Meine liebe Rinus,
ich habe lange überlegt, ob und was ich Dir schreiben soll.
Aufgrund dessen habe ich mich entschlossen, ganz normal weiter zu berichten, was sich hier tut und einfach abzuwarten, bis sich Dein momentaner Gemütszustand wieder normalisiert.
Ich schiebe es einfach mal darauf, dass Du unter schwersten Entzugserscheinungen leidest, da Dein Flug-Gemüse seit mittlerweile fast zwei Wochen Deiner autoritären Erziehung entfleucht ist.
Leicht irritiert habe ich Max’Antwort an Dich zur Kenntnis genommen, da ich mich nicht erinnern kann, den Vögeln jemals Milch gegeben zu haben. Mia bekommt ihre Globuli mit Joghurt und soweit ich informiert bin, war es das auch schon. Ich kann mir nur vorstellen, dass Max heimlich am Katzenfutter ist, denn da steht auch ein Schälchen mit Milch.
Trotzdem durfte er heute an dem Ausflug teilnehmen.
Wir fuhren nach Frankfurt, ich dachte, ich zeig der Bande mal, woher ich komme. Wir sind durch’s Bankenviertel marschiert und haben uns dort die Hochhäuser betrachtet. Max Kommentar: Fast wie Praia da Rocha! Hmmmpf, mir ist hier noch niemals Meer aufgefallen. Der arme Kerl wird doch keinen Schaden durch die Sonne erlitten haben, dass er das Ufer des Mains jetzt mit Meeresufer verwechselt? Sollte er eventuell einen Augenschaden von seinem Ausflug davon getragen haben?
Anschließend haben wir das Goethehaus besichtigt, allerdings habe ich alle ernsthaft ermahnt, nicht mal daran zu denken, ihre Intarsien in die Schreibtische und anderen Möbel zu ritzen. Von dort aus waren wir dann am Dom, der den dreien aber, im Vergleich zu den portugiesischen Kirchen, ziemlich klein vorkam. Von da aus sind wir dann über den Main nach Sachsenhausen gelaufen, haben uns die kleinen, alten Gassen angeschaut. Das habe ich aber nur riskiert, da ich wusste, dass die Kneipen dort frühestens am späten Nachmittag öffnen. Wir haben uns aber rechtzeitig vom Acker gemacht und sind hoch zum Goetheturm gefahren. Der steht ja mitten im Stadtwald und ist eine komplette Holzkonstruktion. Das hatte ich nicht bedacht.
Mein eigentlicher Plans sah so aus, dass die drei Flügelträger mal hochfliegen sollten und die Gegend bewundern. Ich wollte mich so lange auf einer Bank unten ausruhen. Statt dessen bin ich dann vorsichthalber die siebenhundert-was-weiß-ich-wieviel Stufen mit hoch gekraxelt. Mein Vertrauen in die fliegenden Obstschüsseln ist doch relativ beschränkt nach meinen neuesten Erfahrungen. Oben angekommen habe ich ihnen dann die ganze Gegend erklärt, Spessart, Odenwald, Taunus, Wetterau, so weit man halt schauen konnte.
Die drei wirkten allerdings nicht sonderlich beeindruckt, sondern erklärten mir, in Portugal seien sie an etlichen Plätzen gewesen, wo die Aussicht weitaus besser gewesen sei.
Ok, dagegen fiel mir kein Argument ein und wir sind wieder nach unten getapst. Max flog voraus und ich hatte dann die Freude, seine Initialen, M.L., frisch eingeritzt im 2. Abschnitt des Turmes zu finden. Ich hab Max dann sofort in meinen Korb verfrachtet und ein Tuch drüber gehängt. Mia hat sich endlos entschuldigt, es war ihr wirklich peinlich. Ännchen war nur am Grinsen und ich habe die leise Hoffnung, dass nachfolgende Generationen diese Gravur möglicherweise als „Mona Lisa“ interpretieren.
Auf die nachfolgende Mainfahrt mit dem Ausflugsdampfer habe ich dann allerdings ersatzlos verzichtet.
Wir sind dann über Seligenstadt zurück gefahren. Dort sind wir durch die wunderschönen Fachwerkstraßen gelaufen und haben einen Schaufenster-Bummel gemacht. Die Mädels haben es geliebt, Max war ein bisschen weniger davon begeistert. Er murrte nur, dass wir das doch gestern auch schon gemacht hätten. Anschließend haben wir noch den wunderschönen Klostergarten besichtigt, der eine fast erschlagende Kräuterauswahl zu bieten hat.
Ich habe dann noch eine Runde Eis spendiert, wobei ich mich allerdings möglichst weit entfernt von Max’ Becher aufgehalten habe!
Einen kleinen Triumph musste ich mir allerdings auch noch gönnen. Nachdem ich die Geier ins Auto gepackt hatte bin ich zum Main gefahren und wir haben mit der Fähre übergesetzt.
Von Mia und Ännchen hab ich während der Überfahrt nichts gehört, ich glaube, die beiden haben das gar nicht mitbekommen. Sie saßen auf der Rückbank und haben geschwätzt.
Max allerdings, der auf der Kopfstütze des Beifahrersitzes thronte, krakeelte während der gesamten Überfahrt: „Hörst Du wohl auf damit, soo….fort!“ Nicht, dass es etwas gebracht hätte.
Wieder daheim, hab ich ihn gefragt, was er sich eigentlich mit seiner mail an Dich, Rinus, gedacht habe. Er sagte dann, sein Leben sei einfacher, wenn er Dich immer in Deiner Meinung bestätige, anstatt Dir zu widersprechen.
Tja, da fiel mir dann nichts mehr dazu ein, aber da ich ihm verboten hatte, den PC zu benutzen, und er es dennoch getan hat, sitzt er jetzt im Garten und darf die Grasränder zu den Blumenbeeten hin sauber beschneiden. Er macht das auch äußerst gewissenhaft und nimmt immer nur einen Grashalm in den Schnabel, bevor er ihn ordentlich, 4 cm über dem Boden abknipst. Bei dieser Beschäftigung hab ich auch die leise Hoffnung, dass ich ihn heute abend nicht duschen muß. Gestern war das leider bei der Staubschicht, die er trug, unerlässlich.
Die Mädels haben gefragt, ob sie heute mal in den Eukalyptus-Baum dürften, bis Max fertig sei. Später würden sie dann mit ihm in den Haselnuss-Baum gehen, um die restlichen Nüsse abzuknipsen.
Damit hab ich also alle drei Grünen momentan beschäftigt und ich werde jetzt erstmal einen Espresso auf der Terrasse geniessen.
Liebe Grüsse
Sonja