Nun, eigene Beobachtungen in allen Ehren, aber es gibt Berufsornithologen, die sich ausführlich mit der Reproduktionsbiologie unserer Singvögel beschäftigen.
Fragestellungen wie die hier diskutierte gehen solche Leute mit wissenschaftlichen Methoden und wissenschaftlicher Präzision an und schliessen auch zB nicht einfach von Meisen Raufußbussarden oder Schneeulen auf Amseln. Oder von Heidelbeeren auf Birnen...
Ihre Ergebnisse präsentieren sie dann in Fachjournals, die den Inhalt nur akzeptieren, wenn unabhängige Experten der Meinung sind, hier wurde sorgfältig gearbeitet und korrekt geschlussfolgert. Man nennt das Peer Review.
Das ganze nennt sich dann Primärliteratur. Fachbücher sind meist eine Zusammenfassung aus Primärliteratur, oft gewürzt und ergänzt mit eigenen Erfahrungen und Ansichten. Dabei können sie gewinnen oder verlieren, je nach Kompetenz von Autor und Lektorat.
Ich bin einer von den gar nicht so wenigen, die nicht nur Fachbücher, sondern eben auch Forschungsergebnisse in der Primärliteratur gerne und häufig lesen und ich bezieh das daraus gelernte in meine Antworten hier ein.
Interessanterweise bekomme ich aber, wenn ich die Primärliteratur dann auch hier zitiere, oft zu hören, ich würde zu fachlich und damit zu unverständlich argumentieren.
Deshalb beziehe ich mich manchmal nur auf die Ergebnisse und fasse zusammen. So wie oben in diesem Thread.
In einem Fachforum (oder ist das hier etwa gar keins?) vorgebracht ist das soeben genannte Argument aber schon ein zweifelhaftes und darum ignoriere ich es an dieser Stelle einfach und möchte auch hier meine Aussagen wieder entsprechend belegen, da das die Diskussion erleichtert.
Wers nicht lesen will, muss ja nicht.
Ich bitte übrigens auch auch das nicht unwesentliche Detail zu bemerken, dass ich mich in dieser Zusammenstellung von Feldforschungsergebnissen ausschliesslich auf an Amseln, Turdus merula gemachte Beobachtungen beziehe und nicht ohne jegliche Prüfung der Richtigkeit bei anderen Vögeln gemachte Beobachtung einfach auf diese Art übertrage, wie Andere hier es leider immer wieder gerne tun.
Also:
In Faivre, B., Préault, M., Théry, M., Secondi, J., Patris, B., & Cézilly, F. (2001). Breeding strategy and morphological characters in an urban population of blackbirds, turdus merula. Animal Behaviour, 61(5), 969-974 wird zB geschlussfolgert:
The number of breeding attempts per season was significantly positively correlated with female condition, while the number of fledglings reared by a female in a breeding season was positively correlated with the number of breeding attempts, independently of female condition
Das heisst, abhängig vom Futterzustand starten die Amseldamen, die dieser Studie zugrund lagen häufiger oder seltener eine Brut, doch der Gesamtbruterfolg pro Jahr war abhängig von der Anzahl der Bruten. Dahinter steht, dass die Amseln wenn sie erst einmal brüten in dem jeweiligen Erfolg zumindest statistisch nicht sehr stark von Faktoren wie Wetter oder Futterangebot abhängig sind. Ist eines von beiden allerdings extrem schlecht, lassen sie ganze Bruten ausfallen, nicht einzelne Eier.
Das gilt allerdings erstmal vor allem für die dieser Studie zu grunde liegenden verwöhnten Stadtamseln. Wenn die Tiere langfristig mit Nahrungsmangel und Wetterextremen klarkommen müssen, können sie diese Strategie nämlich tatsächlich ändern, indem sie weniger (2-4) dafür aber größere Eier legen. Das ist aber vermutlich in den entsprechenden Regionen genetisch fixiert und passiert eher nicht von jetzt auf gleich in einem schlechten Jahr. So dokumentiert zB hier: Lu, X. (2005). Reproductive ecology of blackbirds (turdus merula maximus) in a high-altitude location, tibet. Journal of Ornithology, 146(1), 72-78
Es ist zwar erstaunlich, aber der Bruterfolg unserer Amseln ist letzlich in der Tat nur in geringem Maß von den aktuellen Umweltbedingungen abhängig, denn generell geht es denen bei uns einfach selbst dann noch gut, wenn die Bedingungen mal deutlich schlechter als normal sind.
Nachzulesen zB Hier: Chamberlain, D. E., Hatchwell, B. J., & Perrins, C. M. (1999). Importance of feeding ecology to the reproductive success of blackbirds turdus merula nesting in rural habitats. Ibis, 141(3), 415-427Eine Schlussfolgerung dieser Studie: There was no evidence to suggest that reproductive success was constrained by aspects of feeding ecology within the natural range of brood size.
Im Klartext: Das Futerangebot hatte hier keinen Einfluss auf die Gelegegröße.
Die mögliche Brut-Flexibilität unserer heimischen Amselpopulationen spiegeln sich übrigens in den Unterschieden zwischen Stadt- und Waldamseln wieder, deren deutlich unterschiedliches Reproduktionsverhalten offenbar (noch) nicht genetisch fixiert ist: Partecke, J., Van't Hof, T., & Gwinner, E. (2004). Differences in the timing of reproduction between urban and forest european blackbirds (turdus merula): Result of phenotypic flexibility or genetic differences? Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 271(1552), 1995-2001
Und wenn die Schwankungen im Nahrungsangebot für unsere Stadtamseln also offenbar so wenig relevant sind, was bestimmt deren Bruterfolg denn dann wirklich? Es kommen ja nicht jedes Jahr gleich viele Nestlinge hoch.
Nun, der stärkste Einfluss scheint die Größe der lokalen Nager- und Großinsekt-Populationen zu sein (nein, auch diese sind nicht rein wetterabhängig ;-) ). Denn, ich zitiere aus Tomialojc, L. (1995). Breeding ecology of the blackbird turdus merula studied in the primaeval forest of bialowieza (poland). part 2. reproduction and mortality. Acta Ornithologica, 29(2), 101-121 Nesting losses varied (50-81%) between habitats, seasons and years. The predators switch to other prey: in a low-rodent year they killed four times more blackbird nestlings than in a rodent year, and in high-caterpillar years smaller predators left more bird eggs undestroyed
P.S.: Wenn auch heute noch in Fachbüchern steht, das Elstern keine Zweitbrut starten und durchbringen können, sind es halt schlechte Fachbücher, denn diese Tatsache ist seit langem bekannt.
Und ja, es gibt schlechte fachbücher...leider nicht wenige.