Es gibt mehrere Gründe, warum sich ein Normalmensch einen Vogel in die Stube holt:
Einsamkeit, Kontaktsuche zu einem anderen Lebewesen, Faszination an den Eigenheiten des Tieres, Seelenverwandtschaften, ... mehr fallen mir gerade nicht ein. Diese Motive sind alle berechtigt, wenn auch zum Teil vom Tier nicht erfüllbar, wie der Ausgleich zur Einsamkeit. Da wäre ein Hund sicherlich geeigneter, am besten jedoch ein Mitmensch.
Wie müsste das Zusammenleben mit dem Vogel gestaltet werden, damit zwei sehr verschiedene Wesen Mensch und Vogel etwas voneinander haben?
Ich mach mal ein Beispiel, wie es sich bei mir entwickelt hat:
Die besondere Zuneigung zu Vögeln ist mir, glaube ich, angeboren. Meine Mutter hatte einen Wellensittich, der sein Leben fristete, wie so viele andere Wellensittiche. Er wurde irgendwann krank und starb. Als Schuljunge träumte ich von einem zahmen Wellensittich. Der sollte auch sprechen lernen. Meine Mutter kaufte einen Neuen. Mein erster Wellensittich war ängstlich und wollte auch nicht zahm werden. Ich ließ ihm seine Eigenart. Mit der Zeit nahm er aber mal Futter aus der Hand. Der Wellensittich rief immerzu, besonders dann, wenn er Vogelstimmen hörte. Mir wurde klar, dass er einsam sein musste. Also besorgte ich einen Artgenossen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn ein Stück glücklicher gemacht habe.
Die Wellensittiche lebten in einem gewöhnlichen Vogelbauer. Es tat mir Leid sie darin eingesperrt zu sehen. Ich öffnete die Türen und die beiden durften fliegen, was sie aber nach einer längeren Zeit in diesem Käfig nicht mehr richtig konnten. Sie übten sich darin und waren anfangs schnell erschöpft. Ich hatte das Gefühl diese Tiere ein Stück weit glücklicher gemacht zu haben. Meine Mutter bestand darauf, dass ich die Vögel wieder einsperrte. Dafür musste ich sie fangen. Ich spürte ihre Angst, es war mir ein Graus. Später erlebte ich, dass diese Tierchen freiwillig in ihren Käfig gingen, weil es dort Futter gab und weil sie sich sicher fühlten und ausruhten.
Der Käfig stand vor einem großen Fenster. Die Sonne schien herein. Als Schatten legte ich ein Tuch darauf. Die Sittiche zupften an dem Tuch, bis es immer mehr ausfranste. Ich beobachtete, dass sie spielen und Beschäftigung suchten. Ich versuchte allerlei. Schließlich lebten die Sittiche irgendwann ganz außerhalb ihres Käfigs. Sie entwickelten sich zu atemberaubend schnellen Fliegern. Die Freude darin war ihnen anzusehen. Sie hatten immer weniger Furcht, etwas Neues zu entdecken. Die kamen auf meine Hand geflogen, erst um eines dargereichten Leckerbissen wegen, später aus eigenen Stücken. Sie haben die Freundschaft zu mir gesucht. Ich denke sie spürten, dass ich sie verstand.
Später reichte das nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, ihnen fehlt was. Sie sollten doch frische Luft und das klare Sonnenlicht spüren können. Denn immer wieder bemerkte ich, dass sie zum Licht wollten. Ich spürte, wie lebhaft sie wurden, wenn ich den Käfig nach draußen stellte.
Ich habe bisweilen viele verschiedene Vögel gepflegt, mit immer den gleichen Gefühlen. Die Vögel mussten Licht, Luft und viel Bewegungsfreiraum haben.
Viel später war mein größtes Glück, meinen Vögeln eine große Freivoliere zu bauen. Ich machte Erfahrungen mit weiteren Vögeln, wie Pennantsittichen. Ich kam zu dem Schluss, dass meine
Voliere für diese Tiere noch zu klein war.
Ich studierte eifrig die damals noch spärliche Literatur über die Tierhaltung und ich interessierte mich für die Lebensbedingungen in ihrer angestammten Heimat. Ich betrieb Geographie zum Zweck der besseren Tierhaltung.
Ich bin der vollen Überzeugung, dass die Tiere in Menschenobhut im höchsten Maße gesund leben können, und dass sie ihre volle Schönheit hier entfalten können. Mit etwas mehr Zeit mit ihnen werden sie auch zutraulich. Das Zebrafinkenweibchen z.B. geht auf sein Nest zurück, auch wenn ich gleich daneben Säuberungsarbeiten mache. Das Schönsittichmännchen nimmt allen Mut zusammen und steigt auf den Rand der Schale mit dem Keimfutter, was er so liebt. Die Tigerfinken stieben nicht mehr so ungestüm durcheinander, sondern bleiben ruhig sitzen und beobachten mich. Das Kanarienweibchen springt gleich neben mir in den Eimer, in dem das Futter zum Nachfüllen ist, weil es gerade ein begehrenswertes Korn entdeckt. Die Vögel untersuchen neugierig die Schubkarre, in der ich beim Reinigen Werkzeuge und Unrat aufhebe. Das sind Erlebnisse, die man mit quasi-wilden Tieren haben kann, wenn man sich einfühlend mit ihnen befasst.
Ich verbringe viel Zeit mit der reinen Beobachtung. Wie die Tiere sich untereinander verhalten gibt mir viel Aufschluss auch über uns Menschen. Das ist mein persönliches Motiv.
Die neue Ethik ist keine Neue, weil es sicherlich mehr Menschen wie mich gibt und auch schon früher gab (z.B. Konrad Lorenz). Aber es ist notwendig, das Tier nicht als Spielzeug (in Zucht und Haltung) zu benutzen, sondern dass man sich mit Zurückhaltung mit ihnen befasst. Man muss sich für die Eigenart eines jeden Haustieres befassen. Bescheidenheit, Rücksicht, Empathie und Diskretion sind Tugenden, die nicht nur im menschlichen Zusammenleben bedeutsam sind. Dazu kommt noch ein Empfinden für Wahrheit, Schönheit und Harmonie, welches eine gegenseitige Annäherung mit den Tieren erhöht.