Wenn aus solchen Diskussionen eine Erkenntnis "mitgenommen" werden kann, so ist es zunächst die, daß aus Halterbeobachtungen ohne Berücksichtigung bekannter und dokumentierter Artspezifika (das gilt für die physische wie auch für die Verhaltensebene) keine verwertbaren Schlüsse zu ziehen sind.
Weder die verfügbaren Freilanddaten noch Studien mit physisch und psychisch unauffälligen Amazonen-Gruppierungen in artangepaßten Haltungssystemen deuten auf eine im Verhältnis zu anderen Vertretern der Ordnung Psittaciformes abweichend auffällige Inaktivität (Stichwort: "Flugfaulheit") hin.
Die zu stellende Frage kann ggf. folglich nur lauten: Warum sind "meine" Amazonen so träge, obwohl Trägheit nicht ihrem natürlichen Verhaltensprofil entspricht? Man sollte nicht das vielzitierte Pferd "von hinten aufzäumen", indem man glaubt, die Feststellung treffen zu müssen, daß
die Amazonen an sich träger seien als Vertreter anderer Gattungen.
Wenn (was überaus gut belegt ist) bei Amazonen – und davon insbesondere bei weiblichen Exemplaren – eine signifikante Prädisposition für adipöse Entwicklungen (Verfettung / Fettsucht), die – je nach Ausprägung – neben organischen (Langzeit)Schäden zu deutlicher Reduzierung der Vitalität bis hin zu sichtbarer Inaktivität führen können, besteht, so liegt es auf der Hand, daß eine nicht unerhebliche Anzahl von Amazonen unter Haltungsbedingungen u. a. deswegen im Verhältnis zu Exemplaren anderer Gattungen als "träge(r)" angesehen wird. Zu berücksichtigen ist auch, daß je nach Schwere und Dauer entsprechender (Vor)Schädigungen die Reversibilität eingeschränkt ist/bleibt. Letzteres kann gerade bei Vögeln aus mehrfachem Halterwechsel von Bedeutung sein, zumal längere Inaktivitäten (auch) eine Rückbildung der für die Flugmotorik erforderlichen Muskulatur zur Folge haben.
Nochmals: Amazonen sind nicht träge – sie werden allerdings (nicht selten) durch inadäquate Haltungsumstände (u. a. ad libitum-Fütterung / beengte Haltung) in Verbindung mit den geschilderten Prädispositionen dazu gemacht.
Inaktivität ist kein der Art immanentes Merkmal von Amazonen. Artimmanent ist die im Verhältnis zu anderen Gattungen (unter Haltungsbedingungen) auffällig erhöhte Neigung zur Fettleibigkeit (mit den bekannten Folgen). Inaktivität und Flugfaulheit bei Amazonen stellen haltungsbedingte Abweichungen vom artspezifischen Normverhalten und Normzustand dar. Haltungsbedingten Abweichungen vom Normverhalten und Normzustand ist logischer Weise nur durch Verfügbarmachung von Haltungssystemen, die geeignet sind, derartige Abweichungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren, zu begegnen; und dies möglichst von Beginn des Amazonenlebens an.
Bob und Liz Johnson (2004) beschreiben in ihrer Abhandlung über den "Fitness-Faktor Fliegen" realitätsnah die Einstellung nicht weniger Halter/innen. Sie berichten darüber, daß einige meinten, insbesondere ihre Amazonen seien von Natur aus träge und flögen sowieso nicht gerne (Anmerkung: Kommt mir doch irgendwie bekannt vor). Dabei werde kaum bedacht, daß bei Mangel an Flug- und sonstigen Bewegungsmöglichkeiten ein Papagei diese Aktivitäten ganz einfach nicht zeigen kann. Sie weisen darauf hin, daß bei Andauern solcher Zustände die herabgesetzte Bewegungsaktivität oft als Normalzustand interpretiert werde und von daher keine Notwendigkeit zu Veränderungen gesehen wird.
Zum Aggressionspotenzial von Amazonen: Es ist a) je nach Art graduell unterschiedlich ausgeprägt, b) in der Tat generell recht hoch, c) situativ (wie bei anderen Gattungen auch) schwankend. Als belastend wahrgenommen wird meist die interspezifische Aggression (d. h. Vogel vs. Halter/in). Amazonen "untereinander" kommen (geeignete Gruppenzusammenstellung, hinreichend dimensionierte Haltungsräumlichkeit und Abtrennungsmöglichkeiten während Balz-, Paarungs- und Brutzeiten vorausgesetzt) mit ihrem arteigenen Aggressionsverhalten in den jeweiligen Kontexten in aller Regel gut klar.
Zur Lautstärke: Amazonen können recht laut sein. Gleiches gilt aber auch für nicht wenige Vertreter anderer Gattungen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die schrillen Kreischlaute des Gelbhaubenkakadu (Cacatua galerita) sind auch "nicht von schlechten Eltern". @Langer: Wie "leise" sind denn Deine Hyazintharas?
Ansonsten ist zur Relativierung einer Überbetonung der Lautstärke von Amazonen ein "Probehören" bei anderen großen Arten, oder (wenn man es ganz objektiv haben möchte) das vergleichende Anschauen sonografischer Aufzeichnungen der Lautäußerungen (Anmerkung: derartige Aufzeichnungen sind für viele Arten präsent) selbiger sehr zu empfehlen. Ich kann versichern: Für Überraschungen ist gesorgt. Das sogenannte "Warbling" (Trillern), worunter man sich länger andauernde, sehr markante und variable Tonfolgen vorstellen sollte, ist bei vielen Amazonenarten verbreitet. Laut Bradbury et al. (2002) ist es u. a. als Anzeige von Dominanz zu werten. Fernandez-Juricic et al. (1998, 2000) unterzogen das stimmliche Repertoire der Blaustirnamazone einer sehr detaillierten Untersuchung und setzten die Lautäußerungen in Zusammenhang mit den jeweils gezeigten Aktivitäten. Ein Ergebnis der Beobachtungen waren neun Grundmuster, die variierend in verschiedenen Zusammenhängen (zum Beispiel als Warnrufe oder Flugkontaktrufe) benutzt werden. Die Gutturallaute sind bei der Blaustirnamazone eine häufige Kommunikationsform zwischen Paaren und Gruppenmitgliedern. Abgesehen von dauerschreienden Exemplaren (was ebenfalls nicht dem Normverhalten entspricht) ist ein sich gegenseitig "hochschaukelndes" Konzertieren meist jedoch auf wenige Zeiten am Tag (insbesondere während der frühen Morgen- und Abendstunden) eingegrenzt. Lautstarkes Konzertieren in der Morgen- und Abenddämmerung (das sog. "dawn and dusk screetching") gehört übrigens zum völlig normalen Verhalten aller Papageienarten. Tun sie dies nicht (oder nicht mehr), so bestünde Grund zur Besorgnis.
Amazonen haben (wie andere Papageien auch) eine "Sprache". Wer selbige prioritär auf störende Lautstärken reduzieren möchte, sollte sich sowieso weder mit der Haltung von Amazonen noch mit der Haltung sonstiger "Großpapageien" befassen.
Zur Lebenszeitspanne von Papageien: Die im Verlauf dieses Threads geäußerte Annahme, daß keine verläßlichen (Freiland)Angaben zur Lebenserwartung gemacht werden können, ist eine der wenigen zutreffenden Einwendungen. Es lassen sich hierzu (aus – so denke ich – nachvollziehbaren Gründen) nur Vermutungen anstellen. Die Lebenserwartung dürfte unter "behüteten" Haltungsbedingungen (sehen wir von leider sehr oft vorkommenden groben Haltungsfehlern ab) diejenige im Freileben auf jeden Fall übersteigen. Einige Altersangaben (meine Vermutung: Ausnahmefälle) zu Blaustirnamazonen in menschlicher Obhut: 75 Jahre, 99 Jahre und in einem Fall sogar 117 Jahre (Osman, 1954). Die meisten Fachautoren nehmen für Amazonen unter Haltungsbedingungen eine max. Lebenserwartung von 40 – 50 Jahren an.
Abschließend: Meine Frage danach, über welchen
Erfahrungszeitraum (?) mit der Haltung von Amazonen die Betreiberin des "Papageienhofes" überhaupt verfügt, blieb (wie auch weitere thematisch relevante Fragen) bisher unbeantwortet. Wer nicht willens und/oder aus sonstigen Gründen in der Lage ist, sich über die (zumindest in wesentlichen Teilen) gut dokumentierten Bedürfnisse von ihr/ihm gehaltener Arten zu informieren und selbst elementarste (und absolut gesicherte) Erkenntnisse zum Bewegungsverhalten von Amazonen nicht wahrnehmen möchte und in den Bereich der Fabel verweist (Erinnerungszitat der Betreiberin: "Früher hat man auch geglaubt, die Erde sei eine Scheibe.") sollte zumindest mit im Brustton der Überzeugung geäußerten Einschätzungen und Ratschlägen etwas zurückhaltender sein.
Gerade die Haltung von (und der Umgang mit) in dieser oder jener Hinsicht problematischen Papageien (dies gilt nicht nur für Amazonen) quer durch das "Artenbeet" und in hohen Exemplarzahlen erfordert profunde(re) Kenntnisse. Punkt.
Bradbury, J., T. Wright & K. Cortopassi (2002): Parrots of Sector Santa Rosa and Adjacent ACG Regions, National Geographic Society, the National Science Foundation of the United States (Grants IBN-94-06217 & IBN 99-74527), and the Area Conservation de Guanacaste of Costa Rica
Fernandez-Juricic, E., M. B. Martella & E. V. Alvarez (1998 ): Vocalization of the Blue-fronted Amazon (Amazona aestiva) in the Chancani Reserve, Cordoba, Argentina, Wilson Bulletin 110: 352-361
Fernandez-Juricic, E. & M. B. Martella (2000)*: Guttural calls of Blue-fronted Amazons*: structure, context, and their possible role in short range communication, Wilson Bulletin 112: 35-43
Johnson, B. & L. Johnson (2004): The Fitness Factor of Flight, Holistic Bird, Vol. IV, Issue 1
Osman, W. C. (1954): Longevity in psittacine birds, Avic. Mag. 60, Seite 165
Gruß
Heidrun