Liebe Mamas Rinus und Sonja!
Nun sind wir auf dem Heimweg. Portugal ist sooo schön, ich würde am liebsten noch bleiben.
Meine beiden Begleiter, das lustige Cha-Cha-Cha-Duo mit dem Portweinhirn, sind inzwischen auch wieder auf dem Damm. Ich hab mir schon gedacht, dass ihr es nicht gut findet, wie die sich haben volllaufen lassen, aber ich konnte wirklich nichts dafür. Ich hab gewarnt und geredet und gemacht und getan, aber nein, sie wollten nicht auf mich hören. Haben immer nur gekichert und sich schließlich flennend in den Armen gelegen, angeblich wegen dem Fado, weil der so traurig war. Ich geb ja zu, zum Auf-die-Schenkel-Klatschen war dies Gejaule wirklich nicht, aber deswegen gleich heulen? Bei dem Dicken und Ännchen hat’s voll reingehauen, was man hier „Saudade“ nennt. Das ist so was wie Sehnsucht. Nur hab ich mich die ganze Zeit gefragt, nach was diese beiden Schnapsdrosseln sich wohl sehen könnten. Gestern morgen war’s mir klar: nach jemandem, der ihnen die drei Bienenvölker aus dem Schädel vertrieb. Das hättet ihr euch angucken müssen, wie die da hockten neben ihrem Busch mit beiden Flügeln um den Kopf gewickelt, darunter kam ab und zu ein leises „Ooooohhh“ und vermischte sich mit der süßlichen Aromawolke aus Portwein plus Kneipe. Geschah ihnen Recht, warum haben sie auch nicht auf mich gehört!
Nach dem Amapirin wollten sich die beiden glatt wieder hinlegen, zwischen den schattigen Blättern ihren Rausch weiter auslüften, aber dagegen hatte ich was. Wir sind schließlich nicht in Portugal, um hier rumzutrödeln. Außerdem wollten wir uns noch das Cabo São Vicente ansehen. Das ist die westlichste Südspitze der Algarve. Ich hab Busfahrkarten gekauft, und dann sind wir von Portimão nach Sagres gefahren, wieder hinten auf der Querbanklehne. Nur dass Max und Ännchen unterwegs ein paarmal rudernd auf den Sitz hinuntergerutscht sind, angeblich weil der Bus so scharf in die Serpentinen fuhr. Man soll es gar nicht glauben: Hohe Berge gab es nicht am Straßenrand, aber weil der Weg immer an der Felsküste langführt, war die Straße ganz schön schlängelig. Ab und zu kam mal ein Dorf, manche mit Touristenhochhäusern und schicken weißen Segelschiffen im Yachthafen. Doch so schöne Felsen im Meer wie in Praia da Rocha haben wir hier nicht gesehen.
In Sagres war Endstation. Den Rest zum Kap mussten wir selbst zurücklegen. Meine beiden Schnapsdrosseln konnten sich nicht einig werden, ob laufen oder fliegen besser wäre. Max meinte, in dieser felsigen Staubsteppe würde er sich nicht die Haxen brechen, und Ännchen fand, zum Fliegen sei es zu gefährlich bei nur halb funktionierendem Navigationssystem - nicht dass wir dann womöglich den Holzkopf wieder retten müssten, weil er die Kurve nicht kriegt, von den Klippen stürzt und in der Brandung landet. Max fand das „entpöhnend“ und schrie, dann könne Ännchen in Zukunft gefälligst selbst ihre dummen Pfirsiche im Rucksack schleppen, er mache sich doch hier nicht zum Hampelmann, sei der Tragesel und müsse sich obendrein beleidigen lassen. Als Ännchen dann was murmelte von „Esel – da könntest du mal Recht haben“, schmieß uns Max den Rucksack vor die Füße und watschelte alleine los. Ich hab noch gerufen, aber der Dicke stratzte unbeirrt weiter, ohne sich umzugucken.
Ännchen und ich standen an der Straße und überlegten, was wir tun sollten. Da kam ein Radfahrer vorbei, ein Portugiese, ein Fischer mit Eimer am Lenker und Angelroute an der Stange. Ich hab schnell gewinkt und „Senhor! Senhor!“ gerufen. Erst hat er geguckt, weil er nicht gleich sehen konnte, woher das Rufen kam, dann hat er angehalten und uns was gefragt, das wir aber nicht verstehen konnten. Ännchen hat nicht lange gefackelt und ist einfach in seinen Eimer geflogen. Da hat er verstanden, gelacht und mich mit Max‘ Rucksack hochgehoben und dazugesetzt. Es war ein bisschen eng, und mir ist auch etwas schlecht geworden von Ännchens Portwein-Atem, aber so konnten wir wenigstens den Dicken wieder einholen. Er stampfte noch immer wutentbrannt zwischen dem Unkraut herum. Ich hab gerufen und er hat sich Gott sei Dank dazu bequemt, auf den Gepäckträger zu fliegen und dort hocken zu bleiben.
So sind wir am Cabo São Vicente angekommen. Es ist ein graues Felsplateau mit mächtig tiefen Klippen, die steil ins Meer abfallen. Unten schäumt die Gischt. Es riecht würzig nach Ozean, und man kann bis in die Unendlichkeit gucken. Nur ein bisschen windig war es. Eigentlich nicht viel, doch wir mussten aufpassen, dass es uns nicht wegfegte, wenn wieder mal so eine Böe kam. Wir sind ja viel kleiner und leichter als Menschen, bei uns passiert so was schnell. Ich hab dann dem Dicken gesagt, er soll sich seinen Rucksack umschnallen. Da waren ja noch Ännchens Pfirsiche drin; die würden ihn am Boden halten.
Mitten auf dem Plateau stehen ein Leuchtturm und ein altes Gebäude. Die Leute sagen, es stamme noch aus der Zeit Heinrich des Seefahrers, der hier gewohnt und eine Seefahrerschule gegründet haben soll. Ich weiß nicht – in so einem popeligen Häuschen sollen all diese Leute gelebt haben? Aber vielleicht standen früher noch mehr Gebäude hier; das kann natürlich sein. Ist ja schon lange her; da wird sicher inzwischen das eine oder andere kaputtgegangen sein. Und praktisch war’s sicher auch, hier zu wohnen. Die Wäsche ist bestimmt schnell getrocknet bei diesem Wind, frischen Fisch konnte man sich direkt vor der Haustür angeln, und die Aussicht muss damals schon bombastisch gewesen sein. Nur mit dem Einkaufen – das war sicher anstrengend, immer erst nach Sagres in den Supermarkt fahren zu müssen, und das, wo die Leute damals vor sechsfhundert Jahren doch noch keine Autos hatten.
Wir haben den ganzen Nachmittag auf einem Felsbröckchen gesessen und in die Ferne geguckt. Ännchen ist ganz sentimental geworden und hat „Man spürt hier den Hauch der Ewigkeit“ gesagt mit zittriger Stimme. Ich dachte, jetzt geht das schon wieder los, weil Max prompt antwortete: „Ja, Hauch ... nach Portwein.“ Doch dann hat er seinen Kopf an Ännchens Schulter gelehnt und „Alte Schreckschraube“ geseufzt. Die gute Meerluft scheint Wunder zu vollbringen!
Am Abend, als es dämmerte, sind wir nach Sagres zurückgefahren. Wieder per Fahrrad. Es laufen hier genug Hobby-Angler rum, da brauchten wir nur draufzuhüpfen. In Sagres haben wir einen schönen alten Baum gefunden zum Schlafen. Der hat uns ganz bedeckt mit seinem Blätterzelt. Und in der Astgabelung haben wir prima sitzen und zu Abend essen können: Weißbrot, Apfelkuchen und drei gekochte Kartoffeln, die aus einem Restaurant stammten. Max hatte sich an die Hintertür gestellt und „Batatas, por favor“ gerufen. Da kamen die drei Dinger angeflogen. Dass „Kartoffel“ in Portugal „Batata“ heißt, haben wir von einer Taube erfahren. Sie sei gebürtig aus Krefeld, sagte sie, wohne aber schon seit drei Jahren in einer Landkommune in der Umgebung. Den Umzug habe sie nie bereut.
Heute Morgen nach dem Frühstück sind wir noch mal schnell zum Wasser geflogen, uns verabschieden, und haben anschließend den Zug genommen nach Lissabon. Das war uns sicherer, als mit dem Bus zu fahren, weil wir ja unbedingt heute Abend auf Puten-Manni warten müssen. Der Zug fährt die Küste entlang bis hinter Portimão und schlägt dann nach Norden ein, durch die Serra de Monchique, wo ja die Orangenbäume wachsen, und weiter nordwärts, fast wieder am Wasser entlang, nämlich jetzt an der Westküste, bis vor die Haustür Lissabons. Dort ist Endstation, alles muss aussteigen und wieder mit der Fähre über den Tejo setzen. Uns war ganz traurig zumute, als wir Lissabon auf uns zukommen sahen und daran dachten, dass wir heute nach Hause fahren müssen.
Jetzt sitzen wir in einem Internet-Café am Bahnhof. Ännchens Wok und der Hockeyschläger sind noch da. Am Nachmittag werden wir uns noch ein bisschen was angucken und dann zur Tejo-Brücke fahren und auf Manni warten.
Es war so phantastisch hier! Danke, dass ihr uns doch noch erlaubt habt, hierzubleiben. Stimmt es, was Tante Anita fragt: Dürfen Max und ich auf der Rückfahrt noch ein paar Tage bei Ännchen in Hörstein bleiben? Tante Sonja hat uns doch sowieso eingeladen, da ist es doch eigentlich egal, wann wir zu ihr kommen, nicht? Erlaubst du uns das, Mama Rinus? Och, bitte! Bitte! Bitte!
Von Ännchen soll ich Georges schön grüßen. Den hatte sie in der ganzen Woche vergessen. Sie meint, wenn er ihr damals die 200 Euro für das Geschenk an Puten-Manni geschickt hätte, wäre die Hälfte übrig geblieben und Max hätte sich nicht von all den Touristen antatschen lassen müssen. So! Dass er’s nur weiß!
Wir grüßen euch alle und drücken euch ganz doll.
Eure Mia, Max und Ännchen