde sie hektisch und begann zu klagen. Ich hab ihr dann das Bein wieder mit Salbe eingeschmiert. Auf meiner Bettdecke sitzen wollte sie dagegen nicht. Morgens wurde ich von einer zwar einbeinigen, aber doch sehr lebendigen Mia begrüßt, während Max bereits seine Morgengymnastik machte (auf der ungewohnt so früh schon geöffneten
Voliere ... toll!). Neue Blutungen sind seitdem nicht wieder aufgetreten, aber das Bein sah immer noch grausam aus. Wie zermatscht.
Deshalb bin ich heute noch einmal zur Vogelklinik gefahren. Wie immer, Max dabei.(Der Tierarzt letztens: „Sie brauchen den zweiten Vogel nicht extra mitzubringen; das ist sicher Stress für ihn, der Transport.“ Ich: „Oooch .. der ist so stoisch; den stört das nicht. Außerdem kenne ich eine Amazone, die heute Nacht prima schlafen wird.“) Im Wartezimmer hatte ich tatsächlich die mustergültig artigsten Krummschnäbel, „wo gibt auf der Welt“: kein Mucks zu hören, nicht mal ein Meckern. Und dann die Untersuchung. Glücklicherweise konnte mich der Arzt beruhigen: Mias Bein sehe zwar schlimm aus, aber der Heilungsprozess sei voll im Gange; ich solle nur abwarten und immer fleißig weiter mit der Salbe einschmieren. Neue Medikamente hat sie nicht bekommen, und das bedeutet, dass ihre Selbstheilungskräfte doch noch ausreichend sind, um mit den Wunden fertig zu werden.
Dennoch ist die Ursache dieser mysteriösen Krankheit noch immer nicht geklärt. Mia wird jetzt auf Diabetes untersucht. Dazu wurde ihr Blut abgenommen. Ich durfte zusehen (mit Max und einem Pulk lerneifriger Studentinnen). Dieses Erlebnis möchte ich nutzen, um mein kleines tapferes Mädchen noch einmal öffentlich zu loben. Ich meine, falls noch jemand von euch nicht wissen sollte, dass Mia das mutigste Papageien-Kind ist, das jemals geboren wurde. Jawohl! Zwar gleichzeitig das dreckigste nördlich des Äquators (das muss ich zugeben), aber eben auch das mutigste: voll Vertrauen in das Leben.
Wisst ihr, wie so eine Prozedur
normalerweise abläuft? Der Tierarzt greift in den Käfig, umschlingt mit einem Tuch den Nacken des Patienten. Riesengeschrei. Dann wird das zappelnde und strampelnde Geierlein auf den Rücken gedreht. Mehrere Leute müssen festhalten, damit der Patient einigermaßen ruhig gestellt ist und der Arzt arbeiten kann.
So, und wollt ihr jetzt wissen, wie es
bei meiner kleinen Mia ablief? Patientin sitzt oben auf Max‘ Käfig. Assistentin kommt, fasst sie im Nacken (ohne Tuch). Mia lässt sich klaglos runterheben und abführen. Sie wird auf den Rücken gedreht. Tierarzt hält sie fest (ohne Tuch), Studentin spreizt einen Flügel ab und fixiert ihn mit den Fingern. Mia noch immer ohne Gegenwehr und ohne Geschrei. Assistentin sticht ihr eine Nadel in die Seite (unterm Flügel) und wartet, bis Blut kommt. Mia brummt einmal kurz auf und verstummt wieder außer einem „löll-löll-löll“ mit der Zunge immer hin und her im Schnabel. Gezappel? Keins. Irgendwann endlich: Blut kommt. Nadel wird rausgezogen, Mia kriegt (wie wir Großen) ein Tüchlein auf den Einstich, das ihr flott unterm Flügel hervorwedelt. Dann wird die schweigende Patientin zurück in den Käfig gehoben - das war’s.
Na, ist das nichts? Ist meine Mia nicht ein zauberhaftes Mädchen?
Jetzt heißt es abwarten. Am Dienstag soll das Ergebnis der Blutuntersuchung da sein. Ich hoffe nur, dass am Wochenende nicht wieder eine neue Wunde aufbricht. Dieses ständige Kämpfen zermürbt. Aber wir geben nicht auf, solange noch Hoffnung ist. Und Mia hat mir gestern auch schon wieder einen Keks aus der Hand gezerrt und ihn ungerührt in meinen Ausschnitt gesägt. Auf meiner Schulter sitzt sie nämlich am liebsten – obwohl es da ordentlich schaukelt auf einem Bein.
Viele Grüße
Rinus.